Trainings für den Umgang mit traumatisierenden Ereignissen
Kriege, Naturkatastrophen, Terroranschläge, Unfälle, Gewaltverbrechen – „90 Prozent aller Nachrichten sind traumatisierende Ereignisse”, sagt Petra Tabeling, Journalistin und Trainerin, im Gespräch mit M. Sie leitete bis 2015 das Dart Center in Köln und arbeitet jetzt für die Plattform „Nicht schaden”, die einzige Institution in Deutschland, die zu „Trauma und Journalismus” Schulungen für Medienschaffende anbietet.
M | An wen richten sich Ihre Schulungen? Sind es nicht vor allem Kriegsreporter_innen, die sich damit befassen, wie sie mit traumatisierten Menschen umgehen und wie sie selbst solche belastenden Situationen verarbeiten können?
Petra Tabeling | Nein, sogar Sportreporter können betroffen sein – wie das spätestens die Anschläge von Paris im November 2015 zeigten. Die Terroristen erschossen nicht nur Besucher des Bataclan-Theaters, sondern auch eines Fußballspiels im Stade de France. Die meisten Reporter geraten in Situationen, aus denen sich andere zurückziehen – das kann ein Unfall sein, sogenannte Amokläufe, das kann ein Hausbrand sein, sie müssen über einen Menschen berichten, der eine Behinderung oder eine Krankheit hat. Es geht nicht immer um Krisen und Kriege, sondern um ganz Alltägliches und eigentlich sollte jeder Reporter wissen, wie er damit umgeht.
Wie und wann sind Sie selbst auf das Thema „Trauma und Journalismus” gestoßen?
Ich habe vor 15 Jahren bei der Deutschen Welle volontiert und mich bei Reporter ohne Grenzen engagiert, wo ich mich mit Verfolgung von Journalisten, dem Umgang mit Entführung und Krieg beschäftigte. Da fand ich es einfach absurd, nur Interviewtechniken zu lernen, bei denen es darum geht, wie man Menschen befragt, die Kontrolle über das haben, was sie sagen – etwa Prominente, Politiker oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Aber wir haben nicht gelernt, wie wir mit Menschen umgehen, die etwas Belastendes erlebt haben oder mit deren Angehörigen und mit der Situation an sich. Dabei macht das doch den größten Teil unserer Reportagen aus.
Eine ganz wichtige Erfahrung war für mich persönlich eine Reportage aus einem Sterbehospiz für HIV-kranke Kinder in Rumänien 2004. Und der Tod meiner Kollegin Karen Fischer am 7. Oktober 2006, die mit ihrem Partner in Afghanistan erschossen wurde. Damit habe ich mich viel beschäftigt und darüber geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt besuchte ich auch einen der ersten Workshops zu „Trauma und Journalismus” mit Fee Rojas und Mark Brayne. Mir wurde klar, dass ich so etwas in Deutschland etablieren möchte, denn es gab bisher nichts zu der Thematik. Geholfen hat mir ein Fellowship des Dart-Centers in den USA. 2007 gab es eine Kick-off-Konferenz in Hamburg und danach habe ich dann das deutsche Büro mit Sitz in Köln geleitet und gleichzeitig eine Ausbildung als Traumaberaterin absolviert.
Seit Ende 2015, als die Finanzierung des Dart-Center-Büros in Köln auslief, bieten Sie und einige Kolleg_innen über das Portal „Nicht Schaden” auch weiterhin Trainings an. Wie sieht so eine Schulung aus?
Es geht zunächst darum, was eigentlich ein Trauma ist und was das mit mir als Journalist und den Medien zu tun hat. In traumatischen Situationen verspüren wir Scham, Scheu, Unsicherheit und da ist eine unangemessene Frage nicht nur beschämend für Journalisten, sondern sie verschlechtert auch das Interviewergebnis. Zudem setzen wir uns auch dem Risiko einer eigenen Traumatisierung aus. In unseren Seminaren gibt es viele Beispiele aus der Praxis wie aus dem School shooting in Winnenden, dem Germanwings-Absturz, den Attentaten von Brüssel und München, Berlin. Auf der Onlineplattform dartcenter.org/traumajournalismus gibt es z. B. viele Informationen aus einem Workshop für Lokaljournalisten vor drei Jahren in Rendsburg, darunter Videos: eine Traumatherapeutin erklärt, was eine Belastung ist und es gibt eine Podiumsdiskussion mit mir, Gisela Mayer vom Aktionsbündnis Winnenden und dem Redaktionsleiter des Waiblinger Zeitungsverlags. Viel Input kommt von Teilnehmern, denn Journalisten wissen in der Regel sehr wohl, was man „richtig macht”. Nur sind die Empathie und die Intuition verloren gegangen, aber diese verschütteten Skills kann man wieder hervorholen und professionalisieren. Wir erzielen dadurch schlichtweg eine bessere Berichterstattung und das kann nur im Sinne aller sein!
Dazu dient ja auch der Film „media running amok”, den Sie 2015 zusammen mit dem Forschungsverbund TARGET an der FU Berlin produziert haben. Darin geht es um den Amoklauf in Winnenden 2009 und die Analyse der Berichterstattung – als Lehrbeispiel?
Ja, denn das ist das einmalige an dem Film: Er zeigt das Ereignis auf mit den Betroffenen – Überlebenden, Angehörigen, Redakteuren. Dann kommen Experten zu Wort, die erläutern, was gefährlich ist an der Berichterstattung über Amokläufe und Terrorattentate, was Journalisten falsch machen, welche Folgen das für Betroffene hat. Das gilt zum Beispiel für die Täterberichterstattung.
Was ist so problematisch an der Täterberichterstattung?
Problematisch ist, dass wir mit unserer Berichterstattung Nachahmer generieren können. München 2016 hat das gezeigt. Der Täter, ein 18-jähriger Schüler, hatte sich aus Zeitungsausschnitten über vergangene Amokläufe Informationen geholt. Problematisch ist, wenn man Tätern eine Bühne gibt, sie in einer bestimmten Pose zeigt. Das ist genau das, was sie wollen. Wenn man immer wieder – vor allem in Boulevardmedien – eine Fotogalerie der Opfer veröffentlicht, dann bietet man den möglichen Tätern eine Ablaufstrecke. Da gibt es kranke Hirne, die sagen, da sind 20 oder 22 Menschen umgekommen und das toppe ich. Ein ganz großer Fehler ist es auch, Täter in ihrem Freizeitverhalten darzustellen. Der Germanwings-Copilot wurde zum Beispiel beim Joggen oder im Urlaub gezeigt. Darüber wurde nicht diskutiert, sondern nur darüber, ob man den vollen Namen nennen soll oder nicht. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Betroffenen. Über sie wird nicht berichtet, der Täter bekommt die ganze Aufmerksamkeit.
Was muss ich besonders beachten, wenn ich Opfer von Gewalttaten oder Unglücke interviewen will?
Nicht schaden – Dinge nicht noch schlechter machen als sie sind. Den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Dann kommt es auch darauf an, ob es ein Akutereignis ist oder ob es länger zurückliegt. Wenn ich einen Betroffenen direkt nach einem Ereignis frage „Wie fühlen Sie sich jetzt?” kann ich ihm die Kontrolle nehmen, ihn retraumatisieren. Wie man das besser machen kann, erarbeiten wir z.B. in Workshops auch mit Rollenspielen: Wie bereite ich mich selber auf die Situation vor? Kann ich in bestimmten Situationen überhaupt Informationen bekommen oder ist es besser, kein Interview mit einer akut belasteten Person zu führen …
… weil man dann doch keine Informationen bekommt, die sachlich relevant sind?
Genau! Denn den Betroffenen geht es schlecht, da kann man keine Informationen bekommen, nur Emotionen. Journalisten rechtfertigen sich dann: „Aber man muss doch Tränen zeigen!” Das ist totaler Quatsch. In der Öffentlichkeit wird, gerade nach den Terroranschlägen, immer lauter kritisiert, dass wir ständig Emotionen zeigen und blutige Bilder. Die Leute wollen aber anders informiert werden. Das hat die Winnender Zeitung damals auf über 190 Seiten geschafft. Man muss sich inhaltlich vorbereiten, Details und Fakten aneignen. Wenn Journalisten nicht richtig informiert sind, bekommt der Betroffene im Interview das Gefühl, dass da kein ehrliches Interesse ist, sondern dass da schnell etwas in die Redaktion geliefert werden soll – zumal man den Interviewpartner in der Regel nie wieder sieht. In der Lokalredaktion ist das anders, da lebt man vor Ort und deswegen ist eine gute Vorbereitung wichtig und auch, sich in den Anderen hinein zu versetzen.
Auch ist es ganz wichtig, nicht mit bestimmten Erwartungen in ein Interview zu gehen. Das ist oft das Problem mit Redaktionsleitern, die von Reportern erwarten, dass sie vorgefertigte Geschichten liefern. Es geht darum, sich davon frei zu machen, zwar vorbereitet, aber auch gleichzeitig offen und empathisch zu sein und sich auf die Situation einzulassen.
Aktuelles Thema Geflüchtete: Werden dazu auch Workshops angeboten? Zumal die Berichterstattung ja auch „herausfordert”, denn viele sind durch ihre Fluchterfahrungen traumatisiert.
Der Umgang mit Geflüchteten ist integriert in den Workshops. Hierbei ist es wichtig, auch zu schauen, dass Geflüchtete nicht nur ein schreckliches Schicksal haben, sondern auch eine enorme Stärke. Die Frage ist, präsentiere ich meinen Interviewpartner als Opfer oder als Überlebenden, der Krieg und Traumatisierung durchgemacht hat.
Ist die Nachfrage nach Schulungen in der letzten Zeit gestiegen?
Ich bekomme viele Anfragen von Journalisten, die gerne so eine Schulung machen möchten. Das geht aber nur, wenn die Medienhäuser, die Arbeitgeber diese auch anfordern. Das machen etwa Deutsche Welle oder WDR, sogar die Axel Springer Akademie. Außerdem werden Seminare an der Uni Dortmund angeboten, die wir vor einigen Jahren mit angestoßen haben. Im Juni dieses Jahres wird es eine Fortbildung bei der ARD/ZDF- Medienakademie geben. Das ist eines der wenigen Angebote, die offen sind für alle. Die Seminare finden meist nur auf Anforderung statt – etwa von politischen Fortbildern, Stiftungen.
Geht man davon aus, dass es den Medienunternehmen etwas wert ist, ihre Mitarbeitenden zu schützen und eine gute Berichterstattung zu gewährleisten, dann müssten sie ja auch bereit sein, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Wie sieht es mit der Finanzierung Ihrer Arbeit aus?
Wenn das Thema implementiert wäre bei den führenden Redakteuren, dann bräuchte man darüber gar nicht zu sprechen. Es bedarf aber mehr Nachfragen von Arbeitgebern und Institutionen, um weiterhin den Austausch mit NGOs, mit internationalen Experten zu forcieren, Veranstaltungen zu organisieren und auch mal Workshops für freie Journalisten anzubieten, denn das findet im Moment gar nicht statt. Um das alles zu machen, brauchen wir Unterstützung.
Damit das Thema „Trauma und Journalismus” eine größere Plattform bekommt, ist es wichtig, Kooperationspartner innerhalb der Branche zu gewinnen, mehr Unterstützung zu bekommen – auch von der Gewerkschaft, Journalistenverbänden oder Stiftungen. Dann schließen wir nicht aus, aus unserer Plattform „Nicht schaden” heraus einen Verein zu gründen. Wir evaluieren die Möglichkeiten. Und sind offen für jegliche Unterstützung!
Hinweise
Seminar „Verantwortungsvoll berichten: Wie gehe ich mit Extremsituationen und Belastungen richtig um?” vom 12–13.06.2017 in Hannover