Die neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg. Wie Journalist*innen die Transformation der Medien erleben“ wirft einen Blick auf die psychische Gesundheit von Medienschaffenden – mit alarmierenden Ergebnissen. Dass die Studie Arbeitgeber*innen zu einem besseren Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz auffordert, ist völlig richtig, denn die Branche steht vor einem kollektiven Burn-out. Schnelles Handeln ist notwendig.
„Ich kann nicht mehr!“ – Dieser Satz dürfte vielen Kolleginnen und Kollegen bekannt vorkommen. Ob kaputt gesparte Lokalredaktion, hyperventilierender Online-Newsroom oder Reporter vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Anfeindungen und Wutdebatten um den Rundfunkbeitrag nicht mehr ertragen können: Allerorten fühlen sich Journalistinnen und Journalisten belastet, ausgebrannt, erschöpft. Jungen Menschen möchten man diesen Beruf kaum noch empfehlen. Zu groß ist der Stress, zu schlecht ist das Ansehen, zu wenig ist das Geld, zu unsicher die Jobs und zu gering die Aufstiegschancen. Journalistinnen und Journalisten in Deutschland sind vor allem eins: zermürbt und ausgelaugt, viele haben innerlich schon vor langer Zeit gekündigt. Und immer mehr verlassen den Journalismus auch.
Wer zur mittleren Generation gehört, kennt sie gar nicht – die guten Zeiten im Journalismus. Eingestiegen mit unbezahlten Praktika (Generation Praktikum lässt grüßen), haben viele der Um-die-Vierzigjährigen vor allem eins in der Branche erfahren: Krise, Krise und nochmals Krise. Wer älter ist, hat zumindest die Rente in Sichtweite. Eine Art verzweifelter Rettungsanker, wie die neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung feststellt. Und die Jungen? Die kommen immer weniger nach. Denn es hat sich herumgesprochen, dass der Journalismus ein schwieriges, teils sogar prekäres Feld ist. In Zeiten des flächendeckenden Fachkräftemangels gehen junge Akademikerinnen und Akademiker lieber in auskömmlich bezahlte Jobs, die eine bessere Work-Life-Balance versprechen – und mehr Wertschätzung. Denn neben all den Krisen ist auch das Vertrauen der Menschen in die Medien gesunken. Tägliche Anfeindungen, sei es direkt oder digital, gehören für viele Medienschaffende zum Joballtag.
Armutszeugnis für die Medienunternehmen
Das wird auch in der Studie beklagt, die einen arbeits- und organisationspsychologischen Forschungsansatz mit medienwissenschaftlicher und -praktischer Perspektive verbindet. Die Heidelberger Professoren, Burkhard Schmidt, Rainer Nübel, Simon Mack und Daniel Rölle, interviewten zunächst 20 hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten verschiedener Mediensegmente und überprüften die dadurch gewonnenen Erkenntnisse anschließend in einer Online-Befragung. Die Untersuchung stößt damit in eine wichtige Forschungslücke und widmet sich – endlich, möchte man anmerken – den umfassenden psychosozialen Belastungen am Arbeitsplatz in der Redaktion. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, hat sie Bedeutung – das wissen auch wir in der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di. Beinahe täglich melden sich Kolleginnen und Kollegen bei unseren Mediensekretärinnen und Betriebsräten. Viele sind verzweifelt: Sie seien ausgebrannt, können einfach nicht mehr.
Das hat vielfältige Ursachen. Neben dem Bedeutungs- und Funktionsverlust als Gatekeeper für Informationen und Meinungen sind da die bereits erwähnten ökonomischen Dauerkrisen. Vertriebs- und Werbeerlöse sind in den vergangenen Jahrzehnten stetig gesunken. Besonders Presseverlage haben darauf mit brutalen Personaleinsparungen reagiert. Parallel steigt dennoch die Arbeitslast. Denn Personalabbau und digitaler Wandel passen schlecht zusammen – immer weniger Kolleginnen und Kollegen müssen immer mehr, alles immer gleichzeitiger und schneller machen. Und selbst da, wo vielleicht Personal aufgebaut wurde, wie etwa bei den Online-Medien, reicht es nicht, weil der Druck, Output zu liefern, exponentiell ansteigt. Die Flut der Nachrichten endet einfach nie und so gut wie alle Medien arbeiten 24 Stunden am Tag. Ständige Erreichbarkeit, dauerhaftes Multitasking und eine Flexibilität bis zur Selbstaufgabe sind quasi Must-have bei den Anforderungen, die Beschäftigte im Journalismus mitbringen müssen. Und so steckt der Journalismus in einer umfassenden zum Dauerzustand gewordenen Transformationskrise.
Das alles hat Folgen für die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen. Sie leiden unter Frustration und Unsicherheit, machen sich Sorgen um den Job. Und besonders die Jüngeren – fast zwei Drittel von ihnen – gibt an, dass sie teils mehrmals in der Woche an das Aufgeben ihres Berufes gedacht haben oder denken. Das ist nicht nur ein Alarmsignal, das ist auch ein Armutszeugnis für die Medienunternehmen als Arbeitgeber, die ihre Fürsorgepflicht sträflich vernachlässigen.
Freies Denken für kritische Gedanken
Denn immerhin hat der Journalismus – obwohl es so viele neue Informations-Akteure gibt – immer noch eine ganz zentrale und bedeutsame Funktion für die Demokratie. Das zeigt ja auch die große Nachfrage von Bürgerinnen und Bürgern nach objektiven Informationen und qualitativ hochwertigem Journalismus etwa in der Corona-Krise oder im Ukraine-Krieg. Aus diesem Grund ist es verheerend, wenn Journalistinnen und Journalisten ihren Beruf nur noch unter großer psychischer Belastung ausüben können. Wer sich dauerhaft gestresst und nicht wertgeschätzt fühlt, wer ständigen Anfeindungen, Unsicherheit und zu vielen Anforderungen auf einmal ausgesetzt ist, der kann selten einen richtig guten Job machen. Mehr noch, und auch das konstatiert die Studie, es macht auch körperlich krank und führt damit zu einem hohen Krankenstand und auch dazu, dass Menschen früher in Rente gehen müssen. Auch andere Erhebungen belegen, dass die Lebenserwartung von Journalistinnen und Journalisten nicht gerade hoch ist.
Außerdem ist es Gift für die demokratische Funktion, die Journalismus erfüllen soll: Denn wenn permanent eine Überlastsituation besteht, ist kaum freies Denken möglich. Das jedoch benötigt die Bewusstseinsindustrie – freies Denken, damit kritische Gedanken und somit auch die Wächterfunktion des Journalismus möglich sind. Gute Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten sind grundlegend für ein funktionierendes Mediensystem.
Gefragt sind daher in erster Linie die Arbeitgeber. Sie müssen sich um ein betriebliches Gesundheitsmanagement kümmern, und zwar eines, das die psychische Gesundheit in den Fokus nimmt. Fragt man jedoch Betriebsräte in Medienunternehmen, zeigt sich allzu oft, dass sie in diesem Feld auf Granit stoßen. In vielen Redaktionen wird ja nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung für den physischen Arbeitsplatz gemacht. Und nun, da viele Redaktionen großteils nur noch remote arbeiten, wird der Arbeitsschutz ohnehin kaum eingehalten und kann auch nur sehr schwer überwacht werden.
Unterstützung und Solidarität
Hinzu kommt aber leider, dass viele Arbeitgeber noch immer der Meinung sind, dass Journalistinnen und Journalisten rund um die Uhr verfügbar sein müssen, dass sie weder ihre Arbeitszeit erfassen noch sich Auszeiten gönnen dürfen. Redakteurinnen und Redakteure, die in ihrem Urlaub keine Nachrichten verfolgen, sind in den meisten Redaktionen unerwünscht. Vielmehr wird erwartet, dass man rund um die Uhr verfügbar ist, immer auf Sendung – und wer dem nicht bis zur Rente standhält und nicht bei jeder Sparrunde freundlich lächelt, der sei halt nicht gemacht für den Beruf.
Doch dieses Bild ist zynisch und längst überholt. Und das merken langsam auch die Arbeitgeber, denen es immer schwerer fällt, hochqualifizierten Nachwuchs zu finden. Das ist nötig, damit sich etwas ändert. Zudem verstärkt derzeit das Fehlen von Nachwuchs die Arbeitslast in den Redaktionen und führt erst recht zu Fluktuation von Kolleginnen und Kollegen. Eine Folge: Die Qualität sinkt und Angebote von neuen Akteuren auf dem Markt werden attraktiver. Am Ende schwinden Bedeutung und Rolle des Journalismus weiter: ein Teufelskreis. Mehr noch: Es ist quasi ein selbst gemachter Niedergang des Journalismus, vorangetrieben vor allem von den privatwirtschaftlichen Medienkonzernen.
Doch auch wir Medienschaffenden selbst können etwas tun – und wir Gewerkschaften. Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen organisieren und solidarisieren, wir müssen sie dabei unterstützen, den Gesundheitsschutz von den Arbeitgebern einzufordern. Viele Journalistinnen und Journalisten kämpfen bereits und geben nicht auf. „Mehrheitlich versuchen sie den gravierenden beruflichen Herausforderungen sachorientiert zu begegnen – zum Beispiel in Form einer noch sorgfältigeren Recherche (59 Prozent) und einem bewussten Leben und Verteidigen journalistischer Werte und Qualitäten (90 Prozent)“, heißt es in der Studie. Und das ist die gute Nachricht, die man aus der Untersuchung ziehen kann. Solange sich die Menschen noch interessieren und engagieren, kann man noch handeln – packen wir es also an.
Arbeitspapier online lesen, downloaden oder bestellen: www.otto-brenner-stiftung.de/mediale-transformation