Noch zu wenig Risse im männlichen Machtgefüge

23. Herbstreffen der Frauen in den Medien von ARD und ZDF“: Ganz oben sind die Männer immer noch unter sich

„Rollengeschädigte Traditionsmänner“, wie die Europaabgeordnete und langjährige WDR-Rundfunkrätin Karin Junker den „Saure-Gurke“-Gewinner, ZDF-Rentner Klaus Bresser, und den unter einer Chefin leidenden Sportreporter „Waldi“ Hartmann nannte, spielten auf dem „Herbsttreffen der Frauen in den Medien von ARD und ZDF“ eine eher untergeordnete Rolle: Viel wichtiger als diese Fossile war den fast 300 Frauen der Zustand der Geschlechterdemokratie in ihren Sendern und deren Programmen. „gut. besser. senden – Qualität in Hörfunk und Fernsehen“ hieß das diesjährige Motto im Kölner WDR und in 13 Workshops und vielen Vorträgen und Diskussionen wurde deutlich: Es tut sich was in den Sendern – und es tut sich wenig, wenn frau ins Programm schaut.

Das Banner nahm durch eine Wortverdrehung die Zukunft vorweg: „Herbstreffen in den Medien der Frauen“ hieß es dort, aber davon kann noch keine Rede sein. Auch wenn in einer spielerischen Wette die Frauen mehrheitlich die erste Intendantin in Deutschland beim WDR voraussagten, gibt es keine Anzeichen für die kontinuierliche Umsetzung von Frauenförderplänen in Machtpositionen. Gerade mal 14 Prozent der Führungspositionen bei den Öffentlich-Rechtlichen sind inzwischen von Frauen besetzt. Der Nachfolger der HR-Fernsehchefredakteurin aber wird ein Mann, beim „Heute-Journal“ des ZDF hat man angeblich Probleme, eine geeignete Nachfolgerin für Alexander Niemetz zu finden, ebenfalls im HR ist die Vormittags-Frauensendung eingestellt worden (siehe unten), beim SFB konnte sie dank einer Protestwelle gerettet werden.

„Chancen für Frauen“ aber sieht Rundfunkrätin Karin Junker in der wichtiger werdenden „Schlüsselfunktion Mediennutzungskompetenz: Die Sieger der Mediengesellschaft sind weiblich. Kommunikation ist die Welt der Frauen. Denn das Verstehen von Schaltflächen ist irrelevant, wenn man die Welt verstehen will.“

Die Programm-Macher haben sie offenbar noch nicht verstanden, jedenfalls bilden sie sie nicht ab: Eine aktuelle europaweite Untersuchung, die Dagmar Skopalik, ehedem ZDF-Frauenbeauftragte und als solche verantwortlich für dieses Projekt „Screening Gender„, vorstellte, ermittelte mit akribischer Programmanalyse zur Primetime eine durchgehende knappe Drittelparität von Frauen in Nachrichten, Serie, Drama oder Sport. Realität hier und da: Expertinnen sieht man nur zu 17 Prozent, während allein im Bundestag schon 31 Prozent Frauen sitzen und in den skandinavischen Ländern dort Parität nahezu erreicht ist. Nur im Kinder- und Jugendprogramm tummeln sich zu 44 Prozent Frauen, im Sport sind es 12 Prozent. 21 Prozent der Korrespondenten sind weiblich, 28 Prozent der Reporter und gleichfalls nur 28 Prozent der Interviewpartner. Die „Frau von nebenan“ ohne Funktion oder Beruf kommt dagegen 47prozentig vor und als Opfer, man mag es kaum noch schreiben, ist die Frau mit 37 Prozent richtig gut vertreten. Älter werden darf sie auch nicht: Ab 50 nimmt ihre Präsenz rasant ab, trotz Iris Berben oder Hannelore Elsner, die extreme Ausnahmen bleiben. Vorlesen aber dürfen Frauen: 54 Prozent der Nachrichtensprecher sind weiblich. Skopalik: „Die Gesellschaft hat sich stärker verändert und ist vielfältiger als ihr Abbild im Fernsehen, wo Stereotypen überwiegen.“

Doch moralische Appelle wollte niemand mehr ausgeben: Gutes öffentlich-rechtliches Programm, so die Botschaft, gibt es nur mit angemessener Frauenpräsenz vor und hinter der Kamera oder dem Mikrofon, Qualität ist auf Dauer ohne Frauen nicht zu halten. Im Aufspüren von Expertinnen übrigens sind die wenigen Frauenmagazine Trendsetter, eine Kompetenz, die auch von anderen Redaktionen zunehmend genutzt wird. Ute Remus, Redakteurin des WDR-Frauenmagazins „Abwasch“, warnte denn auch bei aller berechtigten Forderung nach „Gender-Mainstreaming“ im Gesamtprogramm vor dem Verschwinden von Frauenthemen im allgemeinen Programm: „Die Themen verschwinden erfahrungsgemäß, Frauenmagazine brauchen autonome Fachredaktionen, ausgewiesene Sendeplätze, müssen auffindbar bleiben.“

Programmcontrolling unter geschlechterdemokratischen Aspekten auf dem Sofa ermöglicht jetzt der „Medienkoffer„, den der Journalistinnenbund entwickelt hat: Damit kann jede medienwissenschaftlich nicht vorgebildete Frau ihr vages Unbehagen am Weiblichen in den Medien praktisch untersuchen und darstellen, beispielsweise die allseits konstatierte inflationär dargestellte Ermordung von Frauen im TV. Eine Schnelltest in Tageszeitungen im „Medienkoffer“-Workshop von Andrea Reischies offenbarte einmal mehr, dass Expertinnen, so sie überhaupt vorkommen, namenlos sind, Bestätigung im Kleinen für die „Screening-Gender“-Studie.

Angesichts dieser Ergebnisse konnte wohl nicht von ungefähr der Workshop zum Thema „Aggression – eine unangenehme Herausforderung“ den meisten Zuspruch verbuchen. Referentin Carola Spiekermann: „Eine häufig anzutreffende Umgangsweise von Frauen mit Konflikten besteht darin, Ärger und Auseinandersetzungen lange Zeit zu vermeiden, weil sie Ärger und Unbehagen auslösen, um dann schließlich – wenn das Fass überläuft – vor Wut zu platzen. Aber sowohl das Herunterschlucken als auch das Ausrasten hilft in der Regel wenig, um wohltuende Veränderungen herbeizuführen.“ Gerüstet mit Tipps für Streitregeln verabschiedete das Frauentreffen als wichtigste Forderung die Integration der Geschlechterperspektive nicht nur im Programm, sondern auch in der Ausbildung und in Personalentwicklungskonzepten, die Installation von Mentoring-Programmen für weibliche Führungskräfte, Programm-Controlling unter Gender-Kriterien und die differenzierte Auseinandersetzung mit weiblichen Lebenswelten – auch und gerade beim Aufbau der „3. Säule“ im Öffentlich-Rechtlichen, dem Internetauftritt. Dieser Aufbau wird mal wieder überwiegend von Männern vorgenommen.

Erstaunliches gibt es immerhin aus der sich formierenden Dienstleistungsgesellschaft ver.di zu vermelden: Erstmals, so die IG-Medien- Frauensekretärin Inga Kulms im einschlägigen Workshop, ist in einer Gewerkschaft das Prinzip des „Gender Mainstreaming“ in der Satzung verankert, die paritätische Quote auf allen Ebenen Pflicht, Frauen- und Gleichstellungspolitik eine „Kernaufgabe“. Die Qualifizierung für Hauptamtliche in paritätisch geleiteten Seminaren zu „Gender Mainstreaming“ wird verpflichtend. In ARD und ZDF könnte man sich diese „Gender-Mainstreaming-Trainings“ ja auch mal anschauen.

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