Nur dahingesagt – oder “dahingerotzt”?

Lars Hansen, Redakteur in der Funke Mediengruppe und Co-Vorsitzender der dju in ver.di Foto: Stephanie von Becker

Meinung

Mit verbalen Entgleisungen gegenüber einigen Flaggschiffen des deutschen Journalismus überraschte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) unlängst. Da sich seine Kritik pauschal gegen alle Journalist*innen richtet, kann das nicht unwidersprochen bleiben.

„Immer die gleiche Meinung”, „Hingerotztes Gelaber” – wir kennen solche Äußerungen über die Medien, vor allem in Corona-Zusammenhängen, zur Genüge. Aber aus einer anderen Ecke: von Schwurblern und Demokratiefeinden. Ein Schulsenator, selbsterklärter Sozialdemokrat, Pädagoge und Ex-Journalist irritiert und entsetzt damit – zumal diese Äußerungen über „Zeit”, „Spiegel”, „Süddeutsche Zeitung” und FAZ fielen, prominente Vertreter der Print-Presse, die sonst eher als Beispiele für Qualitätsjournalismus genannt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Statements in einem Rahmen abgegeben wurden, der ihnen besonderes Gewicht verleiht: Rabe sprach vor Schüler*innen, den Landesfinalist*innen des Wettbewerbs „Jugend debattiert”, die versammelt waren, weil sie ihre Worte mit Bedacht wählen. Und wer Rabe kennt, weiß, dass auch er seine Worte wohl abwägt. Einfach nur dahingesagt – oder “dahingerotzt”, war es bestimmt nicht; auch wenn Rabe dies später relativierend behauptete. Die Anwesenheit des Schulsenators beim Debattenwettbewerb-Finale ist auch kein informeller Anlass, bei dem man einfach mal so „in die Tüte spricht”.

Vor diesen Schüler*innen haben Rabes Worte Gewicht. Selbst vor pubertierenden Jungbürgern gilt ein Senator in der Hansestadt noch etwas; als Lehrer* ist er erst recht glaubwürdig. Wenn man dann weiß, dass sich Rabe selbst einmal im Journalisten-Beruf ausprobiert hat, bevor er lieber wieder Lehrer wurde, bekommen seine Worte noch mehr Bedeutung. Wobei die meisten nicht wissen, dass Rabe seinerzeit zum Redaktionsleiter der Elbe-Wochenblätter bestellt wurde, um die Kosten zu senken. Um eine bessere journalistische Qualität ging es offenbar weniger.

Redaktionen sollten immer alles kritisch hinterfragen und auch selbstkritisch sein. Dabei macht auch der Ton die Musik – erst recht beim Landesfinale eines Debattenwettbewerbs. In der Sache ging es Rabe darum, dass er während der Corona-Pandemie – übrigens in einem auffallenden Meinungseinklang mit Kolleg*innen aus anderen Bundesländern – dafür plädiert hatte, möglichst lange Präsenzunterricht zu gewährleisten. Eine Auffassung, die der Autor dieses Kommentars als Vater von vier Kindern übrigens seinerzeit begrüßte und unterstützte. Ein Teil der Medien kritisierte die Strategie der Kultusminister*innen – zum Teil aus Sorge um die Schüler*innen, zum Teil, weil sie im Gesamtkontext der Corona-Maßnahmen widersprüchlich erschien. Diese Widersprüche öffentlich zu benennen, gehört zu den Rechten und Pflichten von Journalist*innen.

Journalistische Medien in Zeiten zahlreicher globaler Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche insgesamt zu diffamieren, anstatt sie wertzuschätzen und jungen Menschen näher zu bringen, ist eines Demokraten unwürdig. Journalistische Produkte, die durch mehrere Redaktionsprozesse gegangen sind, oft unter schwierigen Arbeitsbedingungen, bevor sie veröffentlicht wurden, als “dahingerotzt” zu bezeichnen, ist der Stil eines ganz schlechten Lehrers. Setzen, Sechs!

*Korrektur: Hier wurde gestrichen, dass Ties Rabe Schulleiter war. Das ist falsch. Ein Leser hat uns auf den Fehler  hingewiesen (siehe Kommentare)

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Anteil von Frauen in Führung sinkt

Nach Jahren positiver Entwicklung sinkt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Journalismus das zweite Jahr in Folge. Der Verein Pro Quote hat eine neue Studie erstellt. Besonders abgeschlagen sind demnach Regionalzeitungen und Onlinemedien, mit Anteilen von knapp 20 Prozent und darunter. Aber auch im öffentlichen Rundfunk sind zum Teil unter ein Drittel des Spitzenpersonals weiblich.
mehr »

dju fordert Schutz für Medienschaffende

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di fordert nach dem erschreckend milden Urteil im Verfahren zum Angriff auf Journalist*innen in Dresden-Laubegast staatlich garantierten Schutz für Medienschaffende. Über zehn Männer hatten im Februar 2022 in Dresden-Laubegast am Rande einer Demonstration im verschwörungsideologischen Milieu sechs Journalist*innen und ihren Begleitschutz angegriffen.
mehr »

Unsicherheit in der Medienlandschaft

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen auf die Medienbranche wurden auch bei des diesjährigen Münchner Medientagen intensiv diskutiert. Besonders groß sind die Herausforderungen für Online-Redaktionen. Im Zentrum der Veranstaltung  mit 5000 Besucher*innen, mehr als 350 Referent*innen aus Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, stand allerdings die Frage, wie Tech-Konzerne reguliert werden sollten.
mehr »

Für faire Arbeit bei Filmfestivals

„Wir müssen uns noch besser vernetzen und voneinander lernen!“, war die einhellige Meinung bei der Veranstaltung der ver.di-AG Festivalarbeit im Rahmen des  Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Die AG hatte zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel Labour Conditions for Festival Workers: Roundtable & Fair Festival Award Launch eingeladen. Zu Gast waren internationale Teilnehmer*innen. Die Veranstaltung war auch der Startschuss zur ersten Umfragerunde des 4. Fair Festival Awards.
mehr »