Die Bundesländer haben in den letzten Jahren begonnen, ihre Polizeigesetze zu erneuern. Einige sind bereits in Kraft, andere noch in der parlamentarischen Abstimmung. Die Polizei bekommt in der Regel mehr Befugnisse und wird aufgerüstet. Das hat auch Auswirkungen auf die Medien und ihre freie Berichterstattung. Es berührt das Zeugnisverweigerungsrecht und den Quellenschutz, wenn beispielsweise Recherchematerialien unter bestimmten Bedingungen konfisziert werden dürfen.
Als er kürzlich von einer aktuellen Diskussion des Entwurfs für Niedersachsens neues Polizeigesetz las, sprangen bei Lutz Kokemüller, Leiter des ver.di-Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie in Niedersachsen und Bremen, „alle Lampen auf Rot“. Der Grund: Die Polizei soll zukünftig Material auch von Presseleuten konfiszieren und auswerten dürfen, wenn es sich um „Bild- und Tonaufzeichnungen öffentlich zugänglicher Räume“ handelt und eine „Gefahr für die Sicherheit oder den Bestand des Bundes oder eines Landes sowie für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“ nicht anders abgewehrt werden kann. So steht es im neu geschaffenen Paragraf 32 a des Entwurfs für das „Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Der Innenausschuss des Landtags hat Ende Januar bei Enthaltung der Grünen und der FDP dieser Neuerung zugestimmt. Mittlerweile hat Kokemüller aus zuverlässigen Quellen erfahren, dass sowohl SPD als auch CDU diesen Paragrafen nun doch streichen wollen. Begründung: Er sei unnötig, da solche Befugnisse sich schon aus anderen Vorschriften ergäben!
Diese Befugnisse sind auch in anderen Bundesländern geplant oder schon Realität. Mit einer fast identischen Formulierung wie in Niedersachsen wird in Paragraf 77 des Entwurfs für das „Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz“ bestimmt, dass Maßnahmen gegen „Berufsgeheimnisträger“ durchgeführt werden dürfen, „durch die voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte“. Einzige Ausnahme sind Anwält*innen. Amnesty International hält in einer kritischen Analyse des Gesetzentwurfs fest, dass die Aufweichung des Zeugnisverweigerungsrechts „Notar*innen, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen und Journalist*innen“ betrifft.
Und warum genießen Rechtsbeistände und Geistliche einen höheren Schutz? Dr. Ralph Zimmermann, Assistent am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Leipzig, erläutert, dass zum einen an die Überwachung von Anwält*innen höhere Anforderungen gestellt würden, weil es da ein besonderes Vertrauensverhältnis gebe. Zum anderen habe das Bundesverfassungsgericht schon 2003 für den Journalismus geurteilt, dass es bei der Regelung des Berufsgeheimnisses einen Spielraum gibt, also Bedingungen festgelegt werden dürfen, unter denen das Zeugnisverweigerungsrecht gebrochen werden darf. Der Jurist hat den Entwurf für Sachsens neues Polizeigesetz analysiert. Er gibt zu, dass es eine Schlechterstellung der Presse im Vergleich zu vorher enthalte, wiegelt aber ab: Nur bei „spezifischen Gefahren“ dürfe die Polizei die neuen Befugnisse ausnutzen. Wenn sie abhören will, muss das von einem Gericht auf Basis konkreter Tatsachen genehmigt werden. Für den Fall, dass Journalist*innen nachträglich gegen eine Datenerhebung klagen, fügt Zimmermann hinzu: „Die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte sind sehr grundrechtssensibel, was die Pressefreiheit angeht.“ Der Rechtswissenschaftler bestätigt aber auch, dass durch den Machtzuwachs der Polizei (potenzielle) Pressequellen abgeschreckt werden können: „Das wird vermutlich Leute, die sich mit Informationen aus staatlichen Stellen an Medien wenden möchten, dazu bringen, das nochmal zu überdenken.“
Präventivmaßnahmen gegen Unbescholtene
Gerade auch wer politisch aktiv ist, könnte bei genauer Lektüre der geänderten Polizeigesetze ins Grübeln kommen, ob es ratsam ist, heikle Informationen an Journalist*innen weiterzugeben. Die neuen polizeilichen Befugnisse beziehen sich nämlich vor allem auf die Gefahrenabwehr, richten sich also gegen Menschen, denen vielleicht gar keine konkrete Tat vorgeworfen werden kann. „In NRW ist jetzt für die bloße Feststellung der Identität ein Polizeigewahrsam von bis zu sieben Tagen möglich“, sagte zum Beispiel Dr. Maria Scharlau von Amnesty International unlängst in einem Interview. Sie stellt einen Zusammenhang zum Kampf um den Hambacher Forst her, wo die Polizei gerne mehr Macht gehabt hätte. Das Bündnis, das gegen das 2018 verabschiedete Polizeigesetz für Nordrhein-Westfalen protestiert hat, hält fest, dass bei der Verlagerung der Verbrechensbekämpfung ins Vorfeld von Straftaten eine Annäherung an die Terrorismusbekämpfung stattgefunden habe.
In Bayern wurde ebenfalls 2018 die Bekämpfung „drohender Gefahren“, die nicht näher definiert sind, gesetzlich verankert, was der Polizei beängstigende Freiheiten einräumt. Der Begriff „drohende Gefahr“ wurde in NRW zwar aufgrund der Proteste gestrichen, aber durch „drohende terroristische Gefahr“ ersetzt und um eine Liste konkreter Straftatbestände ergänzt, erklärt Kerstin Demuth vom Bielefelder Bürgerrechtsverein Digitalcourage, der gegen diese Verschärfung des Polizeigesetzes NRW nun Verfassungsbeschwerde einreichen will. So beziehen sich die neuen Überwachungs- und Inhaftierungsmöglichkeiten nun unter anderem auf „gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr“. Berichterstattung zu Aktionen zivilen Ungehorsams dürfte sich so schwieriger gestalten, denn wer in einer öffentlichen Aussage oder einem vertraulichen Gespräch mit Presseleuten Insiderwissen zu bestimmten Protesten (wie im Hambacher Forst) offenbart, gerät eventuell in den Fokus der Polizei, wenn im Umfeld dieser Proteste Straftaten verübt werden. Laut Digitalcourage gibt es damit eine prinzipielle Unsicherheit für Leute, die an solchen Protesten beteiligt sind.
Befugnisse im Übermaß nicht nur in Sachsen
Friedemann Ebelt von Digitalcourage hat sich detailliert mit dem Entwurf für Sachsens neues Polizeigesetz beschäftigt. Er spricht angesichts der vielen Aktionsfelder, in denen die Polizei neue Rechte bekommt, von einem „Überlastungsangriff auf die Zivilgesellschaft, Berufsverbände und die Gerichte“, denn „man kommt mit der Kritik nicht hinterher“. Zu der schieren Zahl der diskussionswürdigen neuen Befugnisse komme zudem deren oft unkonkrete Regelung hinzu. Schon ein bloßes Überfliegen des Gesetzentwurfs zeigt mehrere vage Formulierungen, die in der Praxis auslegbar sind. Auch der Juraprofessor Clemens Arzt, Direktor des Forschungsinstituts für öffentliche und private Sicherheit der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, kritisiert den Gesetzentwurf in einer ausführlichen Analyse für den Sächsischen Landtag aus verfassungsrechtlicher Perspektive. Wiederholt spricht er von „erheblichen Bedenken“ und „Übermaßverbot“. Auf ähnliche Weise kritisierte der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des niedersächsischen Landtags in detaillierten Einwänden auch das aktuell zur Debatte stehende dortige Polizeigesetz.
Für ver.di haben sowohl der Landesverband Niedersachen-Bremen in einer kurzen, aber drastischen Stellungnahme als auch sein „Fachausschuss der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte“ in einer langen juristischen Analyse den Gesetzentwurf verurteilt. Ein breites Bündnis kämpft ebenfalls weiter dagegen.
Presseleute werden oft nicht als solche akzeptiert
Aufgrund der vielen auslegbaren vagen Formulierungen gibt es noch einen weiteren Aspekt, der Presseleute in der Praxis betrifft, denn wer als Presse angesehen wird, ist bisweilen unklar. Deshalb hält die Polizei mitunter Menschen fest oder konfisziert deren Material, die sie als Aktivist*innen ansieht, die sich selbst jedoch als Berichterstatter*innen sehen. Diese Leute werden dann vielleicht auch von Gerichten, die über eine Überwachung oder andere Maßnahmen gegen sie zu entscheiden haben, nicht als Presse angesehen. Wissenswert ist in diesem Zusammenhang, dass beispielsweise in Berlin in den Jahren 2008 bis 2016 keine einzige der über 14000 von der Staatsanwaltschaft beantragten Telekommunikationsüberwachungen gerichtlich abgelehnt wurde. In Leipzig sorgte 2017 und 2018 für Aufsehen, dass die Polizei über Monate hinweg bei einer groß angelegten Überwachungsaktion Gespräche mit Journalist*innen, Rechtsanwält*innen und Ärzt*innen abhörte. Sie informierte die Betroffenen auch nicht nachträglich umgehend und löschte die Mitschnitte erst sehr spät. Im Landtag erklärte es Sachsens Justizministerium der Zeit zufolge zu einer „Wertungsfrage“, ob jemand als Journalist gelte oder nicht, also einfach so abgehört werden kann – oder nur unter sehr erschwerten Bedingungen.
2013 gab es Razzien bei zwei Handvoll Menschen, die zum Teil als Pressefotografen bekannt waren, um an Fotos zu kommen, die möglicherweise bei Ermittlungen wegen eines Angriffs auf einen Polizisten am Rande von Protesten in Frankfurt helfen könnten. Anschließend sprach die Staatsanwaltschaft von einem Missverständnis. 2016 passierte dasselbe noch einmal bei gewalttätigen Protesten in Frankfurt. Noch mehr Narrenfreiheit scheint die Polizei 2017 in Kiel gehabt zu haben. Insidern zufolge soll sie Telefonate der Kieler Nachrichten abgehört haben.
Hinzu kommt das erhöhte Risiko, dass auch Journalist*innen wegen eines vermeintlichen Angriffs auf die Polizei, etwa im Gedränge einer Demonstration, in den Fokus der Justiz geraten können. Die Grundlage dafür bietet die Strafrechtsverschärfung zum Schutz von Polizist*innen und Vollstreckungsbeamt*innen, die vom Bundestag im Mai 2017 kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg beschlossen wurde. Danach kann ein Angriff auf Polizist*innen mit mindestens drei Monaten Haft bestraft werden (die auch in eine Geldstrafe umgewandelt werden kann). Das gilt auch für Handlungen wie einen Schubser ohne Verletzungsfolgen.
Aktualisierung der Redaktion am 14. März 2019:
Am 13. März ist nach monatelanger Kontroverse auch in Brandenburg ein neues Polizeigesetz beschlossen worden. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) hatte die Notwendigkeit stets mit der gestiegenen Terrorgefahr im Land begründet. Gemäß der Neuregelung können Gefährder bis zu vier Wochen vorbeugend inhaftiert werden. Die Polizei darf verdachtsunabhängig Kontrollen ausweiten, die sogenannte Schleierfahndung. Das Gesetz gestattet Kontrollen nicht nur wie bislang an der Grenze, sondern auch an Bundesfernstraßen und Raststätten. Außerdem können Einsätze der Beamten künftig mit Körperkameras dokumentiert und die Speicherfristen der Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen von zwei Tagen auf zwei Wochen verlängert werden.
Aus dem ursprünglichen Entwurf des Innenministers waren auf Druck der mitregierenden Linken Maßnahmen wie elektronische Fußfesseln für terroristische Gefährder, Online-Durchsuchungen an Handy oder Computer und das Ausspähen von Messenger-Diensten gestrichen worden. Die Oppositionsfraktionen CDU und AfD sprachen von einem weichgespülten Gesetz, das die Polizei unter Generalverdacht stelle und stimmten dagegen. Die Grünen lehnten die Novelle ab, weil damit zu stark in die Bürgerrechte eingegriffen werde. Auch bundesweit gab es Kritik.
Aktualsierung der Redaktion am 11. April 2019:
Der Sächsische Landtag hat am 10. April mit deutlicher Mehrheit das umstrittene neue Polizeigesetz angenommen. Unter anderem sieht das Gesetz die landesweite Einführung von Bodycams – am Körper getragener Kompaktkameras für die Aufzeichnung von Einsätzen – vor. Sie sollen Polizisten vor Übergriffen schützen. Auch die automatisierte Erfassung von Autokennzeichen wird erlaubt. Die SPD konnte ihre Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten dagegen nicht durchsetzen. Bürgerrechtler hatten sie gefordert, um Polizist*innen bei Fehlverhalten identifizieren zu können. Außerdem erhält die Polizei mehr Überwachungsrechte und darf etwa nach richterlicher Zustimmung auch ohne Verdacht auf eine konkrete Straftat Telefongespräche abhören und Kurznachrichten lesen. Auch die Überwachung von Gefährdern durch elektronische Fußfesseln wird erlaubt. Vor der Abstimmung im Landtag hatte es Proteste und mehrfach Demonstrationen gegeben, zuletzt am 8. April in Dresden.