Pressefreiheit als Versuchskaninchen

Tierversuchslabor Covance macht noch immer Druck gegen Bildveröffentlichungen

Die Welt wurde an sich wieder geradegerückt. Die Bilder, die der Journalist Friedrich Mülln heimlich über die Zustände in einem Münsteraner Tierversuchslabor aufnahm, dürfen im Wesentlichen wieder öffentlich gemacht werden (M 04 / 2004). Dennoch stellte der Bildjournalist nach zunächst wieder gestiegener Mediennachfrage in den letzten Wochen ein „abrupt abfallendes Interesse“ an seinen Aufnahmen fest.

Es wurde vielfach darüber berichtet: Das Oberlandesgericht Hamm hatte ein generelles Landgerichtsverbot weitgehend revidiert, die Aufnahmen der Haltung von Versuchsaffen und des Umgangs des Personals mit ihnen bei der Covance Laboratories GmbH zu veröffentlichen. Die Berufungskammer hat dem Bildjournalisten Mülln nun rechtskräftig eingeräumt, sein verdeckt aufgenommenes Filmmaterial, das Tierschützer und Öffentlichkeit alarmiert hatte, sei „trotz der rechtswidrigen Beschaffung“ durch das Grundrecht der Pressefreiheit gedeckt, „weil es zur Kontrollaufgabe der Presse gehört, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen“. Das insgesamt 40 Stunden umfassende Material „zeigt für sich allein gesehen authentische Szenen“, bestätigte das Gericht. Allerdings, so wurde dem Journalisten in der schriftlichen Urteilsbegründung aufgegeben, dürfe man damit „keine irreführende Botschaft verbreiten, sei es durch verfälschenden Begleittext oder durch suggestive Schnittführung“. Mit einer überzogen reißerischen und verfälschenden Präsentation begründet die Kammer denn auch das fortbestehende Verbot der Verbreitung von vier Filmen, u. a. in SAT.1- und Pro 7-Magazinen gesendet, die sich auf das von Mülln aufgenommene Bildmaterial stützen. Der Urheber sei jedoch „deshalb nicht gehindert, das vorhandene Filmmaterial etwa zu einem neuen Film zusammenzustellen“.

Auf der Internetseite des ZDF-Magazins „Frontal 21“ wird der Prozessausgang seit Anfang September als „Sieg für die Pressefreiheit“ gefeiert. Kein Wunder, das ZDF-Magazin hatte am 9. Dezember 2003 den ersten „insgesamt relativ ausgewogen“ recherchierten Bericht, so attestiert das zweitinstanzliche Urteil, über die Tierversuche in der Firma Covance gesendet. Damit wurden 3,5 Mio. Zuschauer erreicht. Doch zwischenzeitlich hatte selbst „Frontal 21“ – im Untertitel „kritisch, investigativ, unerschrocken“ – alle Online-Inhalte zum Thema Covance aus dem Netz genommen. Offenbar wollte die Rechtsabteilung in Mainz Trubel aus dem Weg und auf Nummer sicher gehen.

Fotos verschwunden

Alles, was nach der Urteilsverkündung am 21. Juli kam, ist mit dem Hinweis auf eine laufende juristische Auseinandersetzung nicht mehr zu erklären. In den Publikationen ganzer Verlagsriesen ist das Thema seit Monaten verschwunden. Weder auf den Internetseiten von Bild-online, noch von Welt oder Welt am Sonntag, Berliner Morgenpost oder Hamburger Abendblatt wird man in Sachen Tierversuche und Covance fündig. Das scheint die Mülln hinter der Hand zugetragene Erklärung zu stützen, dass bei Springer der Rückzieher auf oberster Konzernebene und besonders gründlich vollzogen wurde.

Selbst nach dem Urteil ging Covance weiter in die Offensive. Asbjörn Svarstad, Korrespondent skandinavischer Zeitungen in Berlin, bekam das nach zwei großen bebilderten Artikeln, die er im schwedischen „Aftonbladet“ und dem norwegischen „Dagbladet“ veröffentlicht hatte, zu spüren. Ihm wurde die besondere Aufmerksamkeit des Laborunternehmens zuteil: mit zwei Faxen, einer Express-Sendung per Boten und zwei E-Mails. Ein Tom Leyton aus der PR-Abteilung bezeichnet darin Svarstads Berichte als „inkorrekt“. Man habe ihm so demonstrieren wollen „wir wissen, wer Sie sind und wo Sie wohnen“, meint der Korrespondent und ist sicher, „dass man keine weiteren solchen Berichte“ von ihm „sehen möchte“.

In mehrseitigen, verklausulierten Schreiben wandten sich die Anwälte des Tierversuchslabors auch „vorsorglich“ oder mit Hinweis auf geplante Veröffentlichungen an Journalisten und Sender, um ihnen ihre Sicht der Rechtslage aufzudrängen. „Angedachte Veröffentlichungen“ heißt es da, müssten sich in einem „engen Rahmen bewegen“. Und ebenfalls „rein vorsorglich“ weisen die Advokaten darauf hin, dass die Aufrechterhaltung von Vorwürfen gegenüber Covance „durchaus Verleumdungscharakter haben kann und auch Schadensersatzforderungen nach sich ziehen kann“. Juristischer Nachhilfeunterricht oder Drohung? Nicht überall dürfte es in Redaktionen und Rechtsabteilungen so professionell gelaufen sein wie im Fall des RBB-Magazins „Polylux“. Hier waren Covance-Anwälte Anfang August nach der Ankündigung eines Filmberichts für die nächste Sendung aktiv geworden „Nahezu täglich“, sei man daraufhin „mit Schreiben bombardiert“ worden, erinnert sich Stefan Mathieu, Geschäftsführer der Kobalt Productions GmbH, die Polylux produziert. Doch: „Wer häufiger heikle Themen anfasst, darf sich von so etwas nicht schrecken lassen.“ Mit Hilfe eines „klugen und mutigen Justitiars des RBB“, so Mathieu, sei es gelungen, solche Formulierungen zu finden, dass man nicht Gefahr lief, eine Unterlassungserklärung auf den Tisch zu bekommen. Tatsächlich folgte nach dem planmäßig ausgestrahlten Polylux-Bericht von der Firma Covance nur noch „Schweigen im Walde“.

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