Der Deutsche Presserat hat auf seiner Beschwerdeausschusssitzung Mitte Juni wegen schwerer Verstöße gegen den Pressekodex insgesamt zehn öffentliche Rügen ausgesprochen. Drei davon betreffen BILD und BILD Online. Der Rheinneckarblog wurde wegen seines Berichts über einen erfundenen Terroranschlag gerügt, der „dem Ansehen der Presse massiv geschadet“ habe, befand der Presserat. Die Netanjahu-Karikatur in der Süddeutschen Zeitung (SZ) ist dagegen von der Meinungsfreiheit gedeckt und stellt demnach keinen Verstoß dar.
Die Grenze zur Diskriminierung von Juden nach Ziffer 12 Pressekodex ist nicht überschritten, entschied das Gremium der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse mehrheitlich. Die Gesichtszüge des israelischen Premierministers sind zwar überzeichnet, im Rahmen der Meinungsfreiheit ist dies aber zulässig. Die Karikatur wurde im zuständigen Ausschuss gründlich erörtert. Einige Mitglieder kritisierten eine stereotype Bildsprache und hielten die Beschwerden für begründet. Die Rolle des Davidsterns als religiöses und auch staatliches Symbol wurde im Ausschuss unterschiedlich bewertet. Acht Leserinnen und Leser hatten sich beim Presserat beschwert, weil sie sich u.a. an Zeichnungen aus dem nationalsozialistischen „Stürmer“ erinnert fühlten.
Erfundener Terror-Anschlag in Mannheim schadet dem Ansehen der Presse
Der Presserat rügt den Rheinneckarblog für die Erfindung eines Terror-Anschlags. Unter der Überschrift „Massiver Terroranschlag in Mannheim“ hatte der Blog detailliert über einen Terroranschlag und ein „Blutbad apokalyptischen Ausmaßes“ mit 136 Toten berichtet, die es gar nicht gegeben hatte. Die Redaktion gab an, der Text sei so übertrieben gewesen, dass jeder durchschnittliche Leser hätte stutzig werden müssen. Der Presserat folgt der Kritik der Beschwerdeführer, dass über den fiktionalen Charakter des Berichts erst hinter einer Bezahlschranke aufgeklärt wurde.
Aktuelles Foto von Gladbeck-Täter durfte nicht gezeigt werden
BILD erhält eine Rüge für die Abbildung eines aktuellen Fotos des aus der Haft entlassenen Gladbeck-Geiselnehmers Dieter Degowski. Der Presserat sieht darin einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex, nach der bei zurückliegenden Straftaten im Interesse der Resozialisierung die Fotoveröffentlichung eines Täters unterbleiben soll. Kritik übte der Ausschuss auch an der Veröffentlichung des Fotos des zweiten Gladbeck-Täters Hans-Jürgen Rösner, den BILD ebenfalls mit einem aktuellen Foto aus dem Gefängnis zeigte. Auch dieser soll im Hinblick auf eine mögliche Entlassung nicht gezeigt werden. Als eine Verletzung des Pressekodex sah der Ausschuss schließlich auch die Abbildung des von Degowski ermordeten Emanuele de Giorgi kurz nach der Tat. Das Foto des verblutenden Jungen ist 30 Jahre später nicht vom öffentlichen Interesse gedeckt und verletzt den Schutz des Opfers und der Angehörigen.
Verstoß gegen Transparenzpflicht gefährdet Glaubwürdigkeit der Medien
Der Presserat rügt den Kölner Stadt-Anzeiger und die Kölnische Rundschau für schwere Verstöße gegen Transparenzpflichten aus den Ziffern 1 und 6 des Pressekodex. Die Redaktionen hatten Pressemitteilungen für die Leser nicht nachvollziehbar gekennzeichnet (Richtlinie 1.3) und die Doppelfunktion einer Agentur nicht offengelegt (Richtlinie 6.1). Die Agentur arbeitet im Verbreitungsgebiet der Zeitungen als Pressestelle einer Kommune und gleichzeitig als Zulieferer von journalistischen Inhalten für die Redaktionen. In ihrer Funktion als Pressestelle verantwortet sie die Pressemitteilungen der Stadtverwaltung und beantwortet Medienanfragen. Als Zulieferer der Redaktionen berichtet sie zudem über diverse lokale Themen. Alle diese Beiträge wurden in gleicher Weise mit Namen bzw. dem Kürzel der Agentur gekennzeichnet. Den Lesern bleibt dadurch unklar, ob es sich bei den Artikeln um städtische Pressemitteilungen handelt, ob die Agentur in ihrer Funktion als Pressesprecher der Kommune auf redaktionelle Anfragen antwortet oder ob sie den Text im Auftrag der Redaktion erstellt hat. Eine solche Praxis gefährdet nach Ansicht des Presserats die Glaubwürdigkeit der Medien.
Kritik an ungeprüfter Übernahme von Informationen anderer Medien
Der Presserat sieht in der Veröffentlichung ungeprüfter Aussagen aus anderen Medien einen Verstoß gegen den Pressekodex. Beim Presserat hatte sich ein Leser wegen mehrerer Berichte über eine Berliner Demonstration gegen die geplante Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem beschwert. Bundesweit hatten Medien behauptet, aus der Demonstration heraus sei von einer signifikanten Menge minutenlang „Tod den Juden“ skandiert worden. Später stellte sich heraus, dass diese Meldung falsch war und es nur vereinzelt solche Zwischenrufe gab. Zahlreiche Medien hatten sich auf einen regionalen Zeitungsbericht verlassen, in dem ein Fehler unterlaufen war.
Namen und sexuelle Orientierung von Angeklagten durften nicht genannt werden
Der Beschwerdeausschuss Redaktionsdatenschutz spricht gegen die TAZ eine Rüge aus wegen eines Verstoßes gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Ziffer 8 des Pressekodex. Im Rahmen eines Prozessberichts wurden die sexuelle Orientierung und Krankheitsgeschichte der Angeklagten erwähnt, da sie für die Urteilsfindung relevant waren. Gleichzeitig wurden die Angeklagten durch eine Vielzahl von Angaben im Text, wie die Nennung ihrer Vornamen, ihrer Unternehmen und des Stadtteils für einen erweiterten Personenkreis identifizierbar. In dieser Kombination wurden Details aus der Intimsphäre der Betroffenen bekannt gemacht, ohne dass daran ein öffentliches Interesse besteht.
Insgesamt hat der Presserat in seinen Beschwerdeausschusssitzungen am 12., 13. und 14. Juni zehn öffentliche Rügen und 12 Missbilligungen ausgesprochen sowie 24 Hinweise erteilt. Bei sieben als begründet erachteten Beschwerden wurde auf eine Maßnahme verzichtet, 55 Beschwerden wurden dagegen als unbegründet bewertet.