Pro & Contra: Blogs

Alle Macht den Bloggern

Stefan Krempl | Während des US-Wahlkampfs haben sich gestandene TV-Nachrichtenmoderatoren lauthals darüber beklagt, dass Weblogger regelrechte Hetzkampagnen gegen sie führen würden. Tatsächlich ist es für alte Medienhasen „unerhört“ im Sinne von neu, dass ihnen eine Schar selbsternannter Kritiker plötzlich auf die Finger schaut und dabei so manche bislang unkorrigierte Falschmeldung entdeckt. Beispielsweise, dass der US-Sender CBS getürkte Dokumente präsentierte, um George W. Bush als Faulpelz bei der amerikanischen Nationalgarde darzustellen. Viele alte Medien müssen sich angesichts der kollektiven Faktenprüfung ambitionierter Blogger wie die Katholische Kirche vorkommen, als Gutenberg den Buchdruck erfand: Zuvor konnte der Vatikan immer kontrollieren, was geschrieben wurde, und hatte somit immer Recht.

Weblogs stellen im Prinzip eine weitere ernorme Vereinfachung des Publizierens dar. Jeder, der sich berufen fühlt, kann sich im Handumdrehen eine Plattform im Netz schaffen. Darüber wird auch so manche Sau durchs globale Dorf getrieben, es werden Gerüchte gepflanzt und rasant verbreitet. Doch wie in den traditionellen Medien, setzt im zweiten Gang in der Blogosphäre, dem sich rasch vergrößernden Universum der Online-Schreiber, eine Trennung der Spreu vom Weizen ein. Auch ernsthafte Blogger müssen sich erst Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Leser erwerben. Sie setzen daher alles daran, auf Originaldokumente im Netz oder auf andere Autoritäten zu verweisen, die ihre Thesen belegen. Sie haben sich so zu unentbehrlichen Media-Watchdogs in einer Informationsmaschinerie entwickelt, in der um des „Scoops“ willen in teils kaputt gesparten Redaktionen die Erfordernisse des viel beschworenen „Qualitätsjournalismus“ schon mal ins Hintertreffen geraten. Ihre durchaus subjektive Stimme hat Gewicht und findet manchmal einen treffenderen und ungeschminkteren Blick auf die Wirklichkeit als ein Profi-Journalist, wie der Gegensatz zwischen den eingebetteten Reportern und dem Bagdad-Blogger Salam Pax im Irak-Krieg zeigte.

Die Macht der Blogosphäre haben zahlreiche altehrwürdige Medien wie etwa „Die Zeit“ längst anerkannt: sie sind auf den Zug aufgesprungen und betreiben eigene Weblogs. Generell ist der in den Online-Journalen teils zutage tretende Kontrast zwischen alten und neuen Medien gar nicht so groß: beide sind Teil ein und desselben Informationsuniversums und verstärkt aufeinander angewiesen. Jedenfalls hätten die Blogger ja gar nicht viel zu kommentieren, wenn sie nicht auf das ihnen angebotene Futter der Massenmedien verlinken könnten. Und auch mancher erfahrene Journalist findet erst in seinem Blog so richtig zu seiner durch weniger Konventionen eingeengten Form.

Stefan Krempl ist freier Fachjournalist und Medienforscher, Kern seines kleinen Bloggerimperiums ist www.spindoktor.de

Blogs sind kein Journalismus

Von Holger Wenk | Plötzlich sind sie in aller Munde: Weblogger. Die Wortneuschöpfung aus Internet und Tagebuchschreiben ist eine zunehmend beliebte Ausdrucksweise der Web-Fangemeinde. Inzwischen nutzen selbst renommierte Medien diese neue Online-Form – zuletzt bei den US-Präsidentschaftswahlen. Doch ausgerechnet da, wo schnelle Information und Trenderkennung obsiegen sollte, versagte der tolle Cyber“journalismus“: Traditionelle Medien sowie Wettbüros und ihre schnöden Mammon-Quoten spiegelten den tatsächlichen Wahlausgang exakter wieder als die Blogger, konstatiert das Online-Portal Cnet.

Kein Wunder: Ein subjektiver Blogger ist nur sich selbst verpflichtet, hat nichts zu verlieren – außer seinem Selbstwertgefühl. Ein Zocker dagegen verliert seinen Wetteinsatz, ein Journalist seinen Ruf und sogar seinen Job (seinen Auftrag), wenn er nur seinem Gefühl folgt, nur seine Meinung wiedergibt. Eines der Blogger-Manifeste im www bringt die Attitüde auf den Punkt: „Journalismus … formatiert nur die Wirklichkeit in Layout-Raster und Auflagen-Optimierungsstrategien … Wir sind Guerilla-Publizisten!“. Ist also jeder Laie berufen, journalistisch eine Art Gegen-Öffentlichkeit zu schaffen?

Mitnichten! Journalisten in einer demokratischen Gesellschaft sind dazu berufen, möglichst objektiv – oder entsprechend nachvollziehbarer Kriterien der Medienbesitzer (Tendenz) – die Realität widerzuspiegeln. Berufung meint auch Beruf. Dessen Kern besteht aus drei Elementen: Professionelles Handwerk (beim Umgang mit Sprache, Text, Bild), Moral & Ethik (Standards z. B. im Umgang mit Quellen) und Verantwortungsbewusstsein (für die gesellschaftliche Aufgabe von Journalismus).

Gelegentliche Enthüllungen (im Wust von Unwahrheiten und Gerüchten) der Online-Schreiber können nicht darüber hinwegtäuschen: Webloggs sind eine legitime Form von Meinungsäußerung, Journalismus sind sie in der Regel nicht! Es fehlen den meisten Hobby-Publizisten wie ihren Produkten die drei erwähnten Kernbestandteile. Dass dieser Mangel auch bei „etablierten“ Medienmachern zu Entgleisungen führt, liegt am Doppelcharakter ihrer Produkte: Presse, Rundfunkprogramme und Online-Medien leben eben als Kulturgut nicht von Luft und Liebe allein, sondern müssen bei Strafe des eigenen Untergangs auch Wirtschaftsgut sein. Unterhaltung verkauft sich in der – bzw. an die – Masse eben besser. Deshalb gibt’s in den Medien nicht nur Information und Aufklärung, sondern integriert ein etabliertes Medium schon mal Webloggs, um unterhaltsamer zu wirken. Oder sich einen Anschein von Guerilla-Publizistik zu geben.

Meinungsfreiheit und Medienfreiheit sind zwei Seiten einer Medaille – miteinander verwechseln sollte man sie nicht!

Holger Wenk, Medienjournalist und Kommunikationsexperte, ist stellvertretender Beisitzer im dju-Bundesvorstand

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »