Fünftes IQ-Herbstforum diskutierte über journalistische Perspektiven
Die journalistische Qualität ist bedroht: von rigiden Sparprogrammen der Verlage und Sender im Gefolge der wirtschaftlichen Rezession, von der Gratiskonkurrenz aus dem Internet, von der Beschleunigung der Nachrichtenproduktion. So lautete das wenig ermutigende Fazit der Experten beim Fünften Herbstforum der Initiative Qualität (IQ) am 19. Oktober in Berlin.
Professor Volker Lilienthal von der Uni Hamburg zeichnete eingangs ein düsteres Bild von der Situation in der Printmedienbranche: Anzeigenkrise, nachlassendes Kaufinteresse der Medienkonsumenten und Sparmaßnahmen, die gegenwärtig bei vielen Verlagen in „rabiate personelle Abbauprozesse“ und „kostensparende Redaktions- oder Inhalte-Fusionen“ mündeten. Beispielhaft nannte er die aktuellen Vorgänge bei Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau und der Südwestdeutschen Medienholding. Diese Prozesse gingen auf Kosten der Qualität. Unter den aktuellen Bedingungen, so fürchtet auch Lilienthal, werde der Markt diese Entwicklung kaum korrigieren können. Die Anzeigenumsätze befinden sich in freiem Fall. Zugleich suchen die Verleger nach wie vor händeringend nach validen Geschäftsmodellen im Internet. Ob künftig eine ausreichende Anzahl von Nutzern bereit sein werde, für Qualitätsinhalte im Netz zu zahlen, sei weiterhin unklar. Für denkbar hält Lilienthal daher eher eine staatlich verordnete Kulturflatrate. Also ein Obolus, erhoben bei Internet-Dienstleistern, die an den journalistisch erarbeiteten Inhalten mitverdienen. Diese Mittel könnten nach einem VG-Wort- oder GEMA-Modell an die Produzenten von Qualitätsinhalten verteilt werden.
Für weniger gelungen hält der Medienwissenschaftler Vorschläge, wie sie beispielsweise in den aktuellen „Medienpolitischen Thesen der CDU“ im Hinblick auf den privaten Rundfunk gemacht werden. Die Technikförderung für Privatsender durch die Landesmedienanstalten, so heißt es darin, solle „kostenneutral um eine Qualitätsförderung ergänzt werden“. Davon halte er schon deshalb nichts, weil das indirekt auf eine Quersubventionierung des Privatfunks aus öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühren hinauslaufe. Außerdem habe auch in den Landesmedienanstalten das Qualitätsbewusstsein sehr nachgelassen.
Der Informations-Overkill im digitalen Zeitalter überfordert das Publikum, konstatierte Peter Lange, Chefredakteur des gastgebenden Deutschlandradio Kultur. Das Internet habe die Medien zwar ihrer Gatekeeper-Funktion beraubt, weise ihnen aber neuerdings als Orientierung schaffenden „pathfinder“ eine umso größere Verantwortung für den demokratischen Kommunikationsprozess zu.
Kein Verzicht auf Agenturen
Bei der Bewertung, was Qualität ist, lagen die Teilnehmer des Panels „Agenturen und Autoren als Garanten der Qualität“ erwartungsgemäß nicht weit auseinander. Sorgfältige und ausgewogene Berichterstattung, Storytelling, investigativer Journalismus, Glaubwürdigkeit, Pflege der eigenen Community, multimedial für die jeweiligen Publika aufbereiteter Content, mehr Personal auch für exklusive und besondere Inhalte – vieles klang angesichts der zuvor gehörten Gegenwartsanalyse eher wie ein der Wirklichkeit entrückter Wunschzettel. Der scheidende dpa-Chefredakteur Wilm Herlyn sagte, die Zukunft seiner Agentur liege in der Kombination von nachrichtlicher Basisversorgung und Hintergrund, Analyse, Autorenstücken sowie Spezialdiensten für besondere Publika. Während Horst Seidenfaden, Chefredakteur der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen („Es geht prima ohne dpa, aber mit dpa geht es noch besser“) einen qualifizierten dpa-Basisdienst zur Grundversorgung und Themenfindung für ausreichend hält, mag Peter Stefan Herbst, Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung auf originelle Autoren-Stücke der Agenturen nicht verzichten.
Die Gratiskultur des Internet ist einerseits eine Bedrohung, andererseits ein wichtiges Kommunikationsinstrument der etablierten Medien. Als eindeutige „Bereicherung des Journalismus“ empfindet „netzeitung“-Chefredakteurin Domenika Ahlrichs die interaktiven Möglichkeiten des Internets. Im Netzzeitalter werde auch der Leser verstärkt eingebunden und zu mehr Eigenaktivität angehalten. Auf diese Weise entstehe „mehr Nähe zwischen Medium und Nutzer“. Für Petra Werner, Hochschullehrerin für Online-Journalismus an der FH Köln, können Web-2.0-Angebote die klassischen Nachrichtenmedien nicht ersetzen. Allerdings setzt auch sie auf die Dialogfähigkeit des Netzes und die Vorteile einer größeren Leserbindung. Wo der Bürger selbst journalistisch aktiv werde, erfordere es redaktioneller Filter zur Qualitätssicherung und Einhaltung medienethischer Grundsätze, sagte Norbert Schneider, Direktor der Landesanstalt für Medien (LfM) in NRW.
Seit Anfang 2009 ist der Deutsche Presserat auch für die Online-Auftritte der Printmedien verantwortlich. Was die publizistischen Inhalte im Internet angeht, so unterschieden sich die Beschwerden des Publikums wenig von denen bei herkömmlichen Printmedien, bilanzierte Fried von Bismarck, Verlagsleiter von „Spiegel Online“ und Mitglied des Deutschen Presserates. Ob anlog oder digital – bei der Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden fiel das Urteil vieler Mediennutzer gleichermaßen kritisch aus.
IQ-Sprecherin Ulrike Kaiser forderte die Unternehmen der Medienbranche auf, ausreichend Ressourcen zur Absicherung von redaktioneller Qualität und Unabhängigkeit zur Verfügung zu stellen. Dazu gehöre auch eine qualifizierte journalistische Ausbildung.