Qualitätszweifel der ersten Zuschauerin

Andrea Schröder-Jahn ist Cutterin beim NDR-Fernsehen in Hamburg

M | Beim NDR ist gerade der letzte Cutter-Volontärsjahrgang nach zweieinhalb Jahren zu Ende gegangen. Es war der letzte. Cutterinnen und Cutter werden nicht mehr aus­gebildet. Ist Cutter ein aussterbender Beruf?

ANDREA SCHRÖDER-JAHN |
 Das könnte sein. Es wird jetzt auf Leute gesetzt, die ein breiteres, technisches Spektrum in der Ausbildung haben, auf die Medien­gestalter. Die können sich nach ihrer Ausbildung für Kamera, Ton, als Techniker oder für den Schnitt entscheiden. Ist es Schnitt, dann bekommen sie noch eine dreimonatige Schnittvertiefung. Aber was sind drei Monate gegen zweieinhalb Jahre.


M | Was hat sich seit Einführung der Digita­lisierung im Berufsbild der Cutterin verändert?

SCHRÖDER-JAHN | Unser Beruf ist komplexer geworden, wir haben mehr Auf­gaben übernommen. Die neuen Systeme bieten einem alle Tools, alle Möglichkeiten, die früher in anderen Abteilungen lagen. Man kann Farbkorrekturen machen, man hat integrierte, digitale Effektsysteme. Und der Zeitdruck ist höher geworden.

M | Wieso haben sich Arbeitsverdichtung und Zeitdruck erhöht?

SCHRÖDER-JAHN | Das hängt damit zusammen, dass diese neuen Schnittsysteme einem so viele Möglichkeiten geben. Dadurch sind Autoren oft schlechter vorbereitet. Früher wurde von den Autoren vor dem Schnitt sehr viel stringenter das Drehmaterial gesichtet. Jetzt wird erst das Material eindigitalisiert und dann kann man sich ja im Schnitt entscheiden, welche Einstellung man nimmt. Das ist einfach zeitaufwendiger.

M | Aber die Schnitte werden auch in die Redaktionen verlagert.

SCHRÖDER-JAHN |
 Ja, das findet bei uns auch schon statt, beim Abendmagazin DAS! im Nachrichtenblock und bei DAS! zappt. Die Autoren schneiden Bild und Ton an einem Redaktionsschnittplatz. Das Material wird in der sendefähigen Qua­lität auf einem Server gespeichert und gleichzeitig gibt es eine Auskopplung in einer schlechteren Qualität, dem Lowres. Der geht dann auf den redaktionsnahen Schnittplatz und das sogenannte Highres in einer guten Auflösung verbleibt eben auf dem Server für die weitere Nachbearbeitung. Damit wird der vom Autor geschnittene Beitrag dann vom Techniker gemastert und damit wieder eine bessere, eine sendefähige Qualität hergestellt.

M | Sitzt denn auch ein Cutter mit in den Redaktionen oder macht der Autor das alles selber?

SCHRÖDER-JAHN | Zur Zeit sind noch Cut­ter in diesem redaktionsnahem Schnitt. Aber das sollen in der Zukunft Techniker übernehmen. Und: Die Techniker werden niedriger bezahlt als die Cutter – eindeutig. Aber das Echo, das von Eins Extra bei ARD-aktuell kommt, ist ein positives, weil die Techniker es toll finden, in die Redaktion mit eingebunden zu werden, gemeinsam mit Redakteuren an einem Produkt zu arbeiten und eben nicht nur ausführendes Organ zu sein.

M | Was halten die Cutter von den Videojournalisten?

SCHRÖDER-JAHN | Nicht viel. Es wird weniger Cutter geben, wenn die Autoren alles selber machen. Es hat schon seinen Sinn, dass es Fachleute für die einzelnen Berufe gibt. Die Schnitte werden sehr viel schlechter, die Qualität leidet. Für die Autoren bedeutet es eine erhebliche Mehrarbeit. Und: Wir sind die ersten Zuschauer, die einen Film sehen. Man berät den Autor, man erstellt ein Produkt zusammen mit dem Autor. Das alles fällt dann weg.

M | Nun sind ja einige Autoren aber auch sehr zufrieden damit, selber zu schneiden. Einige haben eigene Schnittplätze zu Hause.

SCHRÖDER-JAHN | Vor allem jüngere Autoren haben zu Hause auf ihrem PC Schnittprogramme, machen ihren eigenen Vorschnitt. Die haben zum Teil recht viel Ahnung, aber eben nicht von einem pro­fessionellem Schnittplatz, der viel komplexer und aufwendiger ist. Die quatschen einem manchmal sehr in den Schnitt rein. Oder die Kollegen bedrängen einen, was jetzt so die digitalen Effekte angeht.

M | Kann davon ausgegangen werden, dass in Zukunft kleinere Beiträge, also Magazin-Beiträge von etwa zwei- bis vierminütiger Länge auch in den Redaktionen geschnitten werden?

SCHRÖDER-JAHN | Wir werden natürlich versuchen, uns dagegen zu wehren und zu argumentieren, damit das nicht passiert. Wir Cutter wollen die klare Trennung, damit wir weiter mit den Autoren zusammenarbeiten können, quer durch die Redaktionen. Heute arbeiten wir tagesaktuell, für wöchentliche Magazine, wir schneiden auch Features. Dadurch ist der Beruf unheimlich vielfältig. Durch diese Vielfalt bildet man sich ja auch selber weiter und es macht auch viel Spaß. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, dass ich nur in einer oder nur in zwei Redaktionen arbeite, dann ist das bestimmt nett, an dem Produkt und an der Entstehung beteiligt zu sein, nur diese Vielfalt verschwindet und das fände ich für mich persönlich sehr, sehr schade.

Das Gespräch führte Wulf Beleites
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR stärken

Das Bekenntnis zur Gleichstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigt sich unter anderem im Vorhandensein von Gleichstellungsbeauftragten. Grundlage ist die jeweils entsprechende gesetzliche Regelung der Bundesländer, in denen die Sender angesiedelt sind. Gleichstellungsbeauftragte sollen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen.
mehr »

Safer reporting: Schutzkodex auf der re:publica

Das gesellschaftliche Klima ist eines der ganz großen Themen auf der diesjährigen Digitalmesse re:publica in Berlin. Auch Journalist*innen sind zunehmend Hass und Bedrohungen ausgesetzt – bei der Recherche, auf Demos oder in sozialen Medien. Das gefährdet nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Pressefreiheit insgesamt.  Dagegen hilft der Schutzkodex.
mehr »

Die ganz große Verweigerung

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.
mehr »

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »