Veränderte Strukturen und Verantwortlichkeiten mit dem Gang ins Netz
Journalismus ohne Bilder ist heute nicht mehr vorstellbar. Damit braucht es auch Akteur*innen, die sie auswählen. Aber wer macht das? Was treibt sie an und was sind die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit? Felix Koltermann mit einer Annäherung an ein viel zu lange vernachlässigtes Berufsfeld.
Im Februar dieses Jahres schockierte die Nachricht, dass der Berliner Tagesspiegel seine Fotoredaktion auflöst, die Journalismus-Community. Für kurze Zeit lag damit das mediale Schlaglicht auf den Bild- bzw. Fotoredakteur*innen und den Strukturen, in denen sie arbeiten. Aus der Nachricht könnte man ableiten, dass eigenständige Bildressorts bzw. Bildredaktionen in deutschen Medienhäusern zum Standard gehören. Aber weit gefehlt. Konkrete, belastbare Zahlen existieren nicht, weder bei den Arbeitgebern, etwa beim Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), noch bei den Arbeitnehmer*innen, bei den Verbänden dju in ver.di, DJV oder FREELENS.
Während zumindest die überregionalen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine über eigenständige Bildredaktionen mit mehreren Mitarbeiter*innen verfügen, kommen etwa viele Lokalzeitungen und die Zentralredaktion des Redaktionsnetzwerks Deutschland gänzlich ohne Bildredakteur*innen aus. Gleichzeitig wurden in den letzten Jahren an anderer Stelle auch bildredaktionelle Strukturen ausgebaut. So schuf etwa Deutschlandfunk Kultur eine komplett neue Bildredaktion. Noch größer sind die Veränderungen in anderen Bereichen wie den Public-Relations. Selbst große deutsche NGOs wie Greenpeace oder Brot für die Welt beschäftigen heute Bildredakteur*innen.
Und spätestens seit dem Einzug der „Online First“-Strategien in die Redaktionen ist klar: ohne Bild kein Artikel. Denn nicht mehr nur Print- und Onlinepublikationen brauchen Bilder, auch das Radio und das Fernsehen vermarkten ihre Beiträge auf Social-Media-Kanälen und Apps, was Teaserbilder unumgänglich macht. Die Konsequenz ist, dass damit immer auch bildredaktionelle Arbeit nötig ist. Die Frage ist nur durch wen: durch spezialisierte Bildredakteur*innen, KI-gesteuerte Algorithmen oder als Nebentätigkeit von Text- und Produktionsredakteur*innen.
Berufsbild klarer beschreiben
Die Herausforderung fängt bereits bei der Tätigkeitsbezeichnung an. Denn auch wenn die Begriffe Bildredakteur*in und Fotoredakteur*in oft synonym verwendet werden, bestehen in der Praxis doch Unterschiede. So werden im Lokaljournalismus die Redaktionsfotograf*innen oft als Fotoredakteur*innen geführt. Wobei ihr Tätigkeitsschwerpunkt meist die Bildproduktion und nicht die Bildauswahl ist. Dazu kommen Überschneidungen bildredaktioneller Tätigkeiten zu anderen Positionen, wie etwa den Produktionsredakteur*innen oder den Art-Direktor*innen. Klar ist für Kevin Mertens, der mit der von ihm aufgebauten emerge Akademie Bildredakteur*innen aus- und weiterbildet, dass Bildredaktion eine redaktionelle und damit auch journalistische Aufgabe ist. Ein Faktor, der nicht nur für das Selbstverständnis, sondern auch für die tarifliche Eingruppierung entscheidend ist.
Die Grundqualifikation für Bildredakteur*innen besteht dabei laut Kevin Mertens in einem Gespür für Fotografie und der Fähigkeit, Bildmaterial einzuordnen und auszuwählen, sowie einem Interesse für die Themen der jeweiligen Publikation. Dazu kommen Organisationsfähigkeit und Zeitmanagement sowie zunehmend Kenntnisse in der Webentwicklung und der Analyse von Nutzer*innenverhalten. „Noch sind wir in einer Übergangsphase von Print zu Online“, meint Mertens. Und bei Mobile und Digital First braucht es andere Herangehensweisen, was sich etwa bei der Bildauswahl zeigt. Es brauche „Bilder, die sowohl hoch, quer als auch im Quadrat funktionieren und nicht zu kleinteilig sind“. Ein Grundproblem ist der Zeitfaktor, nicht die Verfügbarkeit von Material. „Schon 15 Minuten mehr Zeit wären ein echter Qualitätsgewinn“, so Mertens. Dies macht neue Softwarelösungen und Programme zur Zeitoptimierung so interessant und wichtig.
Freienarbeit mit Vor- und Nachteilen
Die Historikerin Miriam Zlobinski ist feste Freie in der Bildredaktion des Deutschlandfunks Kultur in Köln, die ausschließlich aus freien Mitarbeiter*innen besteht. Für sie hat die Arbeit als Freie Vor- und Nachteile. „Ein Problem ist das Wissensmanagement innerhalb der Redaktionen“, so Zlobinski, während umgekehrt eine überredaktionelle Diskussion erleichtert werde. Kevin Mertens kritisiert, dass die Honorarstrukturen oft nicht die Besten sind und keine stabilen Arbeitsverhältnisse existieren. Gleichzeitig ermögliche gerade dies auch flexibles Arbeiten, was vor allem Berufseinsteigern*innen schätzten, so Mertens. Es sind vor allem Fotojournalist*innen, die ein zweites Standbein neben der eigenen fotografischen Tätigkeit benötigen und deshalb auch als Bildredakteur*innen arbeiten.
Über die Rahmenbedingungen bildredaktioneller Arbeit lässt sich nicht sprechen, ohne über Geld zu reden. „Je nach Medium, ist das Budget ein entscheidender Faktor“, so Kevin Mertens. So sind es auf der einen Seite die starren redaktionellen Vorgaben hinsichtlich der Budgets für Bildmaterial, was die Abonnements der Nachrichtenagenturen so interessant macht und Zugriffsmöglichkeiten auf andere Quellen beschränkt. Und auch das nebenbei fotografierte – und meist günstigere – Material der Textredakteur*innen wird gerne genommen. Auf der anderen Seite flutet das erstarkende Segment der Stockfotoagenturen und der Fotoamateur*innen den Markt mit billigem Bildmaterial oder gar Gratisbildern und leistet einer Symbolbildoptik Vorschub.
Auch ein Blick auf die Redaktionsorganisation ist lohnend. Denn selbst wenn die Bildauswahl in den Händen eines eigenen Ressorts liegt, wird der Handlungsspielraum oft an anderen Stellen beschränkt: So werden die Bildunterschriften häufig von Textkolleg*innen oder im Produktionsbereich formuliert. Auch das Bespielen von sozialen Netzwerken übernehmen oft andere und damit auch die Entscheidungen für die Bilder auf diesen Ausspielkanälen. Eine weitere Hürde ist die – in vielen Redaktionen noch bestehende – Trennung von Print- und Online. Auch wenn hier viel in Bewegung ist, heißt das noch lange nicht, dass damit der Status von Bildredakteur*innen klarer definiert oder gar besser würde.
KI noch fehleranfällig
Veränderungen – oder möglicherweise auch Bedrohungen – gibt es auch von anderer Seite: der Künstlichen Intelligenz. Eine Reihe von Start-Ups ist auf diesem Feld ebenso aktiv (siehe S. 16 – 17) wie die großen Bildagenturen und Digitalkonzerne. Längst ist es Standard, dass Algorithmen Fotograf*innen Schlagworte beim Hochladen von Bildern in eine Datenbank vorschlagen. Zwar verschwand das 2018 von Getty Images gelaunchte Portal Panels, welches das Hochladen von Texten ermöglichte, denen über die KI Schlagwörter und Bildvorschläge zugeordnet wurden, nach kurzer Zeit wieder vom Markt. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis andere Angebote kommen. Die Fehleranfälligkeit rein automatisierter Prozesse musste im Juni diesen Jahres Microsoft eingestehen. Die für die Bildauswahl beim Nachrichtenportal MSN.com zuständige KI hatte zwei Musikerinnen verwechselt.
Während die Komplexität bildredaktioneller Arbeit in der aktuellen digitalisierten Medienwelt augenscheinlich ist, ist es umso erstaunlicher, dass die Berufsgruppe der Bildredakteur*innen bisher kaum organisiert in Erscheinung tritt. Es gibt weder einen eigenen Verband, der ihre Interessen vertritt, noch eine mit dem Thema befasste Kommission innerhalb der verschiedenen Verbände. Auch schriftliche Dokumente oder Richtlinien bezüglich der journalistischen Rahmenbedingungen bildredaktioneller Arbeit existieren kaum. Einzelne Vorhaben, wie etwa die Initiative zur Kennzeichnungspflicht manipulierter Fotos, an dem der ver.di-Vorgänger IG Medien mitwirkte, konnten sich in der Praxis nie wirklich durchsetzen. Und auch der so gern zitierte Pressekodex verweist nur an sehr wenigen Stellen explizit auf das Bild. Konkret wird es nur mit der Richtlinie 2.2. zum Symbolbild.
Vom Picture Editor zum Visual Journalist
Gefragt nach der Zukunft der Bildredaktionen, wünscht sich Miriam Zlobinski, dass sich diese zu einer innerredaktionellen Fachinstanz Richtung Faktchecking und Bildrecht entwickeln. Darüber hinaus sollten Bildredakteur*innen bei der Selbstbildentwicklung der Medien eine größere Rolle spielen. Und Kevin Mertens fordert, dass Bildredakteur*innen zu einem früheren Zeitpunkt in Projekte eingebunden und an der konzeptionellen Arbeit beteiligt werden. Seine Vision ist, dass sich deren Rolle vom „Picture Editor zum Visual Journalist“ wandelt, der mit breiten Kompetenzen im Team multimedial Inhalte plant und umsetzt. Dafür wären seiner Ansicht nach jedoch mehr spezialisierte Volontariate notwendig.
Einiges zu tun also, um die Qualität (bild-)redaktioneller Arbeit zu steigern und bessere Arbeitsbedingungen für Bildredakteur*innen zu schaffen. Aber ob sich dies in der Breite durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Denn vor allem im Lokaljournalismus geht der Trend schon lange zur Allrounder*in. Von den Kolleg*innen dort wird neben dem Texten ganz selbstverständlich das Fotografieren, sowie die Produktion von multimedialen Inhalten verlangt. Man kann dies als Gefahr sehen oder als Chance, dass weniger die Form als der Inhalt wichtig ist. Gleichwohl funktioniert dies nur, wenn auch die Kompetenzen breiter aufgestellt sind, womit die Vision eines Visual Journalist vielleicht doch Wirklichkeit wird. ‹‹
Weiterbildungen im Bereich Bildredaktion
Eine 1-jährige berufsbegleitende Weiterbildung bietet die private Ostkreuzschule in Berlin an (Start im März). An der Emerge Akademie für visuellen Journalismus gibt es die Workshops „Grundlagen der Bildredaktion“ und „Visual Story Production”.
Weitere Angebote gibt es bei der Hamburger Akademie für Publizistik mit den Workshops „Bildauswahl” und „Bildrechte”, der Akademie der bayrischen Presse mit dem Workshop „Bildsprache und Fotoauswahl“, dem Kölner Mibeg Institut mit dem Workshop “Bildredaktion” und bei Pro Content (ehemals Journalistenschule Ruhr).