Sie unterscheiden die Täter danach, wie sie vorgehen. Nennen sie „Bohrer“, „Dacheinsteiger“ oder „Fensterhebler“. Sie, das sind die Ermittler aus der Soko „Castle“ in „Re: Jagd auf Serieneinbrecher. Eine Soko bekämpft internationale Banden“. Die Reportage gehört zur Arte-Reihe „Re:“, die im März 2017 gestartet wurde. Sie hat also schon eine Sende- und Produktionsgeschichte vorzuweisen. Zeit für eine kritische Betrachtung!
„Re:“ ist vor allem auch deshalb interessant, weil sie versucht, mit dem Genre der Reportage europäische Problemlagen zu erfassen. Dabei ist der Titel „Re:“ vieldeutig. Re wie Reportage natürlich. Aber auch Re wie Realität. Re wie Relevanz. Re wie Reaktion im Sinne von Reaktionsfähigkeit. Re wie Regard, also Blick, Aufmerksamkeit. Oder Re wie Rebond, Aufprall. Auf die Realität vielleicht. Dabei liegt dieser Vieldeutigkeit eine gemeinsame Haltung zugrunde. Erzählt werden individuelle Geschichten aus verschiedenen Ländern. Kein Europudding, kein Querschnittformat, sondern konkrete Geschichten mit Namen und Gesichtern. Die Erzählweise ist klassisch, also ohne ständig durchs Bild laufende Ich-Reporter oder Presenter. Nicht das Thema soll im Vordergrund stehen, sondern die konkrete Story. Und es sind verschiedene deutsche Sender beteiligt, das ZDF sehr häufig. Die Geschichte über die Internationalen Banden wiederum kommt etwa von Spiegel-TV.
Ausgestrahlt wird „Re:“ wochentags um 19.40 – und lappt damit in die Kernzeit des deutschen Fernsehens, in die 20 Uhr-Tagesschauzeit. Gleichwohl, heißt es in der Redaktion, haben die Zuschauer den Sendeplatz angenommen. Was auf Arte freilich Marktanteile von 0,7 bis 08% bedeutet.
Thematisch gesehen ist der Sendeplatz auch in den letzten Wochen die Wundertüte geblieben, die er von Anfang an war. Von einem Tag auf den anderen geht es quasi im Rösselsprung quer durch Europa. Etwa zu „Kickboxen gegen den Hass. Der harte Kampf um Integration in Österreich“; erzählt wird die Geschichte eines muslimischen Sportlers, österreichischer Meister, der sich bemüht, junge Männer (und auch Mädchen) von der Straße und den Anfechtungen des Islamismus wegzuholen. Anderntags läuft „Jerusalem Sehnsuchtsstadt“, das Porträt einer Stadt, die auf den ersten Blick multikulturell und auf den zweiten geteilt ist – besonders aktuell natürlich nach der Entscheidung Trumps, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Dann wieder nach Deutschland „Schluss mit ‚Made in Germany‘ – Chinas Run auf den deutschen Mittelstand“ – eine Geschichte darüber, wie chinesische Unternehmen sich in den deutschen Mittelstand einkaufen und nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahren, hier ganze Werke demontieren und nach China transportieren. Und schon sind wir an einem anderen Tag bei litauischen Mönchen, die gegen den Alkoholismus im Land kämpfen, in Finnland, wo ein Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gestartet ist und dann in London, wo nach dem Brand des Glennfield-Towers Einwohner sich gegen die unsoziale Wohnungspolitik der Stadt wenden.
Mit der Themenvielfalt kann freilich die Formenvielfalt nicht mithalten. Das Programm, das Arte sich da auferlegt hat, ist höchst ambitiös, bindet auch Arbeitskraft und Mittel in den Sendern. Der Produktionsdruck, fünfmal wöchentlich etwas Neues vorlegen zu müssen, muss enorm sein. Man kann es schon daran erkennen, dass in den Programmvorschauen von Arte schon auf drei Wochen im Voraus keine Themen mehr benannt werden. Sieht aus, wie mit heißer Nadel genäht.
Das hat unmittelbar Folgen für die Reihe. Die Filme sehen in der Regel sehr gleichförmig aus. Es wird nicht experimentiert, was schade ist, grade, wo z.B. neue technischen Möglichkeiten wie Handy-Videos oder Videotagebücher auch neue Erzählmöglichkeiten böten. So gerät im Produktionsdruck auch das Genre Reportage selbst unter die Räder. Die meisten Re: Filme sind eher Dokumentationen oder Berichte mit Reportage-Elementen. Leitender Kommentartext, wenig Beobachtung, viel Schauplatz- und Personenwechsel.
Reportagen dagegen brauchen Zeit und gute Vorarbeit, langfristiges Denken, alles, was den interessanten Zufall, die interessante Begegnung möglich macht. Reportage ist zuallererst eine Haltung zur Wirklichkeit und ein Versprechen an die Zuschauer. Reportage im Lateinischen heißt so etwas wie Zurückbringen: re-portare. Reporter sind Leute, die an Orte gehen (räumliche, soziale, wissenschaftliche), wo andere nicht hinkommen, und von dort etwas zurückbringen, das sie wiederum in einer Form erzählen, die es erlaubt, Zuschauer (oder Leser/Hörer) auf diese Reisen visuell und emotional mitzunehmen „Re:“ ist in diesem Sinn bislang ein nicht eingelöstes Versprechen, so interessant die Themen für sich auch sein mögen.
Man könnte bei dieser Gelegenheit Egon Erwin Kisch zitieren, den Stammvater der Reportage im deutschen Journalismus und der deutschen Literatur, mit der berühmten Sentenz aus dem Vorwort von „Der rasende Reporter“ (1925): „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit.“ Das Bekenntnis zur Reportage war für Kisch übrigens auch eine Kampfansage an die zahlreichen journalistischen Propagandisten, die zu seiner Zeit auch ganz ohne soziale Medien aktiv waren. Er wollte, dass in der Reportage die Dinge selber sprechen. Aber er wollte auch nicht bei temporären Beobachtungen stehenbleiben. Er wollte Einordnung in Zusammenhänge politischer, gesellschaftlicher und kultureller Art und dass die Schilderungen über ihre unmittelbare Bedeutung hinausgehen.
Bisher ist „Re:“ ein Projekt des deutschen Fernsehens, trotz Arte. Inzwischen plant das ZDF eine enge Zusammenarbeit mit dem eigenen Reportageformat „Plan B.“, was nicht für wachsende erzählerische Vielfalt spricht. Das ZDF ist in Sachen festgefahrener Formatierung bundesweit führend. In diesem Jahr soll auch das französische Fernsehen zehn Filme in die Reihe einführen, da könnte vielleicht der eine oder andere erzählerische Ausreißer möglich sein. Zu hoffen wäre es.