Reizbar und redeunwillig

Dr. Bernd Sprenger über einen Fall aus seiner Praxis

M. K., 38-jähriger festangestellter Redakteur einer Tageszeitung, ist ein Spätberufener im Journalismus. Er studierte zunächst ein naturwissenschaftliches Fach und arbeitete in einer Firma. Als Journalist machte er dann eine relativ steile Karriere und hoffte auf eine Position in der Chefredaktion.
Aufgrund von Umstrukturierungen im Verlag erfüllten sich diese Karrierepläne nicht so schnell wie gedacht. Er erhält „von oben“ die Botschaft, dass sich „schließlich alle mehr anstrengen“ müssten. M.K. arbeitet daraufhin über eineinhalb Jahre wie besessen und merkt nicht, dass er Raubbau an seiner Gesundheit betreibt. Die Lebenspartnerin ist am Anfang noch verständnisvoll, beklagt aber zunehmend seine Reizbarkeit und die Unwilligkeit, sich überhaupt mit ihr über das Thema „zu viel arbeiten“ auseinanderzusetzen. M.K. zieht sich privat immer mehr zurück.
Schließlich trennt sich seine Partnerin von ihm, was er mit noch mehr Arbeit kompensiert. Eines Tages erlebt er einen völligen Zusammenbruch: „Ich habe mich total erschöpft gefühlt, selbst einfachste Konzentrationsaufgaben gingen nicht mehr.“ Auch nach einer längeren Krankschreibung durch den Hausarzt war keine Regeneration möglich. Am Ende lautete die Diagnose Burnout.
Der wichtigste erste Schritt in der Behandlung war, dem Patienten die Zusammenhänge seines Zustandes bewusst und ihm klar zu machen, dass „noch mehr Anstrengung“ nicht hilft. Eine ambulante Therapie war nicht ausreichend. M.K. wurde in die Klinik eingewiesen. Dort sorgte man zunächst dafür, dass er wieder ausreichenden Schlaf bekam, sich regelmäßig ernährte und körperliche Kondition aufbaute. Je mehr M.K. wieder zu sich fand, konnte auch psychotherapeutisch an seinem inneren Drehbuch gearbeitet werden. Unbewusst war er immer davon ausgegangen, dass er nur k.o. sei, wenn er sich bis zur totalen körperlichen und seelischen Erschöpfung verausgabt.
Nach sechswöchiger stationärer Therapie und mit anschließender ambulanter Begleitung arbeitet M.K. nun wieder erfolgreich und zufrieden in seinem Beruf.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »

Buchtipp: Das Prinzip Trotzdem

Wie könnte ein selbstbewusster Journalismus aussehen, der sich gegen die aktuelle Medienkrise zu behaupten weiß und sich auf seine zentrale Rolle für funktionierende demokratischen Gesellschaften besinnt? Roger de Weck war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens sowie Mitglied des Zukunftsrats für Reformen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks in Deutschland. In seinem jüngst erschienenen Essay „Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen“ beschäftigt er sich mit genau diesen Fragen.
mehr »

„PR-Puppen“ proben den Aufstand 

Kreative, die der Tech-Konzern OpenAI (ChatGPT, DALL-E) zu einem geschlossenen Produkttest eingeladen hatte, leakten den Testzugang kürzlich und griffen OpenAI in einem Protestschreiben öffentlich an. Sie warfen dem Unternehmen u.a. vor, sie für Marketing und PR zu missbrauchen und Art Washing zu betreiben.Eine teilnehmende Person schildert M , wie es zu dem Leak kam und was Techkonzerne künftig bei der Zusammenarbeit mit Kreativen besser machen können.
mehr »

Studienergebnisse: Worlds of Journalism

Was bedeutet es heute, Journalist*in zu sein? Welche Dynamiken und Entwicklungen lassen sich im Berufsfeld wahrnehmen? Was brauchen wir, um gute und professionelle Arbeit machen zu können? Zu diesen Fragen führt das Langzeitforschungsprojekt „Worlds of Journalism“ seit 2007 weltweit Befragungen durch. Von 2021 bis 2023 ging die Studie in die dritte Runde. Unterstützt von UNESCO und der International Federation of Journalists, fokussiert die aktuelle Umfrage auf den Themenkomplex Risiken und Ungewissheiten. Ein Blick in die Schweiz.
mehr »