Berichterstattung kritisch unter die Lupe genommen
Wenn viele Fakten zusammen kommen, kann einiges durcheinander geraten und einem Staatspräsidenten wird etwas an die Brust geheftet, das ihm gar nicht gebührt. Ein Leerstück in Sachen Recherche.
Noch morgens um zwei Uhr sorgt sich DGB-Chef Michael Sommer um das Wohl der Basis, so die „Berliner Zeitung“ in ihrem „Ball-Splitter“ zum Berliner Presseball. Sommer wurde vom Ballreporter des Blattes beim Rosenklauen erwischt, doch der einstige ver.di- Vize hatte ein gutes Argument: „Wenn ich die Blumen jetzt mitnehme, muss der Dekorateur sie nicht entsorgen.“ Dass es sich um ganz besondere Rosen handelte, hat Sommer so nebenbei erfahren.
So ganz um ihre Arbeit herumgekommen sind die Dekorateure dann doch nicht: Immerhin mußten knapp 65 000 Rosen entsorgt werden. Rosenfarmer aus Ecuador, die sich am Flower Label Programm (FLP) für die sozial- und umweltverträgliche Produktion von Schnittblumen beteiligen, spendeten die Rosen. Der Verband des Blumen- Groß- und Importhandels (BGI) sorgte für den Transport. „Bei meiner Begrüßungsrede habe ich den Hauptgeschäftsführer dieses Verbandes unter dem Beifall der Ballgäste als unseren ,Wohltäter‘ ausdrücklich hervorgehoben“, so Alexander Kulpok, Vorsitzender des Berliner DJV, der den Ball organisierte. Dass es sich um FLP-Rosen handelte, verschwieg er. „Das hätte man doch in die Welt posaunen müssen“, meint DGB-Mann Sommer, der nur von den FLP-Rosen erfuhr, weil BGI-Hauptgeschäftsführer Henning Moeller bei ihm am Tisch saß. Kulpok behauptet, er habe erst am Abend des Balls von den FLP-Rosen erfahren. „Blödsinn“, sagt Blumen-Mann Moeller. Frei nach dem Motto „Tue Gutes und sprich darüber“ sollte die Rosenspende dazu beitragen, das FLP hier zu Lande bekannter zu machen. So war es mit dem DJV abgesprochen. „Ich habe die gebrieft und mir wurde versprochen, dass beim Presseball darauf aufmerksam gemacht wird, dass die 65 000 Ecuador-Rosen eine FLP-Spende sind“, sagt Moeller. „Die Ballgäste sind begeistert von der Pracht der 65 000 Rosen, ein Geschenk des Präsidenten von Ecuador“, hörten die Gucker vom SFB, dem Berliner öffentlich-rechtlichem Stadtfernsehen, am Abend des Presseballs bei mehreren Liveschaltungen aus dem Munde vom Ballberichterstatter Ulli Zelle. Da rieb sich der informierte Beobachter doch verwundert die Augen. Vom FLP-Büro in Quito/ Ecuador erfuhr er, dass der Präsident rein gar nichts mit den Rosen zu tun habe. „Wir haben uns da ganz auf die Information des Veranstalters, des Berliner Journalistenverbandes, verlassen und hatten auch keinerlei Anlaß, die Information anzuzweifeln“, rechtfertigt sich Zelle. Nun, der Präsident war Anfang Januar zu Besuch in Berlin, hat wohl von den Rosen gehört und gesagt, diese seien „Liebesgrüße“ seines Volkes an die Berlinerinnen und Berliner. So stand es auch in der Presseerklärung des DJV, ohne den Zusatz FLP-Rosen. Via Video richtete der Präsident von Ecuador – wie der von Mexiko; das Ballmotto lautete „Ibero-Latino“ – ein Grußwort an die Ballgäste. „Die Rosen aus Ecuador, der Präsident aus Ecuador mit freundlichen Worten über die Rosen und den Ball – da kann es möglicherweise zu Fehlinterpretationen kommen“, gibt DJV-Mann Kulpok etwas kleinlaut zu. Auf der Internetseite des BGI war bereits Tage vor dem Presseball zu lesen, dass 65 000 FLP-Rosen aus Ecuador auf der Reise nach Berlin sind. Und weil Kulpoks Ehefrau Susanne mit Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit den Ball eröffnete, war die viel wichtigere Frage, wer als „Ersatz-First-Lady“ mit Kulpok tanzt. Das sind die harten News, mit denen man das geneigte Publikum versorgen muss.