Rückbesinnung auf Fair Play

Lange galten Sportjournalisten als „Fans, die es über die Absperrung geschafft haben“. Angesichts massiver Vermarktungsinteressen von Sportlern und Sponsoren, Vereinen und Verbänden bekam eine kritische, hintergründige Sportberichterstattung zudem kaum eine Chance. Doch in jüngster Zeit hat eine Debatte zur Neubestimmung des journalistischen Selbstverständnisses von Sportreportern zwischen Hofberichterstattung, Kommerz und kritischer Recherche eingesetzt.

Es geschah Mitte Januar. Michael Antwerpes, Sportchef des Südwestrundfunks, wandte sich als Moderator der ARD-Live-Übertragung vom Biathlon-Weltcup in Antholz vor laufender Kamera an das Publikum. Mit aufgeregtem Vibrato distanzierte er sich von einer ARD-Meldung, in der pauschale Doping-Vorwürfe erhoben worden seien und bat um Entschuldigung „für diese journalistische Fehlleistung“. Es sei „nicht vertretbar und mit unserer Berufsauffassung auch nicht vereinbar, wenn solche Pauschalverdächtigungen erhoben werden, ohne dafür belegbare und nachprüfbare Fakten zu haben“. Journalistische Aufklärungsarbeit sei zwar weiterhin nötig, „aber erst dann wieder, wenn es nachprüfbare und belegbare Fakten gibt“.
Was war geschehen? ARD-Doping-Experte Hans-Joachim Seppelt hatte wenige Tage zuvor berichtet, er sei einem großen Doping-Skandal bei der Wiener Blutbank „Humanplasma“ auf der Spur. Einem Skandal, an dem auch deutsche Ski-Sportler beteiligt sein sollten. Die Nachrichtenagentur dpa machte aus dem Konjunktiv einen Indikativ, daraufhin fühlten sich die Wintersportverbände unter Generalverdacht gestellt. Seppelt mochte noch keine Namen nennen, der Skiverband reichte eine Verleumdungsklage ein.
Unter den Sportjournalisten entbrannte in der Folge eine heftige Debatte über das Für und Wider einer so genannten „Verdachtsberichterstattung“. Wie weit darf ein Reporter gehen, der – wie in diesem Fall – schlüssige Hinweise auf massive Dopingvergehen zu haben glaubt, ohne sie schon im Detail belegen zu können? Erich Laaser, Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS), in dem rund 3.500 hauptberufliche Sportjournalisten organisiert sind, pocht aus berufsethischen Gründen auf die Unschuldsvermutung. Der investigative Reporter Seppelt, dies schreibe der Ehrenkodex der Sportjournalisten eindeutig vor, hätte nur mit „hieb- und stichfesten Beweisen“ an die Öffentlichkeit gehen dürfen.
Eine andere Position vertritt Freddie Röckenhaus, TV-Autor und Sportreporter unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Nicht jede Form von „Verdachtsberichterstattung“, sei von vornherein unzulässig. Aus eigener Erfahrung weiß Röckenhaus, dass auch Berichte über den Stand von Ermittlungen gelegentlich die Aufdeckung von Skandalen befördern. So geschehen bei seiner Recherche über die dubiosen Finanzpraktiken des Bundesligisten Borussia Dortmund. Zwar sei es „ein schmaler Grat“, aber man dürfe bei Journalisten „nicht die gleiche Latte anlegen wie bei Staatsanwaltschaften“. Sonst könne der Journalismus gar nicht mehr die ihm zugedachte gesellschaftliche Rolle ausfüllen: nämlich zum Beispiel die Aufklärung von Missständen. Auch Röckenhaus hatte im Fall von Seppelts Vorabmeldung über Blutdoping Zweifel, ob diese zum günstigsten Zeitpunkt erfolgte. Doch „die viel größere Katastrophe“ sei für ihn „diese Überreaktion“ von Antwerpes. Damit werde letztlich die Aufgabe des Journalisten „unterminiert“. Röckenhaus: „Man erzeugt sozusagen bei Sportverbänden, bei Sportfunktionären den Eindruck: Ich muss nur laut genug schreien, dann lassen die uns in Ruhe mit ihren kritischen Nachfragen.“
Die juristische Auseinandersetzung um den angeblichen Wiener Blutbank-Skandal endete zunächst zu Lasten des kritisierten Reporters. Das Hamburger Landgericht bestätigte Mitte März die Einstweilige Verfügung des Deutschen Ski-Verbandes gegen Seppelt.

Zustände tatenlos hingenommen

Für Jens Weinreich, den ehemaligen Sportchef der Berliner Zeitung, ist vieles, was als Sportjournalismus daher kommt, „reine Promotion“ – für ein Produkt, eine Sportart, einen Athleten, eine Firma. Gemeinsam mit zwei Dutzend Kollegen verließ Weinreich vor gut zwei Jahren den VDS und gründete das „Sportnetzwerk“. Der Dachverband VDS, so die Kritiker, habe die monierten Zustände im Sportjournalismus tatenlos hingenommen. Sportnetzwerk fordert demgegenüber ein aktives Gegensteuern, eine Rückbesinnung auf elementare berufsethische Tugenden. Mit einigem Erfolg. Seit der Gründung des Netzwerks hat eine breite Selbstverständnisdebatte in der bislang eher als Hort unkritischer Claqueure verschrieenen Berufsgruppe eingesetzt. Zuvor konnte man beim Konflikt zwischen „Mainstream“-Journalisten und Netzwerk-Vertretern gelegentlich den Eindruck gewinnen, es stünden sich zwei völlig unvereinbare Berufsauffassungen gegenüber. Hier der Chronist und Reporter, der dem Publikum spannenden Live-Sport serviert, dort der investigative Rechercheur, der im Dienste der Wahrheit ständig nach aktuellen Infos über die Machenschaften der Doping-Mafia jagt. In einigen Redaktionen wird jetzt umgedacht.
Die Sportjournalisten des WDR gingen kürzlich mit einer Selbstverpflichtungserklärung an die Öffentlichkeit. In dem Acht-Punkte-Papier bekennen die Sportredakteure der Bereiche Hörfunk, Fernsehen und Internet sich gemeinsam zu einer qualitätsbewussten und unabhängigen Sportberichterstattung. Warum dieses Papier? Nach dem „auch medienpolitisch schwierigen Sportjahr 2007“, so bekennt „Sportschau“-Chef Steffen Simon, sei in den Redaktionen das Bedürfnis entstanden, „mal zu überlegen, wie wir unsere Rolle eigentlich verstehen“.
„Medienpolitisch schwieriges Sportjahr“? Eine vornehme Umschreibung für eine Entwicklung, die mit dem letztjährigen Ausstieg von ARD und ZDF aus der Tour-de-France-Berichterstattung ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Eine Notbremse angesichts des gravierenden Glaubwürdigkeitsverlustes, den vor allem der ARD-Sport in Folge einer Kette von Skandalen erlitten hatte. Dies betraf vor allem die Verquickung der ARD mit dem Team Telekom und dessen einstigen Star Jan Ullrich. Jahrelang sponserte der Sender die Radprofis von T-Mobile, verlängerte einen Exklusivvertrag mit Ullrich selbst dann noch, als längst ein hinreichend begründeter Doping-Verdacht auf ihm lastete. Solche Praktiken sollen endgültig der Vergangenheit angehören. In der WDR-Selbstverpflichtungserklärung heißt es: „Der WDR sponsert keine Wettbewerbsteilnehmer. Wir als BerichterstatterInnen gehen keine Geschäfte mit Akteuren des Sports ein – insbesondere nicht mit Sportlern, Vereinen, Sportverbänden und Sportsponsoren.“
Passé sein sollten damit auch Praktiken, die mit dem Namen Hagen Boßdorf verbunden sind. Der frühere ARD-Sportkoordinator betrieb lange unbehelligt von seinen Vorgesetzten fragwürdige Nebengeschäfte. Er moderierte Präsentationen von Telekom-Teams, schrieb eine Biografie über Jan Ullrich – lauter Aktivitäten, die einer investigativen Recherche in Sachen Doping nicht gerade förderlich waren. Boßdorf stolperte schließlich über einen Fall unerlaubter Produktplatzierung.

Einige Konsequenzen gezogen

Auch ZDF-Chefreporter Sport Wolf-Dieter Poschmann geriet vor der Tour de France 2005 in einen Konflikt zwischen seinem Nebenjob beim Mineralwasserproduzenten Gerolsteiner und seiner journalistischen Unabhängigkeit. Man warf ihm vor, bei der Doping-Berichterstattung ausgerechnet das Material ausgeblendet zu haben, welches das Team des Sprudelfabrikanten belastete. Beim ZDF hat man aus solchen Vorgängen inzwischen Konsequenzen gezogen. Chefredakteur Nikolaus Brender, kategorisch: „Ein Journalist wirbt nicht. Und wer wirbt, ist kein Journalist.“ Wie bei der ARD müssen zwar auch beim Zweiten Nebentätigkeiten beantragt und genehmigt werden. Aber für bestimmte so genannte „Programm prägende Freie Mitarbeiter“ gelten die strengen Regeln offenbar nicht hundertprozentig, Die Werbeauftritte von Johannes B. Kerner für ein bekanntes Flugunternehmen gibt es noch immer, wenn auch nicht im unmittelbaren Umfeld der Sportsendungen, die der umtriebige Kerner moderiert. Im Übrigen, so Brender, sei „Herr Kerner nicht mehr Moderator des Sportstudios“.
Zur Selbstverpflichtung des WDR-Sports gehört auch die Maxime, Sportereignisse nicht nur abzubilden, sondern auch Hintergründe zu beleuchten und investigativ zu arbeiten. In der Vergangenheit hatte man allerdings oft den Eindruck, das Interesse an investigativer Recherche sei nicht sonderlich ausgeprägt. Fußball,- Formel Eins- oder Biathlon-Übertragungen gelten zwar als sichere Quotenbringer. Mit der Betonung auf Live: Ein Massenpublikum lässt sich nun mal vor allem mit einem Bundesliga-Knaller oder einem Schwergewichtsfight erreichen. Weniger mit einer hintergründigen Doping-Reportage oder einem Stück über Depression im Leistungssport. Schwierig wird es, wenn es in einer populären Sportart mal nicht mit rechten Dingen zugeht. Sportrechte sind teuer. Allzu kritische Berichte beeinträchtigen möglicherweise das Geschäft. Besteht nicht die Gefahr, dass sich der investigative Ehrgeiz einer Redaktion in einer solchen Situation eher in Grenzen hält? „Sportschau“-Chef Steffen Simon weist diese Vermutung für sein Haus zurück. Sollte man zum Beispiel aufgrund eigener Recherchen in der Fußball-Bundesliga einem Dopingfall auf die Spur kommen, „würden wir es selbstverständlich in aller Deutlichkeit und in aller Schärfe veröffentlichen“. Selbst auf die Gefahr hin, das „Produkt Bundesliga“ und sündhaft teuer erworbene Sportrechte zu beschädigen.
Betrachtet man allerdings die Sportskandale der letzten Jahre, so waren es meist gerade nicht Sportjournalisten, die solche Vorgänge aufdeckten. Das habe „mit einer anderen Crux im Sport zu tun“, meint VDS-Präsident Laaser. Viele Journalisten hätten es schließlich jahraus, jahrein mit den Sportlern, Funktionären und Trainern zu tun. Sie wollten es sich mit den Objekten ihrer Berichterstattung „schlicht und einfach nicht verderben“.
Tatsächlich wurde auch der letzte große Skandal im Profi-Fußball – die Wettmanipulationen um den korrupten Liga-Schiedsrichter Robert Hoyzer aus dem Jahr 2005 – nicht von den elektronischen Medien aufgedeckt. Julia Bürner, Redakteurin beim Konstanzer Südkurier, hat in ihrer Diplomarbeit die Rolle des deutschen Sportjournalismus in der Affäre Hoyzer untersucht. Vor allem die Süddeutsche Zeitung habe sich dabei ausgezeichnet. Das Blatt habe einen ganzen Pool ressortübergreifender investigativer Reporter auf den Fall angesetzt, von Hans Leyendecker über Klaus Ott bis hin zu Sportredakteur Thomas Kistner. Selbst die Staatsanwaltschaft habe sich bei ihren Ermittlungen zeitweilig auf die Rechercheergebnisse der SZ gestützt. Bild und Focus fielen damals eher durch eine besonders perfide Form der Verdachtsberichterstattung auf. Focus zog wahrheitswidrig Profis von Hertha BSC in den Kreis der Verdächtigen. Bild blieb sich treu und hievte unter der großbalkigen Headline „Das sind sie“ 14 Porträts auf die Titelseite. Erst die Dachzeile schuf ein wenig mehr Klarheit: „Alle Verdächtigen im Bundesligaskandal“.
Die Sportpresse liefere jedem das, was er braucht, findet Bürner. Darin unterscheide sie sich letztlich nicht von der allgemein informierenden Tagespresse. Wer Hintergründiges lesen wolle, greife auf überregionale Qualitätsblätter wie SZ oder FAZ zurück. Bürner: „Wenn mich dagegen interessiert, ob Kevin Kuranyi abends in die Disco geht und mit wem, dann lese ich die Bild Zeitung, und wenn ich wissen will, wer welche Note kriegt, dann kaufe ich mir halt den Kicker.

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