Eine News-Redaktion für vier Zeitungen im Springer-Hochhaus
Im Springer Verlag, bei der Main Post und im Saarländischen Rundfunk werden verschiedene Modelle der industrialisierten Medienproduktion praktiziert. Der Beruf des Journalisten unterliegt damit einem radikalen Wandel. Chancen und Risiken zeichnen sich ab.
Von 6 Uhr morgens, dem Beginn der online-Redaktion, bis 0.30 Uhr, dem Redaktionsschluss für die Welt kompakt, ist der Newsroom in der 15. Etage des Berliner Springer-Hochhauses besetzt. Eine Schalt- und Kommandozentrale mit rund 60 Arbeitsplätzen, von der aus vier Zeitungen gesteuert werden: Welt, Morgenpost, Welt am Sonntag und Welt kompakt, dazu die online-Portale welt.de und morgenpost.de. Seitdem der Newsroom im November 2006 startete, ist er in die Rangliste Berlin-brandenburgischer Sehenswürdigkeiten aufgestiegen. 7000 Besucher wollten binnen eines Jahres bereits sehen, wie getaktetes Zeitungsmachen funktioniert. „Bitte nicht füttern“– solche Schilder aufzustellen, sei wohl nötig, stöhnten Kolleginnen und Kollegen bereits angesichts des öffentlichen Interesses am multimedialen Großprojekt auf über 400 Quadratmetern.
Jedes Blatt behält sein Profil
Dem Marktplatz, auf dem heute das tägliche Zeitungsgeschäft organisiert wird, auf dem Informationen getauscht, der Einsatz von Reportern und die Aufbereitung der Themen in den über oder unter dem Newsroom liegenden Ressorts geplant wird, ging ein mehrjähriger Umstrukturierungsprozess voraus. Das von der Verlagsgeschäftsführung für zukunftsweisend befundene Prinzip vier Zeitungen, eine Redaktion, zusammengelegte Ressorts erfahren unterschiedliche Gewichtung und arbeiten für alle, aber jede Zeitung behält ihr Profil – begann 2001 mit Zusammenlegung von Welt und Morgenpost. Für die Beschäftigten ein erster harter Schnitt, denn über 100 Arbeitsplätze fielen weg. Nicht alle hätten andere Arbeitsplätze gefunden, aber niemandem wurde betriebsbedingt gekündigt, berichtet Betriebsrat Jürgen Fischer von den Berliner Springer-Redaktionen.
Ein weiteres Mal an die Substanz ging es mit der strategischen Neuausrichtung und Zusammenfassung der Markenfamilie 2006 – bei der auch die BZ rausfiel und passend als „Boulevard-Schnellboot“ an Bild angedockt wurde. „Nur“ 57 Kolleginnen und Kollegen, wie Fischer sarkastisch betont – ohne Druck durch den Betriebsrat wären es mehr gewesen – mussten in den Ressorts weichen. Die meisten wurden in eine neu geschaffene Service- und Entwicklungsredaktion versetzt, in der komplett neue Titel produziert werden und Mantelseiten künftig auch an Verlage mit Springeranteil verkauft werden sollen.
Neue Bedeutung dagegen erfuhr die online-Redaktion. Sie wurde aufgestockt und in den Newsroom integriert. Bereits 1996 entstanden, funktionierte sie zwischendurch mit bis zu 70 arbeitnehmerähnlichen Freien, zuletzt aber abgeschlagen als „fünf Jahre Mangelverwaltung“, wie es Fischer als langjähriger online-Redakteur nennt. „Nur noch der Name war übrig.“ Jetzt gilt, angepasst an verändertes Nutzerverhalten und gesteuert über den Newsdesk: online first. Zuerst lesen die Leser online Nachrichten, ergänzt durch Fotogalerien und Videoclips, was sie hinterher als Tageszeitungsthema ausführlicher aufbereitet finden.
Für Onliner verhandelt der Springer-Betriebsrat. Ihre Entlohnung soll an die von Printredakteuren angeglichen werden. Die Funktionen würden sich nach und nach durchmischen. Dass sie nicht wesentlich schlechter bezahlt würden, sei schon erreicht. Auch für ehemalige Ressortleiter, deren Position mit dem Newsdesk wegfiel, wurden Lösungen gefunden. „Sie sind den Titel los, aber nicht das Geld.“ Als „heikles Thema“ gilt die Arbeitszeit. „Journalisten halten sich nicht daran“, ist Fischers Erfahrung. „Sie haben das Gefühl, ständig am Ball sein zu müssen.“
Inwieweit das völlig offene Großraumbüro mit seinen langen uniformen, von überall einsehbaren Tischen, dieses Gefühl verstärkt, wurde noch nicht untersucht. Obwohl niemals alle am Platz sind und man sich innenarchitektonisch zumindest mit dem Schallschutz große Mühe gegeben habe, weiß Fischer auch: Es sei schon schwierig, ständig von den am „Chefbalken“ Sitzenden „beäugt“ zu werden.
Main-Post in Würzburg: Erfolgsmodell auf drei Säulen
Die in Würzburg mit 150 000 Auflage erscheinende Main-Post zählte schon vor Jahren zu den Häusern, die eine neue Ära im Journalismus einläuteten. Ihr Modell zur Qualitätsverbesserung und inhaltlichen Optimierung stützt sich auf drei Säulen: Die ReaderScan Analyse ermittelt, was Leser wirklich lesen. Das wird „behutsam“ umgesetzt. Neue Produkte ringen um spezielle Zielgruppen: Online-Portale, mobile Dienste, „Neun7“ – Wochenmagazin für junge Leute, „4Wände“ – ein regionales Schöner Wohnen und mit Pfiffikus eine Monatszeitschrift für Kinder. Der Newsdesk schließlich krempelte Organisationsstrukturen in der Main-Post um und fördert übergreifendes Denken.
Bereits 2002 verschmolzen die Ressorts Politik, Wirtschaft, Vermischtes, Franken und Bayern zum Newsdesk-Aktuelles. Außerdem wird hier ein zweiter Zeitungsmantel für das Volksblatt mit christlichem Hintergrund – eine regionale Tradition – produziert. Zunächst mit einem, jetzt zwei Kollegen sitzt die Internet-Redaktion mit am Tisch. Infos werden zuallererst online aufgearbeitet. „Der Newsdesk fungiert als permanente Redaktionskonferenz, bei der gemeinsam über die Auswahl von politischen, wirtschaftlichen und regionalen Themen entschieden wird“, erklärt Leiter Folker Quack. „Wir haben Ressortgrenzen überwunden, arbeiten crossmedial und erreichen als größere Einheit mehr Flexibilität.“ Es sei möglich, mal drei Leute an ein größeres Thema zu setzen, Recherche- und Reporterteams nach Bedarf zu bilden. So könnten auch lokale Schätze an Texten und Bildern gehoben werden. In Verbindung mit dem Newsdesk entstehen regionale Aufmacher. Standards seien zudem leichter einzuhalten.
Viel und immer wieder diskutiert wird die Trennung von Blattmachern und Schreibern. Wer „Editor“ wird, also am Tisch die Seiten produziert, und wer als „Reporter“ unterwegs ist, recherchiert und schreibt, wurde nicht vorgegeben. Die Kolleginnen und Kollegen konnten selbst entscheiden. Wer gern beides macht, kann rotieren „was zur größeren Arbeitszufriedenheit beiträgt“, wie Quack sagt. „Die ist nach anfänglicher Skepsis insgesamt deutlich gestiegen.“
Jeder Editor behält sein Steckenpferd. Auch er oder sie bekommen, so sie wollen, Gelegenheit zum Schreiben. Eingeplant werden dann sogenannte T-Tage, Termintage für kreatives Arbeiten. Dass Freie Aufträge verlieren, weil die eigenen Kollegen mehr rausfahren, hätte sich inzwischen wieder normalisiert.
Zwar wurde der Newsdesk von der Chefredaktion eingeführt, aber die „komplette Mannschaft Schritt für Schritt mitgenommen. Über alle Veränderungen wird gemeinsam diskutiert“, so Quack. Es hätte weder Stellenstreichungen noch finanzielle Einbußen gegeben. Dennoch werde es aufgrund der angespannten Situation im Haus immer schwieriger, freiwerdende Stellen wieder zu besetzen.
Saarländischer Rundfunk: Kein Kästchendenken mehr
„Gemeinsam überlegen, planen, erarbeiten“, so bringt Franz Jansen den Nutzen des Newsrooms im Saarländischen Rundfunk auf einen simplen und völlig untechnischen Nenner. „Kein Sparmodell“, war der Auftrag des Intendanten für den seit Dezember 2006 offiziell in Betrieb gegangenen Newsroom in Saarbrücken. Zu den Gründungsbeauftragten zählte demnach auch ein Personalratsmitglied. Zwei feste und zwei fest-freie Stellen wurden für den Newsroom zusätzlich geschaffen – aber „dennoch ging der Personalabbau insgesamt durchs gesamte Haus.“
Als einer der ersten Sender in Deutschland und eine Art Testlabor für die ARD probiert der Saarländische Rundfunk im trimedialen Newsroom das Zusammenarbeiten von Radio, Fernsehen, Onlineredaktion und SaarText – dem Videotext – aus.
Als „absurd“ beschreibt Newsroom Leiter Jansen die Ausgangssituation. „Jede der vier Wellen agierte für sich. So kam vor, dass Statements aus der Staatskanzlei gleich viermal abgefragt wurden. Es liegt auf der Hand, was man da von uns dachte. Koordination erfolgte nur sporadisch. Redaktionen hielten Infos bewusst zurück.“ Im Sender herrschte „Kästchendenken“ und Konkurrenz.
Der Newsroom funktioniert für Jansen sowohl virtuell als auch räumlich als zentrale Anlaufstelle, die Doppelrecherchen und -planungen vermeidet und Basisinfos für alle zur Verfügung stellt. Über das Open Media System auf jedem Bildschirm können alle jederzeit die permanent fortgeschriebene Ideen- und Materialsammlung und den Sendungsverlauf einsehen und selbst Infos und Themenvorschläge eintragen. Zwei „Themenscouts“ gleichen Recherchedefizite aus und ergänzen Hintergrundmaterial. Da aber nicht jeder Kollege stets in die „virtuelle Redaktionskonferenz reinguckt“, findet zweimal täglich eine Stehkonferenz im realen Newsroom statt mit dem Austausch von Angesicht zu Angesicht. Der persönliche Kontakt wird gebraucht. Zwar sitzen Planer und Chefs vom Dienst zusammen. Dennoch bleibt die Verantwortung, was gesendet wird, in den einzelnen Redaktionen.
Um ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen, grenzen im Newsroom aus Schrankwänden gebildete offene „Buchten“ Fernsehen, Hörfunk und Themenscouts ab. Von dort aus agieren auch die mit Glaswänden abgeschotteten Nachrichtensprecher, die über den Newsdesk schneller mit aktuellen Infos versorgt werden. Ein digitaler Schnittplatz für Hörfunk und Fernsehen ermöglicht das Überspielen von O-Tönen. Wenn nach dem Hörfunk auch das Fernsehen durchgängig digitalisiert ist, wird der Newsroom noch mehr zentrale Sammelstelle, blickt Jansen in die Zukunft. Denkbar sei auch, dass mittelfristig hier die Entscheidungen für die Programme fallen.