Scouts mit losem Mundwerk

Die Fußball-Statistiken und ihre „Hintermänner“ im Stadion

Kaum hat der Schiedsrichter die Partie abgepfiffen, schon präsentiert der Reporter die Statistik. Ballbesitz, Torschüsse, Zweikampfbilanz: alles auf Knopfdruck. Zauberei? Mitnichten, sondern das Ergebnis einer akribischen Analyse. Doch der Computer erledigt nur die Rechenarbeit; der Rest ist Mund- und Handwerk.


IMP (Innovative Medientechnik und Planung) heißt der vor knapp zwanzig Jahren in Österreich gegründete Münchener Betrieb, der Fernsehsender und Vereine mit dem Zahlenmaterial versorgt. Als „Dienstleister im Dreieck Medien, Sport und Computer“ bezeichnet Holger Rahlfs die Firma. Er leitet den Geschäftsbereich Sportdaten und ist demnach der Herr der Zahlen. Und die kommen so zustande: In jedem Stadion sitzen zwischen all den Journalisten zwei weitere Personen, die das gesamte Spiel kommentierend begleiten; intern heißen sie „Scouter“. Der eine folgt dem Ballverlauf und nennt jeden Spieler mit Ballberührung, der andere beobachtet alle Zweikampfsituationen. Im Münchener Studio werden die entsprechenden Informationen umgehend in einen Computer eingegeben.
Voraussetzung für die Tätigkeit ist nicht nur eine rasche Auffassungsaufgabe und ein im besten Sinne loses Mundwerk, sondern natürlich auch eine profunde Kenntnis der Liga: Wer in der Aufstellung nachschauen muss, wie der Spieler mit der 69 auf dem Rücken heißt, hat schon verloren. Deshalb müssen die Scouts mehrere Tests absolvieren. Den Job bekommen sie erst, wenn ihre Fehlerquote unter einem Prozent liegt. Und Spaß, versichert Rahlfs, mache das durchaus: „Man verfolgt ein Spiel hochkonzentriert und ist immer ganz nah am Ball“. Es handele sich halt um eine „ganz eigene Wahrnehmung“ eines Fußballspiels, vergleichbar mit der Arbeit eines Korrektors, der vor allem auf die Form und weniger auf den Inhalt achte.

Zweite Analyse auf Video

Doch das Scouting im Stadion ist nur die eine Säule der IMP-Daten. Dieser Teil der Arbeit dient vor allem der unmittelbaren Versorgung von Reportern und Redakteuren. Sämtliche Spiele werden später auf Video einer zweiten Analyse unterzogen, die in der Regel sechs bis acht Stunden dauert. Hier geht es weniger um Quantität, sondern vor allem um Qualität, erklärt Rahlfs. „Während der Scouter allein den Torschuss registriert, wird bei der Videoanalyse der gesamte Kontext berücksichtigt: Wie ist die Szene entstanden, wo stand der Schütze, wie hat er den Ball angenommen?“ Allein für Torschüsse gibt es insgesamt zwanzig unterschiedliche Kategorien. Ohnehin ist ja Torschuss nicht gleich Torschuss: Ein Knaller von der Strafraumlinie hat eine ganz andere Qualität als ein Verzweiflungsakt aus dreißig Metern Entfernung, den der Torhüter eher als Beleidigung denn als Herausforderung betrachtet. Bei der internen Auswertung, die beispielsweise auch sämtlichen Bundesligavereinen zur Verfügung steht, wird also durchaus differenziert.
Trotzdem fragt sich der gemeine Fußball-Fan: Was soll das alles? Denn die Zahlen allein sind in der Regel wenig aussagekräftig. Wer beispielsweise in der Kategorie Ballbesitz vorn liegt, muss das Spiel noch lange nicht gewonnen haben. Auch die Anzahl der Torschüsse sagt wenig über Sieg oder Niederlage. Rahlfs weiß das natürlich auch: „Die Zahlen können einen Spielverlauf nie eins zu eins wiedergeben, dafür ist Fußball viel zu komplex und zu sehr vom Glück abhängig. Unsere Informationen bedürfen daher immer der Interpretation“. Deshalb gebe IMP nur Zahlen mit Aussagekraft und auch nicht einfach nur einen unkommentierten Datenberg weiter. Bei circa 2.000 „Ereignissen“ pro Spiel wäre der ohnehin in der Schnelle kaum zu bewältigen. Die Team-Werte, so Rahlfs, seien also stets bloß „ein Teil des Spielgeschehens, können aber nie die Frage beantworten, welche Mannschaft die bessere war“.
Echte Aussagekraft haben also eigentlich erst die Ergebnisse der Videoanalysen, mit deren Hilfe die Trainer ihre Mannschaft auf den nächsten Gegner einstellen können. Selbst das aber schützt nicht vor Überraschungen; und das ist ja das Schöne am Fußball.

Anerkannte Datenbank

Die IMP ist Betreiber der einzigen von der DFL anerkannten Datenbank zur Fußball-Bundesliga. Der Live-Service und die statistischen Auswertungen gehören heute in allen Medien zum Standard der Fußball-Berichterstattung. Über siebzig Mitarbeiter erarbeiten an jedem Spieltag aktuelle Analysen und Auswertungen zum Bundesligageschehen. Zu den IMP-Kunden zählen neben Fernsehsendern, Internetdiensten, Zeitungen und Zeitschriften auch alle Bundesligaclubs. Zwischenzeitlich gehörte die 1988 gegründete Firma zum Kirch-Konzern. 2003 wurde IMP von der Cairos Technologies AG übernommen. Für Fußball-Fans gibt es das in vielen Jahren gesammelte Material auf der CD „Bundesliga-Archiv“ (für 12 Euro unter www.bundesligaarchiv.com).
Weitere Informationen unter www.bundesliga-datenbank.de.

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