3500 eingereichte Filme, 114 Filme und 5 Drehbücher aus 28 Ländern im Programm, Preise im Wert von 38.000 Euro in 13 Sektionen, 7.000 Besucher und 75 angereiste Filmteams. Das ist die zahlenmäßige Bilanz des 45. Sehsüchte Filmfestivals, das vom 20. bis 24. April in der Medienstadt Babelsberg in Potsdam Filmfans aus aller Welt empfing. Doch hinter den Zahlen und hinter den Kulissen des größten Studentenfilmfestivals Europas gab es noch mehr zu entdecken als nur gute Filme. Mit einem Workshop-Programm und zahlreichen Networking-Veranstaltungen wollten die Organisatoren getreu dem diesjährigen Festivalmotto S.P.A.C.E. auch einen Raum der Begegnung und des Austausches anbieten.
Organisiert wird das Sehsüchte Festival, das 1972 aus den FDJ-Studentenfilmtagen der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam entstanden ist, traditionell vom Masterstudiengang Medienwissenschaft der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. In diesem Jahr konnte die Festivalleitung bestehend aus Charlotte Keuer, Corinna Retzke und Gregor Peetz auf ein 40-köpfiges Team zählen, von dem jedoch allein neun Studenten 70 Tage lang damit beschäftigt waren, die rund 3500 eingereichten Filme zu sichten. Eine Arbeit, die sich gelohnt hat. Die prominent besetzte Jury aus den unterschiedlichsten Gewerken, in der unter anderem die Schauspielerin Alissa Jung, Kerstin Meyer-Beetz, Senior-Producerin bei der Gebrüder Beetz Filmproduktion oder die Regisseurin Theresa von Eltz mitwirkten, konnte schließlich über 114 Filme aus 28 Ländern befinden. Vom neu geschaffenen Genrefilm über kreative Animationsfilme für Kinder und Erwachsene bis hin zu Dokumentarfilmen über brennende Fragen wie die Flüchtlingskrise. Keine leichte, aber eine „fruchtbare und inspirierende Arbeit“, wie Jurymitglied und Kameramann Klemens Becker unterstrich.
S.P.A.C.E – Back to the roots!
Das diesjährige Festivalmotto S.P.A.C.E spiegelt den Wunsch der Sehsüchte-Macher wieder, das Festival zurück zu seinen Anfängen zu führen. Der Perfektionismus sollte abgestreift, die Sehsüchte insgesamt wieder studentischer und experimentierfreudiger werden. Den unkonventionellen und studentischen Charakter realisierten die Konrad Wolf-Studenten über die Schaffung eines Raums des Austausches und der Begegnung zwischen Filmstudenten untereinander, aber auch zwischen Filmstudenten und bereits etablierten Filmemachern. Dieses kreative Universum, das besonders angesichts der drängenden gesellschaftspolitischen Fragen auch als kultureller und multinationaler Raum zu verstehen sei, so Pressesprecherin Lea Busch, beförderten die Sehsüchte-Organisatoren mit einem originellen Rahmenprogramm, vom Filmemacher-Frühstück über die traditionelle Sehsüchte-Party bis zum erstmalig ausgetragenen Kicker-Turnier. Die Idee vom multinationalen, kreativen Raum nahm indes auch in Form der Filmauswahl konkrete Gestalt an. Dokumentationen wie „Aguastak per zemi“ über das Leben junger Europäer in Lettland vor dem Hintergrund realer politischer Spannungen oder „Cerro Rico – The Silver Mountain“ über die Arbeiter in einer Silbermine im bolivianischen Hochland warfen einen Blick auf thematische Räume, die im hiesigen kulturellen und politischen Bewusstsein weniger präsent sind.
Von Crowdfunding bis Filmverleih – Das Workshop-Programm
Flankiert wurde das Festivalprogramm aus Screenings und Networking-Veranstaltungen durch ein Workshop-Angebot, das von Virtual Reality (VR) und Produktionstechniken für 360° Videos bis zu Strategien von Filmverleih und Filmvertrieb sowie Case Studies für die Filmfinanzierung mittels Crowdfunding reichte. So beschrieben Oliver Damian von 27 Films Productions FFM GmbH und Olaf Kühle von der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) vor einem gemessen an der Relevanz des Themas doch recht überschaubarem Publikum anhand zweier Case Studies, wie man Filme erfolgreich mittels Crowdfunding cofinanzieren kann. Zugegeben, die von Damian produzierten Filme „Iron Sky 1“ und „Iron Sky 2“ seien dabei durchaus als „einsamer Leuchtturm in der Filmproduktion“ anzusehen, so Kühle. Denn selbst eine erfolgreiche Crowdfinanzierung kann höchstens etwa 10% des Produktionsbudgets stemmen. Wobei von diesen 10% nur die Hälfte in die Produktion fließt, da die restlichen 50% in das Management der Crowdfunding-Kampagne investiert werden müssen (Dankeschöns, Plattformmiete, Personalkosten etc.). Zudem können zu erwartende Einnahmen aus dem Crowdfunding nicht in der Kalkulation geltend gemacht werden, anhand der Förderbanken wie die ILB über die Förderfähigkeit eines Filmprojekts entscheiden. Zu unsicher. Zu unvorhersehbar. Die Schilderungen Damians lassen demnach darauf schließen, dass der eigentliche Nutzen von Crowdfunding nicht die Teilfinanzierung eines Films ist. Vielmehr erschließt eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne dem Film durch Werbung einen Großteil seines zukünftigen Publikums. Denn: Jede gewinnbringenden Crowdfunding-Kampagne erfordert zunächst die Etablierung einer Marke sowie einer großen Community, die diese Marke hypet. Eine Community, die sich später in Besucherzahlen übersetzt. Crowdfunding als sich selbst refinanzierende Marketingkampagne sozusagen. Was allerdings nur funktioniere – auch dies eine Einschränkung durch den pragmatischen Banker Kühle – sofern der Film ein spezielles (Nischen-)Thema besetze, für das in kurzer Zeit eine große und engagierte Community aufgebaut werden könne.
Schreibsüchte
Eine besondere Sektion bilden auf dem Sehsüchte-Festival die Schreibsüchte. Hier geht es einmal nicht um den Film, sondern um dessen Vorgeschichte. Denn vor jedem Dreh steht ein Drehbuch, steht eine Idee. Und auf dem Weg von dieser ersten Idee bis zum fertigen Drehbuch konnten die Festivalbesucher junge Drehbuchautor_innen am Schreibsüchte-Samstag begleiten. Der Ideen-Wettbewerb Pitch! bot zunächst Nachwuchsautor_innen die Möglichkeit, ihre Exposés für ein Filmprojekt vorzustellen. Im anschließenden Podiumsgespräch mit Filmuni-Dozent und Dramaturg Timo Gössler berichtete Drehbuchautorin Annette Hess, bekannt unter anderem als Autorin von „Weißensee“ und „Ku’damm 56“, über ihren Werdegang, die Arbeit als Drehbuchautorin und die Techniken seriellen Erzählens. Der letzte Programmpunkt „Kopfkino“ dagegen bot den Besucher_innen die Möglichkeit, der Live-Inszenierung ausgewählter Ausschnitte aus den nominierten Drehbüchern mittels Synchronsprecher_innen, visuellen Impulsen und Live-Musik beizuwohnen.
And the winner is…Die Gewinnerfilme des Sehsüchte Festivals
Die besten Filme und das beste Drehbuch wurden im Rahmen der feierlichen Preisverleihung am letzten Tag des Sehsüchte Festivals mit Auszeichnungen im Wert von 38.000 Euro geehrt. So konnte sich der Beziehungsthriller „Fado“ von Jonas Rothlaender den mit 5.000 Euro dotierten und von der UFA gestifteten Preis in der Kategorie „Bester Spielfilm lang“ sichern. Der in diesem Jahr zum ersten Mal verliehene Genrepreis, der von den Festivalbesuchern per Abstimmung vergeben wird und ebenfalls mit 5.000 dotiert ist, ging an die niederländische Komödie „Dri Mensen vinden een Auto“ von Max Lunter. Zum besten Dokumentarfilm lang kürte die Jury „Tiempo suspendido“ von Natalia Bruchstein, einer Filmemacherin, deren gesamte Familie während der argentinischen Militärdiktatur nahezu ausgelöscht wurde. In der Kategorie „Schreibsüchte“ dagegen konnte die Jury das Drehbuch „The Bastards have landed“ von Kevin Kepler überzeugen.
‚Tarifvertrag‘? What’s that? – ver.di-FilmUnion zu Besuch bei den Sehsüchten
Die ver.di-FilmUnion nutzte den vom Sehsüchte Festival geschaffenen Raum der Begegnung, um am Festivalsamstag Filmstudent_innen und junge Filmemacher_innen über den Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende (TV FFS) sowie die ver.di-Angebote für Freie und Selbstständige zu informieren. Eine gute Gelegenheit auch, um die druckfrischen, aktualisierten Tarifverträge für die Hosentasche an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Denn wer seine Rechte kennt, ist klar im Vorteil. Und in der Tat konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass in dieser Frage noch so einiges an Nachholbedarf besteht. Das haben nicht nur die Gespräche mit den Festivalbesucher_innen und deren Fragen gezeigt, sondern auch so manche beiläufige Bemerkung wie die des Produzenten Oliver Damian, der die Entscheidung, den Film „Iron Sky“ in Australien zu drehen, aufgrund zuvor nicht einkalkulierter Kosten, die (auch) durch die Arbeit der dortigen Gewerkschaften verursacht wurden, als Fehlentscheidung bezeichnete.