Selbstkritischer Blick

Journalistentag Baden-Württemberg: Zeitreisen durch das Pressewesen

Um Kommerz contra Qualität ging es beim 16. LandesjournalistInnentag am 22. Okto­ber im Stuttgarter ver.di-Haus. Zum Jubiläum 400 Jahre Zeitung hatte die dju Baden-Württemberg den Tag unter das Motto „Vom Gazetiere zum Journalisten – vom Widerstehen des Geistes gegenüber dem Geld“ gestellt.

Wer wenn nicht wir, sind für die Qualität unserer Beiträge verantwortlich? Wer sonst sollte für die Wahrung unseres Selbstverständnisses als Journalisten kämpfen? Ermutigend, dass viele der 50 angereisten TeilnehmerInnen den selbstkritischen Blick übten. Die Referenten blickten zurück bis zu den Anfängen der schreibenden Zunft. Dr. Jörg Requate von der Universität Bielefeld skizzierte den Professionalisierungsprozess vom Gazetiere, dem unter kommerziellem Diktat stehenden Zeitungsschreiber, zum heutigen Journalisten. Anfangs war Journalismus vor allem eine Parkbank für Beamtenanwärter, erst um 1900 entwickelte er sich zum eigenständigen Beruf. Standards etablierten sich, Journalistenorganisationen gründeten sich. Unter dem Einfluss der USA hielten ab 1945 Pressefreiheit, inves­tigativer Journalismus und die Frauen Einzug in das deutsche Pressewesen.

Der Nachrichtenstil änderte sich: vom erzählenden, chronologischen Bericht, der noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschte, zum faktischen Stil. Diesen Wandel hin zum „Ereignis als Pyramide“ beleuchtete Dr. Gunter Reus, Kommunikationsforscher an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Sein Fazit: „Darin spiegelt sich das professionelle Streben wider, mehr Leser zu gewinnen. Journalistische Qualität ist eine Produktivkraft!“ Sein Rat: „Zeigen Sie dem Verleger auf, dass er mit Qualität Geld verdienen kann.“

Die Frage „Wie entwickeln sich ökonomisches Kalkül und journalistische Professionalität in den kommenden Jahren?“ beantwortete Uli Viehöver, freier Journalist und Buchautor aus Stuttgart. Er beklagte den vor allem im Wirtschaftsressort zunehmenden Hang zum „Instant-Journalismus: PR-Nachrichtendienste liefern fertige Artikel samt Layout; Redaktionen übernehmen diesen fachgerecht aufbereiteten Stoff unreflektiert und ohne Nachrecherche – oder fordern ihn gar bei PR-Büros an.“ Der Deutsche Presserat befasse sich mit Schleichwerbung in Zeitungen und Zeitschriften. Und freie Journalisten müssten parallel zur Recherche immer öfter als Anzeigenakquisiteure fungieren.

Was tun gegen diese Ökonomisierung der Presse? „Sich nicht zum Kumpel der PR machen lassen. Ergebnisoffen recherchieren, Quellen prüfen. Selbstkritisch sein, angefangen bei der Themenwahl bis zur Sprache oder der Bildaussage. Also schlicht unseren Job machen!“, forderte Viehöver. Außerdem „Redaktionsstatute zur Qualitätssicherung souveräner und lauter als bisher einfordern und unsere Mitbestimmungsrechte nutzen.“

Ein anderes Bild zeichnete Gunter Reus mit seinem Referat „Widersteht der Geist dem Geld? Analyse von Zeitungsfeuilletons“. Reus hat heutige Kulturseiten u.a. der FAZ und der SZ mit Ausgaben von 1983 und 1993 verglichen und kommt zu dem Ergebnis: „Dem medialen Zeitgeist des Lifestyle, der Personalisierung, der Kürze und der serviceorientierten Portionierung kann sich das Feuilleton weitgehend entziehen.“ Von einer „Vergewaltigung durch den homo oeconomicus“ könne keine Rede sein. Mehr noch: Manche Feuilletons öffneten sich für jene Diskussionen abseits des Mainstreams, die von Wirtschafts- und Politikressorts just derselben Zeitungen vernachlässigt würden. „Ein längst überfälliger Beitrag zu einer ausgewogeneren Neoliberalismusdebatte“, so Gerhard Manthey, Leiter des ver.di-Landesfachbereiches Medien. „Wir müssen unser Handwerk wieder ernst nehmen“, mahnte er. „Es sollte im Mittelpunkt unserer täglichen Arbeit stehen.“

Weitere aktuelle Beiträge

Berichten über und LSBTIQ-Themen

Wenn queere Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans und inter Menschen) Beiträge über sich in Zeitungen lesen oder im Fernsehen gucken, kommen sie manchmal aus dem Staunen nicht heraus. Egal ob Boulevard, Qualitätspresse oder Nachrichtenagenturen: Regelmäßig gibt es Schlagzeilen über das „Homosexuellen-Milieu“ und ungelenke Formulierungen wie „Homosexuelle und Lesben“ oder „bekennende Bisexuelle“ und „Menschen im falschen Körper“. Ein kollegialer Leitfaden zeigt, wie es besser geht.
mehr »

Wie ähnlich ist presseähnlich?

Der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Ralf Ludwig, erwartet, dass es für die öffentlich-rechtlichen Sender künftig schwerer werde, insbesondere jüngere Zielgruppen online zu erreichen. Grund dafür sei die „Schärfung des sogenannten Verbots der Presseähnlichkeit“, sagte Ludwig Ende Mai im Medienausschuss des sächsischen Landtags.
mehr »

ARD-Nachrichtentag: Mehr Transparenz

Nachrichten sind das Herz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie sollen gut recherchiert und aufbereitet sein, sollen verständlich Ereignisse vermitteln und einordnen. Beim ARD-Nachrichtentag am 5. Juni gab es einen offenen Einblick, wie das eigentlich geschieht. Teilnehmende bekommen Einblicke in den journalistischen Alltag und erfahren den Wert unabhängiger Nachrichten in Hörfunk, Fernsehen und Social Media.
mehr »

Altersversorgung für Filmschaffende

Zusammen mit der Schauspielgewerkschaft BFFS und dem Tarifpartner Produktionsallianz hat ver.di einen Tarifvertrag für eine branchenweite betriebliche Altersversorgung für Filmschaffende in Film- und Serienproduktionen abgeschlossen. Für die etwa 25.000 auf Projektdauer beschäftigten Film- und Fernsehschaffenden vor und hinter der Kamera wird die neue tarifliche Altersvorsorge ab Juli 2025 starten.
mehr »