Sensationstourismus zum Tatort

Bei Mordfällen auf identifizierende Details verzichten

Berichterstattungen über Mordfälle sind nicht nur eine Domäne von Boulevardzeitungen. Auchregional- und Lokalzeitungen berichten immer mal wieder über gewaltsame Todesfälle. Dass hierbei stets die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen – Opfer wie Täter – beachtet werden müssen, ist ebenso klar, wie die Tatsache, dass es eine vorurteilsfreie Berichterstattung geben muss. Dennoch werden immer wieder Fehler gemacht.

So berichtet eine Lokalzeitung in zwei Artikeln über ein Gerichtsverfahren wegen versuchten Mordes. In der ersten Veröffentlichung werden zwei Fotos vom Tatort abgebildet, wobei in einer Bildunterschrift von dem „Haus an der Hauptstraße in E[.Ort..]“ dierede ist. In der zweiten Veröffentlichung findet sich die genaue Adressangabe mit der Hausnummer. Über die Preisgabe dieses Details beschwert sich eine Angehörige, die eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts sieht. Schon durch die Veröffentlichung des Fotos, erstrecht aber durch die der genauen Adresse sei sie in den Mittelpunkt des örtlichen Interesses gerückt worden. Es habe sich einregelrechter Sensationstourismus nach der Berichterstattung um ihr Haus herum entwickelt.

Dieredaktionsleitung sieht die Veröffentlichung des Fotos vom Tatort als gerechtfertigt an, da es sich bei dem Gewaltdelikt um ein Ereignis von öffentlichem Interesse gehandelt habe, das sich ohnehin wie ein Lauffeuer im Ort herumgesprochen habe. Sieräumt jedoch ein, dass die Nennung der Hausnummer ein Fehler gewesen sei. Der Ausschuss des Deutschen Presserates erklärt die Beschwerde für begründet und spricht einen Hinweis aus. Er war der Ansicht, dass die Zeitung mit den Veröffentlichungen gegen die Ziffer 8* des Pressekodex verstoßen hat. Schon die Veröffentlichung der Fotos vom Tatort sei im Hinblick auf die Wahrung der Privatsphäre der Beschwerdeführerin fragwürdig. Dies gilt erstrecht für die Adressangabe, zumal die Berichterstattung über die Gerichtsverhandlung erst ein gutes halbes Jahr nach der Tat erfolgte. Gemäßrichtlinie 8.1** ist die Nennung der Namen von Opfern in der Berichterstattung über Gerichtsverfahren in derregel nicht gerechtfertigt.

Keinerlei Bedauern

Eine andere Lokalzeitung berichtet in zwei Beiträgen über den Tod eines 46-jährigen Mannes nach einem Streit mit seiner Lebensgefährtin. In dem ersten Artikel heißt es, dass die Ermittlungsbehörden mitgeteilt hätten, dass ein Verfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdeliktes gegen die Frau eingeleitet werde. Klar sei, dass die tätliche Auseinandersetzung zum Tod des Mannes geführt habe. Äußere Gewalteinwirkung sei nicht zu erkennen. Weiterhin enthält der Artikel die Information, dass es sich bei dem Paar um die Pächter eines namentlich genannten Hotels in einem kleinen Ort handelt. In dem zweiten Beitrag wird einen Tag später mitgeteilt, dass der Mann nicht durch direkte Gewalteinwirkung gestorben sei. Es habe einen Streit gegeben, in dessen Verlauf er eine Platzwunde erlitten habe. Die Frau sei wieder auf freien Fuß gesetzt worden, vermutlich werde laut Ermittlungsbehörden eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung gegen sie erstattet. Erneut wird auf das Hotel hingewiesen. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass die Zeitung aus dem Vorgang inreißerischer Art und Weise einen Gattenmord macht. Auch nach dem offiziellen Bekanntwerden der Wahrheit habe die Redaktion sich nicht verpflichtet gesehen, Schadensbegrenzung zu betreiben. Der Tenor derrichtigstellung im zweiten Beitrag sei von keinerlei Bedauern über die erste Veröffentlichung geprägt, sondern von weiteren unterschwelligen Beschuldigungen. Beim Leser halte sich der Eindruck, dass die Frau den Tod ihres Partners bewirkt habe.

Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde für begründet und spricht gegen die Zeitung eine Missbilligung aus wegen Verstoßes gegen Ziffer 8 des Pressekodex. Durch den Hinweis auf das Pächterehepaar und das Hotel werden die Betroffenen klar identifizierbar, so dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt wurden. Es wäre angebracht gewesen, auf die identifizierende Angabe zu verzichten, da sich der Sachverhalt für den Leser auch ohne dieses Detail erschlossen hätte.

Eine Verletzung der Ziffer 13 des Kodex (Vorverurteilung) beging eine Boulevardzeitung, die unter der Überschrift „Hier heult der Vater, der seine Söhne ertränkte“ über einen Mann, der wegen Mordes an seinen beiden Kindern vor Gericht steht, berichtete. Diese Überschrift ist nach Ansicht eines Lesers vorverurteilend, da noch kein Urteil zu den Prozessen vorliege. Die Zeitung gibt den Fehler zu und bedauert, diese Überschrift. Auch für den Beschwerdeausschuss ein klarer Fall, der mit einer Missbilligung geahndet wurde.

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