Service, PR und Promiklatsch

Immer mehr „Fremdtöne“ in vielen deutschen Radioprogrammen

Deutsche Hörer hören immer weniger eigene Sendungen bei ihrem Radio, dafür geschickt eingepasste Zulieferungen – ohne dass sie es merken. Die Palette ist sehr breit: Da gibt es Weltnachrichten oder wichtige Unternehmens-Pressekonferenzen mit O-Ton und selbst beim kleinsten Lokalsender sind die Stars von „Wetten, dass …?“ zu hören. Jahreszeitlich angepasste Servicetipps wechseln sich mit Experten ab, die zu verschiedenen Themen gute Ratschläge geben. Auffällig: Wenn zwei Mal im Jahr die telefonischen Befragungswellen der Media Analyse (MA) laufen, veranstalten die Hörfunker Gewinnspiele – zumeist mit attraktiven Preisen diverser Firmen.

Solange Werbung, PR und redaktioneller Inhalt klar voneinander zu unterscheiden sind, ist das unproblematisch. Vor allem die Nutzung von Fremdmaterial reicht vom Beitrag eines freien Reporters bis zum fertig angelieferten Format einer Nachrichtenagentur. „Kein Sender kann alles selbst produzieren“, sagt Wolfram Tech von BCI – The Broadcast Partner, eine der erfolgreichsten deutschen Radio-Beratungsfirmen. Das Geschäft nennt sich Radiosyndication, ist in entwickelteren Hörfunkmärkten wie den USA längst eine profitable Dienstleistung, in Deutschland aber noch klein und überschaubar. Doch der Durchbruch deutet sich an, weil es zunehmend auch andere Interessenten für sendefähiges bzw. als Podcast herunterladbares Audiomaterial gibt, als „nur“ klassische UKW-Radios: Webfunk, Online-­Portale von Zeitungen und Zeitschriften sowie Seiten von großen Unternehmen.

Langfristige Verträge

Zu den etablierten Audio-Dienst­leistern in Deutschland gehören FM Radio Network und FirstNews. Beides sind Tochterunternehmen der Klassik Radio AG. Überhaupt ist die gesamte Firma eigentlich 1989 aus dem Syndication-Geschäft entstanden, das heute immer noch fast 50 Prozent zum Umsatz beiträgt. Beide AG-Töchter stehen unter Leitung von Hans-Eckard Diehl, der besonders stolz ist auf „langfristige Verträge mit einem großen Kundenstamm“. Über 100 Sender greifen regelmäßig auf die Produkte des Syndicators zurück – und senden Formate wie „Hollywood Affairs“ und „Moments“. Neu ist „neonox“, ein Nacht-Talk-Format. Und FirstNews, die Agentur für Infos und Klatsch aus Musik-, Film- und Entertainment, hat 70 Kunden, darunter viele Radios.
Einer der wichtigsten Informations- und O-Ton-Lieferanten sind zwei Tochterfirmen der größten deutschen Nachrichten­agentur dpa: dpa / Rufa (100 Prozent) und dpa-AFX (50 Prozent). Die im dpa-Hauptstadtbüro in der Reinhardtstraße voll integrierte Rufa bietet mit 20 festen Mitarbeitern in Berlin, Auslandskorrespondenten und bundesweit vielen Freien vor allem Privatradios einen Audiodienst (O-Ton-News / Kurzinterviews), einen Radiodienst (sendefertige Radioberichte), die Hörfunknachrichten (sprechfertige Textnachrichten) und ein OnlineRadio (Audio-Files online). Nur 200 Meter von Deutschlands Börsenzentrum in Frankfurt / Main entfernt sitzt dpa-AFX und beliefert mit sechs Redakteuren zwei Dutzend Radiosender. Neben dem „Börsenaufsager“ und der „Expertennachfrage“ sind das auch zunehmend Geld-Tipps und Verbraucherservice. Selbst Yahoo streamt das dpa-AFX-Radio, Vodafone und T-Mobile bieten hörbare Handy-News und das Handelsblatt kooperiert mit dpa-AFX-Audio.
Konkurrent der etablierten Agentur-Ableger ist die netzeitung (nz) mit ihren Audio-News, die sie inzwischen an ein Dutzend Sender und Kunden liefert, darunter auch die Sendung „Sonntags ab 10: Der Talk“. Zuständig dafür ist eine 12-köpfige Truppe, die eng mit den nz-Redak­teuren zusammenarbeitet. Am Berliner Sender 100,6 motor FM ist die nz Hörfunkgesellschaft sogar direkt beteiligt und liefert komplett alle Wortbeiträge. Ein ganz anderes Konstrukt sind BLR / RadioDienst. Die Bayern halten sich mit bis zu 70 Festangestellten, einem dreisprachigen Audioservice für 80 Sender und 20 andere Unternehmen für den „dynamischsten Radiosyndicator in Deutschland“, sagt Geschäftsführer Helge Siemers.

Hangeln von Auftrag zu Auftrag

Von solchen Erfolgen wie die der fünf Großen im deutschen Radiosyndication-Geschäft können die etwa zwei Dutzend Kleinfirmen nur träumen – sie verkaufen meist nur ein Produkt oder hangeln sich von Auftrag zu Auftrag. „Es fehlen finanzkräftige Partner, um den Sektor profitabel wie in den USA zu entwickeln“, sagt BCI-Radioberater Wolfram Tech. Außerdem macht der um sich greifende „Gratis-Ser­vice“ das Geschäft kaputt, liefern Agen­turen sendefertiges PR-Material, das journalistisch daher kommt. Unbestritten die Nr. 1 bei diesen Kostenlos-Plattformen ist die dpa-Tochter newsaktuell: Ihr Originalradioservice kassiert kräftig bei den Unternehmen und Institutionen für die Verbreitung von einem Dutzend Themen pro Woche – für die abnehmenden Sender ist das Audiomaterial kostenlos.
Einen besonderen Dreh hat all4radio der orgeldinger media group GmbH in Esslingen gefunden. Sie nennt sich „Audio-Agentur des ZDF“ und bietet vieles – von Telenovela-O-Ton bis zu „Frontal 21“-Aufregerthemen. Die ARD hat im Gegensatz zu den Mainzern so etwas nicht nötig, verfügt sie doch über fast 60 eigene Radios. Die spielen dann locker „Harald Schmidt“-Gags ab oder promoten andere Sendungen der ARD.
Die „Fremdbeiträge“ bei öffentlich-rechtlichen wie auch privaten Radios haben inzwischen so einen Umfang an­genommen, dass sich die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), veranlasst sah, eine Studie dazu in Auftrag zu geben. In ihr kommt Prof. Dr. Helmut Volpers vom Institut für Informationswissenschaft der Fachhochschule Köln zu dem Schluss, dass es unübersehbare „Tendenzen zur Kommerzialisierung redaktioneller Programmangebote“ im deutschen Hörfunk gebe. „In dem Maße, in dem Journalisten die Produktion (scheinbar) redaktioneller Inhalte aus der Hand geben“ warnt Volpers, „verlieren sie ihre Legitimation und leisten der Unterwanderung eines unabhängigen Journalismus Vorschub“.

Audio-Dienstleister und PR-Agenturen

Fünf große Audio-Dienstleister dominieren den Markt in Deutschland und beliefern viele der knapp 300 Radiosender in Deutschland: dpa / Rufa, dpa-AFX, Klassik Radio AG mit FM Radio Network und Firstnews, BLR mit dem Radiodienst. Dazu kommen noch ein Dutzend kleinerer Anbieter, die auf Nischen spezialisiert sind. Rund 20 auf Audio spezia­lisierte PR-Agenturen listet Band 55 der Schriftenreihe Medienforschung der LfM auf.
Helmut Volpers: „Public Relations und werb­liche Erscheinungsformen im Radio“, VISTAS Verlag GmbH, Berlin, 256 Seiten, 18 Euro

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Der Rotstift beim Kinderfernsehen

ARD und ZDF halten es nicht für sinnvoll, wenn die Bundesländer im Reformstaatsvertrag einen fixen Abschalttermin für das lineare Programmangebot des Kinderkanals KiKa festlegen. Die lineare Verbreitung zu beenden, sei „erst dann sachgerecht, wenn die weit überwiegende Nutzung eines Angebots non-linear erfolgt“, erklärten ARD und ZDF gemeinsam auf Nachfrage. „KiKA bleibt gerade für Familien mit kleinen Kindern eine geschätzte Vertrauensmarke, die den Tag linear ritualisiert, strukturiert und medienpädagogisch begleitet.“
mehr »

Journalismus unter KI-Bedingungen

Digitalkonzerne und Künstliche Intelligenz stellen Medienschaffende vor neue Herausforderungen. „KI, Big Tech & Co. – was wird aus dem Journalismus?“ lautete folgerichtig der Titel der 11. Medienpolitischen Tagung von ver.di und DGB am 16. Oktober in Berlin. Über 80 Wissenschaftler*innen, Rundfunkräte und Journalist*innen informierten sich auch über den aktuellen Stand der Debatte über den neuen Medien“reform“staatsvertrag.
mehr »

NRW: Zusammenschluss im Zeitungsmarkt

Die Konzentration im NRW-Zeitungsmarkt, insbesondere in der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL), setzt sich fort. Die Neue Westfälische und das Westfalen-Blatt streben eine Kooperation an. Auch die Lippische Landes-Zeitung und das Mindener Tageblatt planen, ihre Verlagsaktivitäten künftig in einer gemeinsamen Holding zu bündeln.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »