„Sie packen’s nicht“

Blick auf den regionalen Finanz- und Wirtschaftsjournalismus

Mit interessanten Ergebnissen wartet die gerade erschienene Untersuchung „Wirtschafts- und Finanzjournalismus in Deutschland“ des Instituts für Verbraucherjournalismus (IfV) an der Hochschule Calw und Professor Michael Haller vom Lehrstuhl für Journalismus der Universität Leipzig auf. Erstmals sollte erkundet werden, was Leser vom Wirtschafts- und Finanzteil ihrer Regionalzeitung erwarten und wie diese Erwartungen erfüllt werden. Finanziert wurde die Untersuchung von der Gothaer Versicherung.

Die Commerzbank rechnet fürs nächste Jahr wegen des „volatileren Umfelds mit einem Anstieg der Risikovorsorge auf bis zu 700 Millionen Euro“. Alles klar? Der Satz stammt aus einem dpa-Artikel in einer Regionalzeitung. Weder wird erklärt, was ein volatileres Umfeld sein mag, noch geht aus dem Text hervor, warum den geneigten Leser dies interessieren könnte. Es war halt irgendwo Pressekonferenz, von der wird berichtet und zwar aus Sicht des Unternehmens. Ein Beispiel von vielen, wie die jüngste Studie belegt.
Schon vorherige Untersuchungen zeigten: Knapp die Hälfte der männlichen und rund ein Drittel der weiblichen Berufstätigen wollen sich täglich über Vorgänge aus der Wirtschafts- und Finanzwelt informieren, die allermeisten nutzen dazu die regionale Tageszeitung. Sie ist weiterhin (oder noch) die wichtigste und glaubwürdigste Informationsquelle. Von ihr wird erwartet, dass sie unabhängig und zuverlässig berichtet, Orientierung bietet, Hintergründe erklärt und einordnet.
Soweit die Erwartung. „Aber ein bis zwei Drittel – je nach Fragestellung – äußern sich skeptisch zum Informationsgewinn, den sie aus der Lektüre ihrer Zeitung ziehen“, sagt Haller. Woher mag das kommen? Um die Praxis zu ergründen, nahm das Team um Haller die Berichterstattung zu Finanz- und Wirtschaftsthemen unter die Lupe, analysierte die Aus- und Fortbildungssituation und befragte die Chefs der Wirtschaftsressorts von 50 repräsentativ ausgewählten Regionalzeitungen (mit Vollredaktionen).
Zunächst fehlt Kompetenz. In jeder dritten Redaktion sitzt kein fachlich ausgebildeter Redakteur. In den anderen haben meist die Ressortleiter ein wirtschaftliches Studium oder eine entsprechende Ausbildung absolviert. Weiterbildungsangebote, die es nach Aussagen der Redaktionen gibt, werden nicht angenommen. Dass Kompetenz fehlt, ist den Ressortleitern übrigens bewusst. Gerne würden die meisten sofort einen fachkompetenten Redakteur einstellen – wenn sie das Geld dafür hätten.

Hier liegt ein weiteres Kernproblem: Die Wirtschafts- und Finanzressorts sind noch schwächer besetzt als andere, im Schnitt betreut ein Redakteur eine Seite. Seit 2001 wurde hier 15 Prozent des Personals eingespart, das zu bewältigende Volumen blieb jedoch gleich oder erhöhte sich, weil viele dieser Ressorts inzwischen auch Beilagen und Serviceteile liefern müssen.
Noch ein Problem: Fachjargon. „Wer zu viele Fachwörter gebraucht, ist aber nicht an seinem Leser interessiert. Er will sich vielmehr mit den Fachleuten gemein machen“, schlussfolgert Haller. Allerdings scheint eine Reihe von Ressortchefs auch nicht die Notwendigkeit zu sehen, die Themen allgemein verständlich aufzubereiten. Denn auf die Frage, für wen sie denn schrieben, gab es überraschende Antworten. Haller: „Überwiegend herrscht die Meinung, man mache den Finanz- und Wirtschaftsteil für Akteure und Betroffene von Wirtschaftsprozessen.“ Wobei unter „Betroffene“ nicht die breite Masse der Leser verstanden wird. „Nach unserem Verständnis und der Erwartung der Leser müssten die Redaktionen doch versuchen, ihre Themen für möglichst alle Leser interessant aufzubereiten“, meint Haller. Er vermutet, dass so manchem Ressortleiter dies durchaus bewusst sei. „Aber sie wissen, dass sie es nicht packen.“
Zu der teils unverständlichen Sprache kommt das Selbstverständnis vieler Redaktionen. Sie meinen noch immer, der Chronistenpflicht genüge tun zu müssen. Anstatt eigene Themen zu setzen, wird die Perspektive der Veranstalter übernommen. Die des Lesers bleibt außen vor. Diese Auffassung von Zeitungsmachen aus den 50er und 60er Jahren ist für Haller nicht mehr zeitgemäß. Er verweist auf die heutige geänderte Mediennutzung: Im Durchschnitt nutze ein Erwachsener vier Medien am Tag (Radio, Fernsehen, Tageszeitung, Internet). „Die News bekommt er also sowieso, dafür benötigt er nicht mehr die Tageszeitung.“ Zeitungsmacher müssten sich da „nicht wundern, dass sie jährlich zwei bis vier Prozent Reichweite verlieren.“
Um die – auch in den Ressorts – erkannten Kompetenzschwächen rät Haller den Tageszeitungen, entsprechend ausgebildete Journalisten einzukaufen: „Auch freie Mitarbeiter.“ Und Wirtschaftsjournalisten müssten sich viel stärker überlegen, wie sie eigene Themen finden und umsetzen. Denn im Ressort Wirtschaft und Finanzen stecken Chancen für die Regionalzeitungen. Haller: „Ihnen bietet sich hier die Möglichkeit, sich bei einem wichtigen Teil ihrer Leserschaft unentbehrlich zu machen.“

Weitere aktuelle Beiträge

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

Journalismus unter populistischem Druck

Journalismus steht unter Druck. Das machte auch die Würdigung von Maria Kalesnikawa mit dem „Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte“ deutlich. Dieser wurde im Rahmen des „Kölner Forum für Journalismuskritik“ an sie verliehen. Klar wird auch hier: die Branche hadert generell mit ihrer Identität.
mehr »

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.
mehr »