In unserem Berufsalltag werden wir angegriffen, beleidigt, bedroht und schlechter bezahlt. Das sollten wir nicht hinnehmen“, fordert Lotte Laloire, freie Politik-Journalistin und Expertin für Geschlechterfragen. Sie leitete auf der diesjährigen dju-Sommerakademie #krassmedial den Workshop „Solidarität statt Sexismus“.
Ihr Kursangebot um Strategien gegen Diskriminierung im Journalismus ging richtete sich an Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Menschen, kurz: FLINTA. Sie beobachte Sexismus in vier Sphären, den vier „R“, sagte Laloire und konkretisierte später gegenüber M: „Während der Recherche verhalten sich etwa Interviewpartner*innen mitunter unangebracht bis übergriffig. In Redaktionen herrschten patriarchale Zustände, mit Gender Pay Gaps oder auch mit autoritär herumschreienden Chefs. Auch bei den Reaktionen von Rezipient*innen entlädt sich regelmäßig Sexismus – mit Beleidigungen, über Shitstorms bis hin zu Morddrohungen. Und selbst der Rückzugsraum – die Privatsphäre – ist für Journalist*innen nicht frei von Sexismus, zum Beispiel, wenn der Nachbar sie über den Gartenzaun wegen einer Kolumne anpöbelt, die ihm nicht gefallen hat.“
Was tun nach sexistischen Übergriffen?
Nach sexistischen Übergriffen empfiehlt Laloire, zunächst unabhängige Beratungsstellen aufzusuchen und Beweise zu sichern. Unterstützung gebe es beim Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die im gesamten Bundesgebiet vertreten sind. „Dort findet ihr auch Anleitungen, wie ihr einen rechtssicheren Screenshot macht“, so Laloire zum Umgang mit Beleidigungen und Bedrohungen im Netz. Datum und Uhrzeit sollten auf dem Screenshot erkennbar sein und möglichst auch der Account, von dem gepostet wurde. Ob sie die Polizei einschalten, sollten Betroffene vorher mit der Beratungsstelle besprechen, so Laloire. In jedem Fall sollten sie sich davon nicht zu viel erhoffen, denn die Statistik zeige: Anzeigen wegen sexualisierter Gewalt führen in den seltensten Fällen zu Verurteilungen oder Gerechtigkeit. Fast immer damit verbunden seien aber Gefahren wie zum Beispiel retraumatisierende Befragungen.
Als weitere Anlaufstelle empfahl Laloire die „Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt“ in der Kultur- und Medienbranche. Sie nannte auch die Initiative „Schutzkodex für Medienschaffende in Bedrohungslagen“, der bisher erst einige Medienhäuser beigetreten sind und die Neuen deutschen Medienmacher*innen NdM, die sich für mehr Vielfalt in den Medien engagieren. Im anschließenden Pausengespräch erwiesen die NdM sich als interessante Adresse für eine Workshop-Teilnehmerin, die im Berufsalltag mehrmals abwertende Kommentare wegen ihres polnischen Akzents zu hören bekam.
Individuelle und kollektive Strategien zum Umgang mit sexistischer Gewalt und Diskriminierung wurden an Fallbeispielen aus dem Kreis der Workshop-Teilnehmenden diskutiert. So habe eine Fotografin, die sich oft im Gedränge durchsetzen muss, bei einem Jazzkonzert erlebt, dass ihr ein Mann von hinten “einen ordentlichen Klaps“ auf den Po gab. Sie drehte sich um und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Das war zwar wirkungsvoll, aber ihr Ziel sei es eigentlich nicht, Menschen zu schlagen, sagte sie. Das Boxtraining hatte sie aufgenommen, um sich nicht nur körperlich, sondern auch mental zu stärken und selbstsicherer auftreten zu können.
Handlungsoptionen ausloten
Die Runde sammelte weitere Reaktionsmöglichkeiten außerhalb der körperlich-konfrontativen Abwehr: Umherstehende ansprechen und einbeziehen, Zeugen suchen, Name und Telefonnummer notieren. In Deutschland ist diese Art der sexuellen Belästigung eine Straftat, erklärte Laloire und ergänzte: „Auch nichts zu tun, kann eine Entscheidung von Betroffenen sein, etwa weil sie gerade keine Kraft oder andere Prioritäten haben. Wichtig ist nach Angriffen, dass wir uns unsere Handlungsoptionen bewusstmachen und aktiv entscheiden, statt uns passiv und ohnmächtig zu fühlen.“
Eine freie Foto- und Textjournalistin berichtete von ihren Erfahrungen mit einem Nachrichtenmagazin, das ihr Vertrauen missbrauchte. Sie hatte selbst sexuelle Übergriffe von einem Mitarbeiter des Weißen Rings erlebt und weitere Fälle von Betroffenen zusammengetragen. Für ein juristisches Vorgehen gegen den Täter fand sie keine Unterstützung und so wollte sie an die Öffentlichkeit gehen. Zwei Redakteure des Magazins übernahmen ihr Material. Sie schrieben einen Beitrag, in dem sie anonymisiert als Betroffene vorkam, aber nicht als Autorin genannt wurde. Die Informationen, die sie dem Magazin überlassen hatte, tauchten dann ohne Absprache auch in anderen Zeitungen ihrer Heimatstadt auf, was sie sehr schockierte. Die Workshop-Runde riet ihr, wegen des Missbrauchs ihrer Nutzungsrechte juristisch gegen das Magazin vorzugehen.
Die „Macht der Öffentlichkeit“
Wie man die „Macht der Öffentlichkeit“ durch kollektive Strategien aktualisieren und solidarisch gegen Sexismus vorgehen kann, erläuterte Lotte Laloire am Beispiel eigener Erfahrungen. Nach dem Frauenstreik 2019 gründete sie die Telegram-Gruppe „ttt – Titten, Thesen, Temperamente“, in der sich mittlerweile über 1.000 Mitglieder unterstützen, wenn es um Stellenbesetzungen, Ärger mit Ressortleitungen, sexistische Übergriffe und Diskriminierungen geht.
Wichtig sei auch, dass FLINTA in den Redaktionen solidarisch seien, Absprachen und einen wertschätzenden Umgang pflegten. Für heftige Shitstorms regte Laloire Soligruppen an, die Social Media Accounts von Betroffenen für sie „betreuen“. So hätten Kolleg*innen das für Hengameh Yaghoobifarah gemacht, als die taz-Autor*in 2020 wegen ihrer Polizei-Kolumne mit Hassmails bombardiert wurde.
Hier ein „Werkzeugkasten“ mit allen in diesem Fokus genannten Tools und deren Links.