Trauma und Journalismus – die andere Seite des Arbeitsalltags
Brände, Katastrophen, Unglücke – Gewalt und Leid sind Teil des Mediengeschäfts und des Redaktionsalltags, doch der emotionale Umgang damit bleibt ein bislang vernachlässigter Bestandteil im Journalismus, der dringend einer Änderung bedarf.
Die Alpträume kamen unerwartet: Über Jahre hinweg berichtete Frank G. aus den Krisengebieten dieser Welt und sah dabei Schreckliches: Leichen und Sterbende, Hungernde und Verletzte. Das Elend verfolgte ihn auch nachts: Er schlief schlecht, am Tag stellten sich Herzrasen und Panikanfälle ein. Der erfahrene Journalist konnte seine Reportagen nicht mehr termingerecht abgeben, er zog sich zurück und begann zu trinken, schließlich folgte die Scheidung.
Ein anderer Fall: Der Lokalreporter Jürgen M. bekam die Bilder der Zerstörung nicht mehr aus dem Kopf, als er zum Zugunglück nach Eschede geschickt wurde. Er hatte Wochen danach Kopfschmerzen, dann einen Bandscheibenvorfall. Und Sabine K. gingen ihre Begegnungen mit den Überlebenden der Tsunami-Katastrophe im wahrsten Sinne unter die Haut – unter Zeitdruck führte sie Interviews, ihre Zeitungsredaktion wollte damit aufmachen. Die Journalistin fühlte sich wochenlang schlecht.
Einzelfälle? Mitnichten. „Flashbacks“, so nennt man es, wenn die Bilder vor Ort plötzlich im Alltag wieder auftreten. Eines von vielen Stresssymptomen, die unbehandelt und verdrängt, im schlimmsten Falle zu einer „Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTSD) führen können. Fotografen, Kameraleute, Printjournalisten, auch Bildredakteure am Tisch: Sie sind die ersten, die neben Sanitätern, Rettungskräften, Militär oder der Polizei an einem Unglücksort eintreffen und die schrecklichen Bilder sehen, ungefiltert und oftmals unvorbereitet.
Kein Platz für Emotionen
Dabei sind Tragödien und Gewalt nicht etwas, das nur Kriegsreporter mit nach Hause bringen, sondern sie finden auch vor der eigenen Haustür statt: Zugunglücke, Amoklauf an Schulen, Kindesmissbrauch, Autounfälle oder auch die Folgen dessen. Es sind nicht nur Bilder, die sich einprägen, oftmals sind es selbst Töne oder Gerüche. Für einen Fernsehreporter aus dem WDR-Lokalstudio in Bielefeld waren es nicht etwa Chaos und Zerstörung, die ihn belasteten, als er und sein Team zu einem Autobahnunglück gerufen wurden, sondern ein Detail: Eine alte Dame war von einer Brücke gesprungen, sie hatte Selbstmord begangen. „Was mich nachträglich am meisten erschütterte, waren die akkurat abgestellten Hausschuhe neben einem Hocker, damit sie besser über das Geländer klettern konnte“, erinnert sich der Kollege.
Nicht selten behalten Kollegen ihre Erlebnisse für sich. Im Redaktionsalltag bleibt für die eigenen Emotionen kaum Platz, um sich damit auseinanderzusetzen, dabei sind sie doch essentieller Bestandteil unserer Arbeit. „So wie ein Wirtschaftsjournalist wissen muss, wie es bei der Börse zugeht und ein Sportjournalist Foul und Flanke voneinander unterscheidet, sollte ein Journalist Verständnis von Trauma haben“, schlussfolgert Mark Brayne (Foto Kasten). Er weiß, wovon er spricht, denn der 57jährige war 20 Jahre lang Auslandsreporter für die BBC und Reuters. Dann machte er eine psychotherapeutische Ausbildung. Heute ist er Leiter des „Dart Centers für Trauma und Journalismus“ in London (siehe Kasten) und setzt sich dafür ein, dass Trauma und seine Folgen besser verstanden werden, durch Seminare und Workshops. „Journalisten sind beteiligt und in gewissem Maße Teil des Ereignisses, über das sie berichten“, so Brayne. „Man muss mit einsteigen in das Geschehen, aber man muss auch wieder aussteigen können, um sachgemäß und angemessen zu berichten – und um sich vor ernsthaften seelischen Verwundungen zu schützen.“
Verfolgt von Erinnerungen
Dem südafrikanischen Fotojournalisten Kevin Carter gelang das nicht. „Ich werde verfolgt von Erinnerungen an das Morden, an Leichen, an verhungernde und verwundete Kinder. Der Schmerz des Lebens übersteigt die Freude in einem Maße, dass keine Freude mehr existiert“, schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Nur wenige Wochen vor seinem Selbstmord im Jahr 1994 erhielt der 33-Jährige für das Foto eines sudanesischen Mädchens, auf dessen Hungertod ein Geier lauerte, den Pulitzer Preis. Carters Tod ist ein extremes Beispiel. Eine Studie des kanadischen Psychiaters Anthony Feinstein ergab, dass fast 30 Prozent der befragten Kriegsberichterstatter posttraumatische Belastungsstörungen entwickelten. Das entspricht etwa der Anzahl von traumatisierten Kriegsveteranen. Doch gezielte Untersuchungen oder weiterführende Forschungen stecken noch in den Kinderschuhen.
Um einen „gesunden Journalismus“ und den Umgang mit Opfern ging es auch auf einer Konferenz im Mai 2007 in Zusammenarbeit mit der „Deutschen Gesellschaft für Psychotraumatologie“, in dessen Rahmen sich ein deutsches Dart Center gegründet hat. Dort tauschten sich Journalisten und Experten erstmals darüber aus, wie sich seelische Belastungen manifestieren und wie dringend die Medienbranche Fortbildungen zu einem festen Bestandteil machen sollte, damit es erst gar nicht dazu kommt.
Gespräche mit Freunden helfen
Die oftmals zitierte Objektivität des Berichterstatters ist kein Schutzschild für die Seele: „Man ist immer Teil von etwas und berührt von dem was man sieht“, weiß der ZDF-Krisenreporter Stefan Pauli. „Körperlich kann man verwundet zurückkommen, aber man sieht die seelischen Verletzungen nicht.“
„Meine Kamera ist mein Schutzschild“, so formuliert es Ursula Meissner, die seit 20 Jahren in unzähligen Kriegsgebieten der Welt unterwegs ist. Als Ventil für das Erlebte dienen Gespräche mit Freunden.
Die freie Printjournalistin Andrea Jeska berichtet für große Zeitschriften über Tschetschenien. Sie dokumentierte die Tragödie von Beslan, bei der 2004 über 200 Kinder starben, führte unzählige Interviews mit den überlebenden Müttern (Beslan: Requiem, Brendow Verlag). Trauer und Ohnmacht machten auch vor der dreifachen Mutter nicht halt, was sie in den Interviews erlebte, ging an körperliche und psychische Grenzen. „Ich bin selten von meinen Redaktionen gefragt worden, wie es mir geht. Ich gebe meine Berichte ab und damit hat es sich. Wichtig sind daher vor allem soziale Netzwerke und die Familie“.
Es gibt auch gute Nachrichten: Der WDR veranstaltet bereits vereinzelt mit dem Dart Center und der ARD/ZDF Medienakademie Workshops für seine Mitarbeiter, doch es müsste viel mehr getan werden. Eine Workshop-Teilnehmerin formulierte es so: „Warum habe ich in meinem Volontariat tagelang Interviewtechniken gelernt um Politiker zu interviewen, die am Ende sowieso sagen, was sie wollen, aber nichts darüber, wie ich mit Menschen umgehe, die etwas Schreckliches erlebt haben“?
Dart Center
Das „Dart Center für Trauma und Journalismus“ ist eine international tätige Organisation, die Ende der 90er Jahre von Therapeuten und Journalisten in den USA gegründet wurde. Es versteht sich als Forum und als Ressource für eine ethische, sensible und aufgeklärte Berichterstattung über Tragödien und Gewalt, unterstützt die Aus- und Weiterbildung von Journalisten in der Wissenschaft über Trauma und seine Folgen, setzt sich für die organisatorische Unterstützung von Journalisten und redaktionellen Teams ein, die über Gewalt berichten. Außerdem erarbeitete das Dart Center hilfreiche Anleitungen für den Redaktionsalltag über Journalismus und Trauma. Kontakt zum deutschen Dart Center: www.dartcenter.org/german
Fee Rojas, Journalistin und Trauma-Therapeutin bietet zusammen mit dem Dart Center auch für deutsche Medienprofis Traumatrainings an. Mehr unter www.fee-rojas.de
Literaturtipps
Emcke, Carolin (2004): Von den Kriegen – Briefe an Freunde, Frankfurt/Main: Fischer
Feinstein, Anthony (2006): „Journalists under Fire. The psychological Hazards of War“. J. Hopkins University Press (Neuauflage)
Siebenthal von, Rolf (2003): Gute Geschäfte mit dem Tod – Wie die Medien mit den Opfern von Katastrophen umgehen. Basel: Opinio Verlag.
Teegen, F./Grotwinkel, M. (2001): Traumatische Erfahrungen und Posttraumatische Belastungsstörungen bei Journalisten. Internetbasierte Studie. In: Psychotherapeut 46/2001, S. 169–175.