Strategien gegen Überwachung

„Wir waren überrascht von der Dimension dieser Vorgänge“, sagt ein Journalist, der an der Enthüllung über die Spyware Pegasus beteiligt war. Foto: picture alliance / Zoonar / Mikhail Melnikov

Vor einem Jahr wurde durch die Recherchen eines internationalen Medienverbunds die gezielte Ausforschung von Zehntausenden Politiker*innen, Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen enthüllt. Instrument dieser rechtswidrigen Praxis war und ist die von der israelischen NSO Group entwickelte Spähsoftware Pegasus. Reporter ohne Grenzen (RSF) hat eine Reihe an Maßnahmen zur Gegenwehr entwickelt – die neueste ist das Digital Security Lab. Dort gibt es Unterstützung für Journalist*innen, die vermuten, überwacht zu werden.

Auf der umfangreichen Telefonliste der potenziell durch Pegasus überwachten Personen befanden sich auch die Nummern von mehr als 200 Medienschaffenden, berichtete Christian Mihr, Geschäftsführer von RSF Deutschland, bei einem Pressetermin in Berlin. Gegenüber den am Projekt Pegasus beteiligten Medien, darunter auch NDR, WDR, „Süddeutsche Zeitung“ und „Die Zeit“, bestritt die Firma NSO die Vorwürfe. Offiziell wird der Staatstrojaner für den „Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität“ an Staaten verkauft, die sich für diese Software interessieren. Tatsächlich aber haben Regierungen mit Pegasus Zugriff auf private Chats, auf Fotos und Quellen, können Gespräche mithören und unbemerkt die Kamera aktivieren.

Hannes Munzinger war seinerzeit Journalist bei „Paper Trail Media“/„Der Spiegel“ und Teil des Projektteams, das die Überwachung durch Pegasus öffentlich machte. Das Team habe zwar vermutet, dass so etwas stattfindet. „Wir waren dann aber doch überrascht von der Dimension dieser Vorgänge“, so Munzinger. Er selbst habe sich speziell für die Beteiligung Aserbaidschans interessiert. Damals seien eine Reihe von deutschen Politikern (der CSU-Europaabgeordnete Eduard Lintner und die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz u.a., die Red.) im Zusammenhang mit Aserbaidschan-Geschäften in einen Korruptionsskandal verwickelt gewesen.

Fahndung nach unerwünschter Spyware

Auf der Überwachungsliste stand auch Sevinj Vaqifqizi Abbasova. Dass ihr Rechner bereits seit 2018 mit Pegasus verseucht war, erfuhr die Journalistin aus Aserbaidschan im Jahr 2021 von Mitgliedern des Projektteams. Ein früher verhängtes Reiseverbot sei überraschend 2019 aufgehoben worden. „Ich war schockiert, als mir klar wurde, dass meine Videos und Kontakte schon so lange mittels Spy-Software überwacht worden waren“, sagte sie. Sie schloss sich wie rund 20 weitere Medienschaffende aus zehn Ländern einer Klage an, die RSF gemeinsam mit zwei Journalisten aus Marokko und Frankreich bei der Pariser Staatsanwaltschaft eingereicht haben. Außerdem sprach sich ein breites Bündnis gemeinnütziger Organisationen für Sanktionen gegen die israelische NSO-Group aus

„Der Pegasus-Skanal belegt, dass speziell auch Journalist*innen seit Jahren im Visier von Regierungen und Geheimdiensten stehen“, sagte Antoine Bernard, Direktor Advocacy und Nothilfe RSF international. 200 Namen auf einer 5.000 Personen fassenden Liste ließen vermuten, dass es sich dabei nur um die „Spitze des Eisbergs“ handle. Dem müsse mit zwei Strategien begegnet werden: Zum einen durch eine „Stärkung der Verteidigungskapazitäten“ mithilfe von Trainings sowie durch eine Analyse digitaler Methoden, vom Digital Helpdesk bis hin zum jetzt präsentierten Digital Security Lab. Beim bereits 2019 gegründeten Helpdesk werden Medienschaffende aus aller Welt eingeladen, im Rahmen eines Berliner Stipendienprogramms ihre Fertigkeiten in digitaler Sicherheit zu trainieren.

Das neu entwickelte Digital Security Lab ist ab sofort funktionsfähig. Das Lab hat drei Mitarbeitende mit Standort in Berlin, wie Projektleiter Benjamin Güldenring erläuterte. Anders als das Digital Helpdesk befasse sich das Security Lab nicht mit digitalen Alltagsproblemen von Journalist*innen. Im Kern gehe es darum, Medienschaffende bei der Fahndung nach unerwünschter Spy-Software auf ihren Endgeräten zu unterstützen. Und wer kann sich an das Lab mit der Bitte um Unterstützung wenden? Güldenring: „Jeder Medienschaffende, der den begründeten Verdacht hegt, er werde aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit überwacht.“

Erwartungen an die EU

In Bezug auf potenzielle Überwachung gehe es außerdem darum, „zurückzuschlagen“. Man könne diese Attacken nicht einfach so hinnehmen, findet Antoine Bernard. „Wir brauchen Wahrheit, wir brauchen Gerechtigkeit und wir brauchen Verantwortlichkeit.“ Es sei nötig, auf internationaler Ebene massiv den Klageweg zu beschreiten, wie es bereits seit dem vergangenen Jahr geschehe. Aber dieser Prozess komme nur zögerlich voran, er müsse beschleunigt werden. Weitere juristische Verfahren liefen nach seiner Kenntnis in Israel, Indien und Ungarn. Vor allem in Ungarn gestalte sich die Aufklärung sehr schwierig, da die Regierung sich mit Hinweis auf die Vertraulichkeit und Vorgaben „nationaler Sicherheit“ beharrlich weigere, Transparenz über den Einsatz von Pegasus gegen Medienschaffende herzustellen.

Christian Mihr, Geschäftsführer von RSF Deutschland, kritisierte die mangelnde Bereitschaft der Regierungen, den Bereich der Überwachung angemessen zu regulieren. Zurückschlagen sei eine gute Strategie, aber es gehe auch darum, eine Wiederholung dieser illegalen Praxis zu verhindern.

Von der Europäischen Union, sagte Antoine Bernard, erwarte RSF dreierlei: Das Unternehmen NSO müsse erstens – analog zu Vorgehen der US-Regierung – auch von der EU auf die Sanktionsliste gesetzt werden. Zweitens müsse ein globales Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und die Nutzung von Überwachungstechnologien beschlossen werden. Diese Forderung werde auch von einem Bündnis anderer NGOs wie Amnesty International, Citizen Lab, Access Now unterstützt. Drittens müsse die EU den Bereich Überwachungs-Software wirksamer regeln, unter anderem durch vollständige Transparenz der Exportpraxis von Unternehmen anhand von Vierteljahresberichten.

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