Teamarbeit mit Zahlen

Holger Wormer Foto: Technische Universität Dortmund

Datenjournalismus ist im Studium an der TU Dortmund nicht mehr wegzudenken

An der Technischen Universität Dortmund gibt es seit nunmehr drei Jahren den Studienschwerpunkt Datenjournalismus. Professor Holger Wormer beschreibt gegenüber M den Weg dorthin als notwendige Weiterentwicklung der universitären Ausbildung von Wissenschaftsjournalisten. Er ist überzeugt, dass künftig „Grundkenntnisse im Datenjournalismus zum Standard” im journalistischen Beruf gehören werden.

M | Seit 2003/04 gibt es das Zweitfach „Datenanalyse/Statistik” an der TU Dortmund. Was hat damals zur Einführung dieses Fachs geführt?

Holger Wormer | Die Kollegen, die damals die Grundzüge des Studiengangs entworfen hatten, wollten verschiedene naturwissenschaftlich-mathema­tische Themenfelder im Zweitfach abbilden. Dazu gehörten Physik, Medizin/Life Sciences, die Ingenieurwissenschaften und eben auch Datenanalyse/Statistik. Schon damals war der oft mangelhafte Umgang mit Statistiken in den Medien ja ein Thema. Zudem bot sich dies an, weil die Uni Dortmund einen – neben München – damals wohl bundesweit einmaligen Schwerpunkt im Fach Statistik hatte.

2014/15 wurde der Schwerpunkt Datenjournalismus im Studiengang Wissenschaftsjournalismus eingeführt. Ist das eine Anpassung an die Entwicklung in den Redaktionen oder eher eine Hochschul-Vorausschau auf die beruflichen Perspektiven der Zukunft?

Sicherlich beides. Der Impuls ging aber zunächst von den sich bereits abzeichnenden Entwicklungen in den Redaktionen aus. Und wir wollten den ursprünglichen Schwerpunkt, der zunächst auch nur vergleichsweise selten gewählt wurde, noch besser an diese Entwicklungen anpassen.

Sie bieten für Datenjournalismus zwölf Plätze an, da dieser im Wissenschaftsjournalismus angesiedelt ist. Allerdings sollen diese Lehrveranstaltungen auch den anderen Studierenden der Journalistik und des Wirtschaftspolitischen Journalismus offen stehen. Wie viele Studierende eines Jahrgangs interessieren sich denn insgesamt für dieses Thema?

Man kann sagen, dass etwa die Hälfte der übrigen Wissenschaftsjournalismus-Studierenden auch mehrere Veranstaltungen des Datenjournalismus belegt, hinzukommen immer wieder vereinzelt Studierende aus der Journalistik. Im Studiengang Wirtschaftspolitischer Journalismus ist zumindest eine Einführung in den Datenjournalismus Pflicht. Zwar setzt sich inzwischen auch in der Breite langsam die Einsicht durch, dass Grundkenntnisse im Datenjournalismus künftig zum Standard gehören müssen. Manch einen muss man aber auch noch zu seinem Glück zwingen; wer Journalist werden und „was mit Medien” und Sprache usw. machen will, hätte mitunter gerade Mathe in der Schule am liebsten abgewählt. Da muss man sich dann erst einmal daran gewöhnen, dass das nun plötzlich im Studium wieder ein Thema werden soll.

Die Aufmerksamkeit für den Datenjournalismus scheint in den beiden vergangenen Jahren sprunghaft angewachsen zu sein – offenbar nicht mehr nur ein Thema für Insider. Warum?

Das liegt neben einigen wirklich prominenten und plakativen Projekten sicherlich auch am Aufschwung des Online-Journalismus insgesamt. Wer sinnvolle interaktive Karten und Grafiken oder Ähnliches anbieten will, braucht Daten – und eine Idee, was man damit machen kann. Und während Dinge wie soziale Netzwerkanalysen früher etwas für abgehobene So­zialforscher und Computerwissenschaftler waren, steckt heute jeder selbst in einem digitalen sozialen Netzwerk, in dem er oder sie Daten austauscht. Langsam erkennt auch der Letzte, dass wir in einer datenbasierten Gesellschaft leben und die eben auch mehr Datenkompetenz im Journalismus erfordert.

 

Hat die Aufmerksamkeit für Datenjournalismus die Studierendenzahlen steigen lassen oder waren eher Ihre Angebote und die neugierigen jungen Leute die Trendsetter dieser Entwicklung?

Die Spezialisierung auf Datenjournalismus wird auch bei uns eine Nische bleiben. Denn für das Komplettprogramm braucht man neben den klassischen journalistischen Skills eben doch auch einen Zugang zu Mathe, Statistik und etwas Informatik. Wenn pro Jahr von zwölf Wissenschaftsjournalisten wie bisher zwei bis drei diesen Schwerpunkt wählen, sind wir zufrieden – und bilden auch nicht über Bedarf aus. Für alle anderen ist es sinnvoll, wenn diese zumindest Teile des Angebots absolvieren.

Christoph Marty hat beim Journalistentag im Berliner ver.di-Haus ein Plädoyer für die journalistische Ausbildung an Hochschulen gehalten, auch in Bezug auf den Datenjournalismus. Als Grund führte er die dort mögliche interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Statistikern, Infor­matikern, Grafikern etc. an. Entstanden ist dieses neue journalistische Gebiet aber doch durch „Einzelkämpfer”, bevor es an einigen Hochschulen verankert wurde. Wie sehen Sie die Gewichtung heute, in der Ausbildung und in der Weiterbildung?

Qualitätsjournalismus muss meines Erachtens insgesamt wissenschaftlicher, im Sinne von zuverlässiger und tiefgründiger recherchiert, werden. Wer Informationsmehrwert gegenüber Google und Social Media bieten, wer Fake News erkennen und bekämpfen will, der wird sich ohne zusätzliche eigene Fähigkeiten oder Kooperationen mit Spezialisten – gerade auch aus der Wissenschaft – schwer tun. Das gilt in Aus- und Weiterbildung. Datenjournalismus ist ideal dafür, um das Arbeiten mit anderen Fachkulturen zu lernen. Und die Zeit der Einzelkämpfer ist zunehmend vorbei. Ob bei Spiegel Online, ZEIT Online oder SZ Online: Die Zukunft gehört dort bereits den Datenteams. Allerdings zeichnet sich schon jetzt ab, dass die systematisch ausgebildeten Datenjournalisten im Umgang mit Daten Qualifikationen mitbringen, die bisher selbst in den Spezialresssorts rar sind.

Lorenz Matzat hat in seinem Einführungsbuch zum Datenjournalismus erklärt, Interessierte sollten schon eine gewisse Affinität zu Zahlen mitbringen. Haben Ihre Studierenden alle be­sonders gute Mathenoten oder kann man seine Eignung für den Datenjournalismus auch noch später entwickeln?

Wie schon gesagt: Wer sich da wirklich spezialisieren will, braucht diese gewisse Affinität zu Zahlen in der Tat, gleichgültig, wann man diese entwickelt. Es muss aber auch die geben, die von allen Bereichen ein bisschen verstehen und verschiedene Leute optimal zusammenbringen können.

Nach den bekannten Statistiken seien Mädchen weniger „zahlenaffin” als Jungen. Wenn man sich die jetzt arbeitenden Teams anschaut, sind da viele junge Frauen dabei – auch in leitenden Funktionen. Ist Datenjournalismus ein sehr „weiblicher” Journalismus, wie beim Journalistentag getwittert wurde?

Das Phänomen sehen wir nicht nur beim Datenjournalismus, sondern noch stärker im Wissenschaftsjournalismus-Studiengang insgesamt. Das typische Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt dort 10:1. Ich habe mittlerweile die These, dass diese breite Doppelqualifikation – Affinität zu Sprache und Kreativität, aber gleichzeitig auch zu Zahlen – bei Frauen verbreiteter ist als bei Männern. Statistisch belastbar beweisen kann ich das allerdings nicht.

Wie sehen Sie die Weiterentwicklung des Datenjournalismus? Es gibt die Redaktionen wie beim Schweizer oder Bayerischen Rundfunk, bei der Süddeutschen Zeitung, bei Spiegel Online oder der Berliner Morgenpost, die sich T­­eams für Datenjournalismus leisten. Bleiben das „Leuchtturm-Projekte” oder erwarten Sie eine Ausbreitung der Arbeitsweise und Stellen in anderen Redak­tionen?

Anspruchsvoller Datenjournalismus im eigentlichen Sinne ist teuer und aufwändig. Insofern ist es kein Wunder, dass er oft mit den Recherche- oder Investigativ-Ressorts verknüpft ist. Das wird sich auf Dauer nicht jedes Medium leisten. Gewisse Grundkenntnisse aber, wie man zum Beispiel Rohdaten in eine halbwegs ansehnliche Grafik auf die Webseite bringt, das wird früher oder später zum Standardrepertoire ge­hören. Ganz abgesehen davon, dass Datenkenntnisse bereits zu den Marketingtools für die Redaktionen im Umgang mit ihren Nutzern gehören.

Beim Journalistentag gab es bei den Referenten konträre Meinungen, ob Datenjournalismus nur in einem festen Team oder auch für „Soloselbstständige” möglich sei. Wie bewerten Sie die Arbeitssituation Ihrer früheren Kollegen? Ist als freie Journalist_in Datenjournalismus erfolgreich möglich?

Ich glaube, dass das Feld noch so vielfältig und dynamisch ist, dass es auch weiterhin nicht nur einen richtigen Weg geben wird. Ich fand es als Jungjournalist schon immer verdächtig, wenn man Ältere nach dem besten Weg in diesen Beruf gefragt hatte – und als Antwort für den angeblichen Königsweg bekam man vom Befragten dann meistens die Kopie von dessen eigenem Werdegang geliefert.


Über den Autor

Professor Holger Wormer lehrt seit 2004 Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund. Schon als Schüler hat er begonnen bei der Rheinischen Post zu schreiben. Medienpraktika und ein Studium der Chemie und Philosophie folgten, denn Wormers Ziel war tatsächlich von Anfang an der Wissenschaftsjournalismus. Das hat er dann unter anderem als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung umgesetzt.

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