Triathlon in der Fotografie

Foto: Petra Dressler

Seit Jahren geht es mit den Arbeitsbedingungen für Fotojournalisten bergab. Der Markt der Printmedien schrumpft, mit ihm Auftragsvolumen und Honorare. Das Internet leidet unter der Gratismentalität von Betreibern und Nutzern. Mit der Verbreitung der digitalen Medien verändert sich auch die Bildsprache. Videoclips und Smartphone-Apps prägen zunehmend die Sehgewohnheiten und öffnen den Markt für Hobbyknipser. Die freien Stockfotografen werden zerrieben zwischen Branchenriesen wie Getty und Corbis auf der einen Seite und den Billigheimern Fotolia und Co. auf der anderen. Wo bleibt da der professionelle Fotojournalismus?Die crossmediale Vernetzung löst gewohnte Grenzen auf…

 Die crossmediale Vernetzung löst gewohnte Grenzen auf

Vielleicht ist das die Zukunft des Fotojournalismus: Robert Körper bezeichnet sich als Triathlet der Fotografie. Mit seiner Spezialkamera am Helm klettert der Extremkletterer auf Berge, in Höhlen und in Schächte. Je unzulänglicher, desto besser. Alles was zählt, sagt er, sind seine Fitness und seine Augen. Seine Chefs verfolgen seine gefährlichen Touren über eine VDSL-Standleitung am Laptop im Büro und drücken jedes Mal auf den Auslöser, wenn die Helmkamera von Robert einen spektakulären Bildausschnitt zeigt. „Ich kann wirklich nicht klagen“, sagt der sportliche Mittvierziger. „Nach meinem Zusammenbruch und dem Verkauf meines kompletten Archivs geht es mir wieder gut. Ich lebe im Grunde den Traum aller großen Fotografen, nicht mehr mit der Kamera, sondern mit den Augen zu fotografieren.“

Stockfotografie und Taxifahren.

Aimee Sonnleitner ist Taxifahrerin. Irgendwann kam sie auf die Idee, das Rumfahren mit etwas Nützlichem zu verbinden. Seither beliefert sie Fashion-Portale, Lifestyle-Seiten, Internet-Shops und Stadtmagazine in Berlin, Hamburg und München mit Bildmaterial. „Taxifahren und Stockfotografie gehen ideal zusammen“, findet Aimee. „Man kann fortlaufend produzieren, es gibt keine Auftragsflaute und außerdem entfallen die Reisekosten.“ Taxifotografen knipsen ausschließlich dort, wo ihre Fahrgäste hinwollen oder wo sie ihre Kunden abholen. An solchen Orten ist meist was los. „Wenn es in irgendeinem Winkel dieser Stadt einen Trend gibt, dann haben wir ihn, egal ob es sich um Mode, Food, Sport oder sonst was handelt.“

Martin Rollo wollte aufgrund der erbärmlichen Situation in der Auftragsfotografie seine Kamera schon an den Nagel hängen. Da entdeckte er durch Zufall beim Einkauf im Baumarkt das Internet-Portal MyPicture. Mit über 5.000 laufenden Ausschreibungen ist MyPicture heute die Nummer 1 der Online-Marktplätze für Fotografen in Europa. Das System funktioniert so: Jeder, der einen Fotoauftrag zu vergeben hat, stellt die Ausschreibung für den Job auf die Plattform und wartet, welche Fotografen ihre Preisangebote abgeben. Nicht immer erhält derjenige mit dem niedrigsten Preis den Zuschlag, denn MyPicture ist gleichzeitig ein Bewertungsportal. Wer Pluspunkte sammelt, kann nach kurzer Zeit mit höheren Preisen ins Rennen gehen. Nach anfänglichem Naserümpfen über das Dumpingmodell fand Martin die Job-Auktionen richtig geil. Kein Klinkenputzen mehr, kein Herumschleimen, kein Kriechen vor irgendwelchen Leuten, klare Kante, absolut transparent. Nach fünf Jahren hat sich Martin im internen Ranking so weit hoch gearbeitet, dass er bei jeder Suchanfrage auf Seite 1 der Trefferliste auftaucht.
Dies sind drei von acht fiktiven Beispielen, mit denen das Freelens-Magazin in einer Zukunftsausgabe einen Blick auf den Berufsalltag von Fotografinnen und Fotografen im Jahr 2021 wagt. Fazit: Die Lage ist zwar beschissen, aber wir reden sie uns schön und machen das Beste draus.

Neue Technik, neue Betätigungsfelder.

Unumstritten ist, dass die rasant voranschreitende technische Entwicklung den Arbeitsalltag von Profifotografen und -fotografinnen nachhaltig verändert hat und weiter verändert. Mit dem Durchbruch der digitalen Fotografie vor gut zehn Jahren wurden nicht nur Bildmanipulationen und Urheberrechtsverletzungen erleichtert, es begann auch die Erosion des Archivgeschäftes. Die sekundenschnelle millionenfache Verfügbarkeit von Bildmotiven förderte eine Marktkonzentration, von der vor allem Global-Player wie Getty und Corbis profitiert haben. Die aktuellen Herausforderungen heißen Smartphone und Full HD Video. Die crossmediale Vernetzung der Technik löst gewohnte Grenzen auf, mit weit reichenden Konsequenzen. Das Smartphone ist gleichzeitig Foto- und Videokamera, Datentransportmedium und Internetplattform. Welche Bedeutung die kleinen Alleskönner inzwischen gewonnen haben, wird deutlich, wenn man sich im Fernsehen die Berichterstattung aus Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan ansieht. Die verwackelten Handybilder werden in der Regel allerdings nicht von professionellen Journalisten, sondern von zufällig anwesenden Zeitzeugen geliefert. Die moderne Technik eröffnet aber auch für Profis neue Betätigungsfelder. So berichtet der auf Architektur spezialisierte Fotograf Wolfgang Steche aus Heidelberg, dass er immer öfter Anfragen für Internet, Facebook, Smartphone und Videos erhalte. Auch der in der Nähe von München lebende Fotograf Werner Bachmeier ist überzeugt, dass er sich wohl oder übel der neuen Technik stellen muss. Er bemüht sich derzeit, das notwendige Know-how zu erwerben.
Die großen Verlage sind denn auch bereits in das Geschäft eingestiegen. So bietet beispielsweise der Springer Verlag mit The Iconist ein Life-Style-Magazin im App-Format speziell für das Smartphone. Bei dem interaktiven Medium kann der Benutzer Bilder drehen und von verschiedenen Seiten betrachten. In einer Parfümgeschichte entweicht bei einer Berührung eines Flacons mit einem Zischen die Liste der Inhaltsstoffe, beschreibt Autor Manfred Scharnberg im Medium Magazin die neue bunte Bilderwelt. Jürgen Schrader hat sich laut Medium Magazin auf die App-Fotografie spezialisiert. Er produziert dafür fast ausschließlich 360 Grad Panorama-Aufnahmen. Food-Fotograf Günter Beer ist begeistert von den Möglichkeiten der neuen Technik. Er bestreitet damit angeblich einen wesentlichen Teil seines Lebensunterhaltes, wie Scharnberg schreibt. Uwe H. Martin, der für die Fotografen-Organisation Freelens Multimedia-Workshops durchführt, dämpft jedoch zu hohe Erwartungen. Die Verlage seien in der Regel nicht bereit, den im Vergleich zu Print höheren Aufwand für Multimedia-Storys zu bezahlen. Redaktionelle Auftragsproduktionen würden sich für Fotografen absolut nicht lohnen.

Ganzheitlich arbeiten mit Videofilmen.

Doch es gibt auch Gründe für den Griff zur Videokamera. Für den Hamburger Fotografen Michael Kottmeier, der viel für Hilfsorganisationen und karitative Verbände arbeitet, sprechen in erster Linie inhaltliche Argumente für bewegte Bilder: „Videofilme zu drehen heißt für mich, ganzheitlich zu arbeiten.“ An den zunehmend oberflächlichen, beliebigen und austauschbaren Fotos hat er immer mehr das Interesse verloren. Die digitalen Spiegelreflexkameras seien heute so gut, dass man damit gleichzeitig die perfekten Videos drehen könne. Doch Kottmeier warnt: „Videofilme dreht man nicht mal eben so nebenbei.“ Man müsse sich dem Thema nicht nur inhaltlich ganz anders nähern. Videos verlangen auch spezielle Technikkenntnisse oder professionelle Zuarbeit bei Schnitt und Vertonung.
Werner Bachmeier hat vor allem mit der menschlichen Seite des technischen Wandels zu kämpfen: „Die jungen Leute in den Bildredaktionen denken heute in der Regel in bewegten Bildern. Die Aussagefähigkeit eines statischen Fotos können sie oft gar nicht mehr richtig beurteilen. Das erschwert das gegenseitiges Verständnis.“ Aus Kostengründen würden auch immer weniger ausgebildete Fotoredakteure beschäftigt. Zudem sei die Fluktuation in den Bildredaktionen so hoch, dass es kaum noch zu einer langfristigen Zusammenarbeit komme.
In einem Punkt sind sich so ziemlich alle Fotografen einig: Die Archive bringen kein Geld mehr. Immer mehr Einzelkämpfer vermarkten ihre Fotos zwar in Bilddatenbanken wie Apis und Fotofinder, trotzdem ist das Geschäft stark rückläufig. „Bei mir decken die Verkäufe inzwischen fast nur noch die Kosten“, sagt der Berliner Christian von Polentz, der seine Fotos bei topixx einstellt. Ähnliche Erfahrungen machen Bachmeier und Kottmeier. Während die Branchenriesen Getty und Corbis mit jeweils 70 Millionen digitalisierten Bildern den Markt überschwemmen, setzen auf der anderen Seite Microstock-Agenturen wie Fotolia, die fast nur mit Amateuren zusammen arbeiten, die Profifotografen unter Druck. Fotolia bietet lizenzfreie Bilder schon ab 75 Cent an. Da kann niemand mithalten, der von seiner Arbeit leben muss. Dabei ist die technische Qualität dieser Bilder meist hervorragend. Mit Wirklichkeit haben die meisten dieser Stockfotos allerdings nichts zu tun. Wer sich mal die Mühe macht und sich durch die zahllosen Seiten der Microstocks scrollt, dem begegnet eine sterile Welt lächelnder Models vor strahlendem Hintergrund. Die Bilder haben so viel sagende Namen wie „Sexy young girl smiling“ oder „Happy guys and girls expressing happyness“.

Honorareinbruch um 80 Prozent.

Besonders hart getroffen hat die Krise der Archivfotografie den Hamburger Fotografen Gerhard Höfer. Auf seiner Internetseite „Lavendelfoto“ findet man 35.000 digitalisierte Aufnahmen von 4.000 biologisch fachmännisch bestimmten und verschlagworteten Pflanzen. „Mein Geschäft ist in den vergangenen fünf Jahren um 80 Prozent eingebrochen“, klagt Höfer. Es ist aber nicht nur die rückläufige Nachfrage, die ihm zu schaffen macht. „Es wird immer dreister geklaut“, ist seine Erfahrung. Den meisten Ärger hat der Fotograf mit Buchverlagen, die in der Regel die erste Nutzung eines Fotos regulär bezahlen, dann aber für Nachauflagen oder andere Veröffentlichungen glauben, das Foto gratis verwenden zu können. Nicht immer, glaubt Höfer, steckt böse Absicht dahinter. Oft sei es einfach nur Schlamperei. Das macht für ihn letztlich keinen Unterschied. Notgedrungen hat er seinen Arbeitsschwerpunkt seit ein paar Jahren verlagert.
Die meiste Zeit verbringt Höfer nicht mehr mit der Pflege und dem Ausbau seines Archivs, sondern damit, Honorare einzuklagen. Dabei helfen ihm nicht nur klar formulierte AGBs, sondern auch der Rechtsschutz von ver.di. Eine satte fünfstellige Eurosumme sei auf diese Weise im vergangenen Jahr zusammen gekommen. Richtig freuen kann er sich trotzdem nicht. „Ich sehe als Fotograf kein Licht mehr am Horizont“, so sein deprimierendes Resümee. Sein Rat an jüngere Kolleginnen und Kollegen: Sie sollten sich eine Nische suchen. „Unterwasserfotografie zum Beispiel, da könnte noch was drin sein.“

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