Undercover bei Zalando und Co.

Neue Recherchen von Günter Wallraff und seinem Team fördern Kritikwürdiges zutage

Es wallrafft wieder. Zalando, Burger King, Altenpflegeheime, und überall Missstände. Zwar ermittelt Günter Wallraff nur noch selten selbst, er lässt ermitteln. Wo Wallraff drauf steht, sind drin junge Reporter unterwegs. Aber der Name hilft. Das „Team Wallraff” bei RTL schafft es mit seinen Stories in andere Medien und in Talkshows. Dass manche im Überschwang auch schon mal kolportieren, Wallraff habe eigenhändig Darmbakterien enttarnt – geschenkt.

Enthüllungsjournalist Günter Wallraff und Caro Lobig bei einem Treffen in Köln Foto: Lobig
Enthüllungsjournalist Günter
Wallraff und Caro Lobig bei
einem Treffen in Köln
Foto: Lobig

Mit Zalando haben die jüngsten Wallraffiaden begonnen. Der Internet-Textilhändler, der in Deutschland drei Logistikzentren betreibt, beglückt seine Kunden mit dem Werbeslogan „Schrei vor Glück”. Wenn allerdings die Angestellten schreien, dann bestimmt nicht vor Glück. Die junge Journalistin Caro Lobig arbeitete drei Monate undercover im Zentrallager Erfurt und fand dort miserable Arbeitsbedingungen und Verstöße gegen das Arbeitsrecht vor. Starker Arbeitsdruck auf die Belegschaft, restriktive Pausenregelungen, Bespitzelung durch Vorgesetzte und Überwachung durch Kameras. Und natürlich keine Betriebsräte.
Ganz neu ist die Aufmerksamkeit für Zalando nicht. Es gab in den letzten Jahren häufiger kritische Berichte. So etwa im Juli 2012 im ZDF (nicht mehr in der Mediathek). Aber auf die RTL-Sendung „Extra” reagierte diesmal die internetaffine Zalando-Community mit einem veritablen Shitstorm. Darauf wiederum reagierte das Unternehmen mit einer Klage, die Reporterin habe Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verraten. Günther Wallraff freut sich schon. Er hat in seinem langen Rechercheursleben die meisten Klagen gewonnen. Das Ermittlungsverfahren läuft, einen Termin gibt es nicht.
Inzwischen hat Zalando in einer Einstweiligen Verfügung durchgesetzt, dass RTL einige Vorwürfe vorläufig nicht weiter verbreiten darf und zugleich mit internen Maßnahmen auf Vorwürfe reagiert. So gibt es jetzt andere Pausenreglungen, mehr Sitzgelegenheiten, Überprüfung der Datenschutzbestimmungen und keine Belohnungen mehr für Diebstahlsanzeigen. Der Sender hat das Stück aus der Mediathek herausgenommen, geht jedoch juristisch gegen die Einstweilige Verfügung vor.
Publizistisch hat RTL gleich noch mit anderen Fällen nachgelegt. Eine Recherche über Burger-King brachte ebenso miserable Arbeitsverhältnisse zutage und untragbare hygienische Verhältnisse. Mit Folgen. Der Chef der Franchise-Kette Yi-Ko, Eergün Yildiz, ist zurückgetreten. Auch hier fiel der Shitstorm der Zielgruppe beachtlich aus, Umsatzrückgänge in den Filialen sind zu registrieren. Eine dritte Recherche in Altenpflegeheimen brachte Zustände zutage, die man nicht am eigenen Körper erleben möchte. Eine der Kliniken hat auch schnell auf die Recherche reagiert und empört mitgeteilt, alle vorgefundenen Missstände habe man bereits behoben. Von juristischen Schritten ist nichts zu hören.
Mit diesen Recherchen des „Team Wallraff” macht RTL, publizistisch schon lange eine vernachlässigbare Größe, mal wieder mit journalistischen Arbeiten auf sich aufmerksam. Natürlich auf RTL-Weise als quotenträchtiges Empörungsfernsehen. Aber der Tonfall ist zurückhaltender, die Selbstinszenierung der Reporter zurückgenommen. Da hier der Kümmerer Wallraff seine Finger im Spiel hat, bleiben auch die sozialen Aspekte im Blick. Im Fall Zalando neben den Arbeitsbedingungen und den fehlenden Betriebsräten auch unser aller Billigleben, in dem wir alles sofort und rund um die Uhr vor die Tür geliefert haben wollen, um es am nächsten Tag wieder zurückzuschicken. Vom Burger-King-Franchise-Unternehmen Yi-Ko weiß die Gewerkschaft NGG, dass das Unternehmen einen Kampf gegen Betriebsräte führt und einigen auch gekündigt hat. Prozesse laufen. Die Personalnot in den Altenheimen wird als notorisch erkennbar.
Die Geschäftsführung von Zalando hat zu ihrer Entlastung aufgeführt, in den letzten Jahren seien häufiger Journalisten im Betrieb gewesen und hätten die Arbeitsbedingungen nicht beanstandet. Praktischerweise verlinkt Zalando etwa auf einen Beitrag im ZDF-Morgenmagazin vom Januar 2014, in dem nur der Produktmanager und der Pressesprecher das Wort bekamen. Oder auf einen längeren Beitrag in „Galileo” auf Pro7 – eine reine Unternehmenspropaganda. Auf die Idee, sich die Arbeitsbedingungen anzuschauen, ist da keiner gekommen. Auch die FAZ hat nichts gemerkt, wie sie nun selbstkritisch anmerkt: „Auch diese Zeitung war bei Zalando zu Gast, bereits im Sommer 2012. Der Eindruck im Warenlager in Brieselang bei Berlin: Hier geht es zu wie in anderen Logistikunternehmen auch.”
Das freilich ist auch das Problem des Empörungsfernsehens: Es ist wie woanders auch. Aber nur der Einzelfall rückt ins Blickfeld, nicht das System und somit entstehen stets neue Anlässe für singuläre Empörungen. Die öffentlich-rechtlichen Sender kriegen selbst das kaum noch hin. Die albernen pseudoinvestigativen Markenchecks, auf die die ARD so stolz ist, jucken niemanden. Wallraff hat wenigstens erreicht, dass sich ein paar Leute kratzen müssen.

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