Das Bundeskabinett brachte am 27. Juli endlich den Gesetzesentwurf für einen besseren Schutz von Whistleblowern auf den Weg. Medienverbände hatten den Referentenentwurf für das „Hinweisgeberschutzgesetz“ zuvor scharf kritisiert. Vergebens: Es gab keine substantiellen Änderungen, ihre Kritik ist ignoriert worden. Die investigative Arbeit von Journalistinnen und Journalisten wird damit nicht erleichtert. Die Hürden für Hinweisgeber, die sich wegen Missständen an sie wenden möchten, sind nicht niedriger, sondern höher.
Für die journalistische Arbeit sind Quellen unverzichtbar. Was heute wie eine Binsenweisheit klingt, musste in der „Spiegel“-Affäre erst hart erkämpft werden. Im 1966 gefällten Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts stärkten die Verfassungshüter die Pressefreiheit nachhaltig, indem sie feststellten, dass „die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, dass das ‚Redaktionsgeheimnis‘ gewahrt bleibt“. Es ist vor allem diese Passage, mit der das „Spiegel“-Urteil einen geradezu epochalen Status erlangte und zum Maßstab wurde, an dem sich Eingriffe in die Pressefreiheit fortan messen lassen mussten.
Umso erstaunlicher ist es, dass der Gesetzgeber erst sechs Jahrzehnte nach Beginn der „Spiegel“-Affäre ein Gesetz zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern erlassen möchte. Es war stets ein merkwürdiges Konstrukt, mit dem in Deutschland Quellen von Journalistinnen und Journalisten geschützt werden sollten. Zwar besitzen Medienschaffende ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht und genießen auch bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wie Telefonüberwachung gewisse Privilegien. Aber stets galt: Wurde die Quelle von Medien dennoch bekannt, aus welchen Gründen auch immer, dann konnten sich diese Whistleblower im Regelfall nicht darauf berufen, mit ihrem Handeln Missstände aufgedeckt und der Öffentlichkeit einen Dienst erwiesen zu haben. Stattdessen mussten Beamte ein Verfahren wegen Verrats von Dienstgeheimnissen und Beschäftigte wegen Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen fürchten, von „informellen“ Repressalien wie Kündigungen aus fadenscheinigen Gründen, Versetzungen, Nicht-Beförderungen oder Mobbing einmal abgesehen.
Hoher Stellenwert von Quellenschutz
Dies soll sich nun ändern. Im Oktober 2019 trat in der Europäischen Union die sogenannte Whistleblowerschutz-Richtlinie in Kraft, die eigentlich bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Die Große Koalition einigte sich jedoch nicht auf einen Kompromiss, weshalb Deutschland diese Frist riss und nun die Ampelkoalition mit der Umsetzung befasst war.
Im April legte das federführende Justizministerium einen Referentenentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) vor. An einer Verbändeanhörung im Mai beteiligten sich 49 Institutionen und Organisationen, was das hohe Interesse am Thema belegt. Neben Medienverbänden zählten insbesondere Wirtschaftsverbände zu den stellungnehmenden Organisationen.
Für journalistisch Tätige klingt das Vorhaben im Grundsatz erst einmal gut. Vor allem im Investigativjournalismus steht der Schutz von Quellen in der Regel an erster Stelle. Quellenschutz ist so bedeutend, dass über manche Tatsachen nicht berichtet wird, wenn dadurch unweigerlich Rückschlüsse auf die Identität der Informantinnen und Informanten möglich würden. Es ist insofern ein Teil des Berufsethos, Informant*innen über ihre Risiken aufzuklären, auch innerhalb der Redaktion möglichst wenig über Quellen zu erzählen und keine „handwerklichen Fehler“ zu begehen, die Personen unnötig in Gefahr bringen. Im digitalen Zeitalter ist es außerdem zwingend geworden, die eigene IT-Sicherheit zu stärken und möglichst verschlüsselt zu kommunizieren.
Dennoch hat gerade die Digitalisierung den Druck auf Quellen erhöht. Wer heute in einem Unternehmen oder einer Behörde an Dienstcomputern oder Dienstsmartphones arbeitet, steht in der Regel unter einer „Geräteverwaltung“ der IT-Abteilung. Damit kann beispielsweise minutiös protokolliert werden, ob Personen ein Dokument vom Server laden, es ausdrucken oder auf einen USB-Stick kopieren. Da in der Praxis die Vorgesetzten meist schon „eine Ahnung“ haben, wer in ihrer Behörde oder in ihrem Unternehmen etwas an Medien „durchgestochen“ haben könnte, dienen solche digitalen Indizien dann als Beweis, um die jeweilige Person als „Informationsleck“ zu identifizieren.
Mittlerweile wissen wir beispielsweise, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA schon wenige Stunden, nachdem die ersten Berichte über die Überwachungspraktiken bekannt wurden, nach Edward Snowden suchte. Weiterhin anonym zu bleiben, schreibt Snowden in seinen Memoiren, war binnen kürzester Zeit keine realistische Option mehr für ihn.
Auch Ermittlungsbehörden in Deutschland haben mittlerweile sehr viel weiter gehende Rechte, gegen Medien und ihre Quellen vorzugehen. Eine ganze Reihe von Straftaten, von denen einige in § 100a der Strafprozessordnung aufgelistet sind, erlaubt es, Telefone von Journalistinnen und Journalisten abzuhören oder bei Online-Diensten gespeicherte Daten abzufragen.
Ganz ungeschützt sind Medienschaffende sogar, wenn sie als sogenannter Beifang überwacht werden, also wenn beispielsweise eine Quelle bereits „auf dem Radar“ von Ermittlungsbehörden ist und sich dann an eine Redaktion wendet. Dass dies kein theoretisches Problem ist, verdeutlichten in den vergangenen Jahren zwei Überwachungsskandale in Leipzig, als die Telefongespräche mehrerer Journalisten unterschiedlicher Medien rechtmäßig von der dortigen Staatsanwaltschaft abgehört wurden.
Entkriminalisierung der Whistleblower
In Deutschland ergibt sich damit die paradoxe Situation, dass Journalistinnen und Journalisten nahezu umfassend im Gerichtssaal über die Identität einer Quelle schweigen dürfen, aber diese Information auf digitalem Weg rechtmäßig erlangt werden kann.
So sehr daher der Quellenschutz eine berufsethische Verpflichtung für den Investigativjournalismus bleiben wird, so sehr wäre eine Entkriminalisierung des Handelns der Whistleblower wünschenswert, weil der digitale Wandel ein Bekanntwerden der Quellen objektiv betrachtet wahrscheinlicher gemacht hat.
Dazu trägt der nun von der Bundesregierung beschlossene Gesetzesentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz jedoch nicht bei, im Gegenteil: Die Hürden für eine Offenbarung gegenüber Medien werden zementiert, ein direktes Leak an die Medien bleibt im Regelfall illegal. Die Bundesregierung möchte ein Zwei-Klassen-System für Hinweisgebende einrichten. Whistleblowing gegenüber Medien wird in Zukunft als zweitklassig angesehen werden. Missstände sind demnach im Grundsatz intern aufzudecken oder bei neu zu schaffenden externen Beschwerdestellen anzuzeigen, die jedoch stets bei Behörden angesiedelt werden.
Im Kern sieht der Entwurf vor, dass „Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit“ Informationen „über Verstöße erlangt haben“, diese „an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden“. Es handelt sich dabei um Verstöße, die straf- oder bußgeldbewährt sind oder gegen europäisches Recht verstoßen.
Interne und externe Beschwerdestellen
Es geht also explizit um Rechtsverstöße und nicht schon um illegitimes oder „kritikwürdiges“ Verhalten, welches für Medienberichterstattung aber von hoher Bedeutung ist. Man denke etwa an Vorgänge in der sogenannten Maskenaffäre, in der unter anderem Mandatsträger der CSU und eine PR-Unternehmerin, Tochter eines ehemaligen CSU-Ministers, für ihre Vermittlung von Geschäften mit Corona-Masken an das Bundesgesundheitsministerium mehrere Millionen Euro Provision kassierten. Dies ist, so zeichnete es sich in den entsprechenden Gerichtsverfahren ab, laut Bundesgerichtshof zwar legal nach aktueller Rechtslage, führte jedoch zu einer öffentlichen Debatte und einem Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag. Im Sinne des geplanten Gesetzes wären dies jedoch keine Informationen, die Whistleblower rechtmäßig an Medien weitergeben dürften.
Grundsätzlich müssen sich die hinweisgebenden Personen in Zukunft stets an sogenannte Beschwerdestellen wenden. Sie können dabei frei wählen zwischen internen Beschwerdestellen, die alle Arbeitgeber ab 50 Mitarbeitenden einrichten müssen, oder externen Beschwerdestellen, die beim Bund und vermutlich auch bei allen Bundesländern entstehen werden. Diese Beschwerdestellen fungieren als erste Anlaufstelle für Whistleblower und geben entsprechende Rückmeldungen, inwiefern sie den Hinweisen auf Verstöße nachgegangen sind.
Die Bundesregierung folgt damit den bisherigen Plänen und entscheidet strikt zwischen diesen Meldungen an Beschwerdestellen, die der neue Standard für das Whistleblowing werden sollen, und dem „Offenlegen“ der Informationen. Damit gemeint ist „das Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße gegenüber der Öffentlichkeit“. Es wird aber nicht differenziert, ob sich die Person beim „Offenlegen“ an eine Redaktion wendet, wo die Informationen nochmals von professionellen Journalistinnen und Journalisten geprüft und kontextualisiert würden, oder ob sie selbst einen Social-Media-Post verfasst und die Informationen frei zugänglich direkt ins Netz stellt. Diese „Filterfunktion“ der Medien ignoriert die Ampel-Koalition komplett, weshalb bezweifelt werden kann, ob das Gesetz in dieser Form überhaupt etwas an der journalistischen Praxis verbessern würde.
Kein Schutzsystem für Whistleblowing speziell gegenüber Medien
Zwar gibt die entsprechende EU-Richtlinie, die nun in nationales Recht umgesetzt wird, die Trennung zwischen Melden und Offenlegung vor. Aber im betreffenden Artikel 15 der Richtlinie wird explizit die Möglichkeit eröffnet, dass die Nationalstaaten ein Schutzsystem für die Meinungs- und Informationsfreiheit etablieren können, damit Hinweise an die Presse nicht von der Richtlinie erfasst werden. Ein solches Schutzsystem für Whistleblowing speziell gegenüber Medien soll es in Deutschland jedoch auch künftig nicht geben. Damit wird das Zwei-Klassen-System aus Meldung und Offenlegung nach EU-Recht zwingend.
Die Hürden für ein Offenlegen (im Unterschied zur Meldung bei einer Beschwerdestelle) sind hoch. Offenlegen ist nur erlaubt, wenn die Beschwerdestellen nicht innerhalb einer gewissen Frist antworten und nicht über Folgemaßnahmen informieren, oder wenn „der Verstoß wegen eines Notfalls, der Gefahr irreversibler Schäden oder vergleichbarer Umstände eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann“. Es fällt schwer, sich hier realistische Szenarien vorzustellen. Erkennbar fällt die Anforderung der „Gefährdung des öffentlichen Interesses“ hinter die sonst übliche Formulierung zurück, wonach Medien „Informationen von öffentlichem Interesse“ recherchieren und veröffentlichen.
Offensichtlich möchte der Gesetzgeber den Informationsfluss zu den Medien gerade nicht stärken, was sich symbolisch auch daran zeigt, dass sich von 42 geplanten Paragrafen nur einer dem „Offenlegen“ widmet.
Verfassungsrechtliche Risiken
Bei der Verbändeanhörung im Mai hatte ein Bündnis um die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, den Privatsenderverband Vaunet, die Verlegerverbände BDZV und MVFP sowie die Berufsgewerkschaften Deutscher Journalisten-Verband (DJV) und Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di davor gewarnt, dass durch die geplante Neuregelung die bewährten presserechtlichen Abwägungen im Umgang mit Informationen, die der Presse zugespielt wurden, eine Beschränkung erfahren könnten. Das Bündnis erinnert in seiner am 16. Mai veröffentlichten Stellungnahme an das „Spiegel“-Urteil und sieht im Entwurf für das Hinweisgeberschutzgesetz verfassungsrechtliche Risiken.
Bedenkliche Anzeichen gibt es dafür tatsächlich. So sollen sämtliche Geheim- und Verschlusssachen ausgenommen werden vom Schutz des Gesetzes, es sei denn, sie dokumentieren strafbewehrtes Verhalten. Dies gilt explizit nicht nur für „geheime“ oder gar „streng geheime“ Papiere, die den Schutz des Staates betreffen, sondern sogar für Dokumente der niedrigsten Geheimhaltungsstufe „Nur für den Dienstbereich“. Auf solche Dokumente haben häufig Hunderte Personen Zugriff, innerhalb von Ministerien wird „NfD“ geradezu inflationär verwendet: Alles, was einen Hauch von politischer Brisanz hat, wird heute entsprechend eingestuft. Eine Weitergabe wäre für Beamt*innen auch mit dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz immer strafbar, sodass auch hier die Pläne an der Realität des politischen Journalismus vorbeigehen.
Das Medienbündnis wies in seiner Stellungnahme zu Recht darauf hin, dass nicht allein die formale Geheimhaltung („geheim“, „NfD“, etc.) entscheidend sei, sondern auch die materielle Geheimhaltungsbedürftigkeit, also das, was tatsächlich in den Dokumenten steht. Diese Unterscheidung gelte auch für die Beantwortung bei Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Da könne ein Antrag nicht allein mit Verweis auf die formale Geheimhaltungsstufe abgewehrt werden. Für das Hinweisgeberschutzgesetz, so das Medienbündnis, sollte dies ebenfalls gelten, was die Bundesregierung jedoch im nun verabschiedeten Gesetz nicht aufnahm.
Irritierend ist auch, dass die Beschwerdestellen, an die sich Whistleblower vertraulich wenden, die Identität der hinweisgebenden Person preisgeben können, wenn Ermittlungsbehörden danach fragen. Dies dürfte eine hohe abschreckende Wirkung haben, denn es ist meist die Furcht vor strafrechtlichen Konsequenzen, die Amts- und Geheimnisträger von einem Whistleblowing abhalten dürfte.
Wenn die Quelle auffliegt
Es war und bleibt einer der großen Vorteile für hinweisgebende Personen, die sich Medien anvertrauen: Die dort aktiven Journalistinnen und Journalisten sind Profis im Quellenschutz und genießen Schutzrechte, weshalb die Chance hoch ist, dass Medien ihre Identität auch praktisch schützen werden. Aber der Gesetzesentwurf eröffnet denjenigen, die anonym bleiben wollen, nicht die Möglichkeit, sich an Medien zu wenden. Im Gegenteil: Es muss stets erst der Weg über die Meldestelle gewählt werden. Immerhin besserte die Bundesregierung im Gegensatz zum Referentenentwurf insofern nach, als dass die Beschwerdestellen künftig auch anonymen Hinweisen nachgehen müssen. Paradoxerweise gibt es aber keine Pflicht, überhaupt ein Meldesystem aufzubauen, was anonyme Hinweise zulässt.
Bei der „Spiegel“-Affäre konnten die „Spiegel“-Redakteure die Identität ihrer Quelle, den Bundeswehroffizier Adolf Wicht, auch nach ihrer Veröffentlichung „Bedingt abwehrbereit“ zunächst geheim halten. Erst bei der Durchsuchung der Redaktionsräume kam die Bundesregierung ihm auf die Schliche, als sein Name auf Karteikarten bei der Telefonanlage des „Spiegel“ auftauchte.
Es hat daher eine gewisse Tragik, in Zusammenhang mit dem neuen Whistleblower-Schutzgesetz an die „Spiegel“-Affäre zu erinnern, denn mit dem nun diskutierten Hinweisgeberschutzgesetz würde sich Wichts Schicksal wiederholen: Das Offenlegen von Missständen gegenüber professionellen Medien wäre ohne den Umweg über eine Beschwerdestelle weiterhin illegal; und die Telefonverbindungsdaten ließen sich heute zwar nicht mehr bei einer Durchsuchung der Redaktionsräume feststellen, aber ohne Wissen aller Beteiligten vom Provider abfragen. Auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes wäre also damit zu rechnen, dass die Quelle auffliegt und anschließend verurteilt wird.
Die letzten Hoffnungen, doch noch eine bessere gesetzliche Regelung für Whistleblower zu schaffen, ruht nun auf den Bundestagsfraktionen, die den Beschluss der Bundesregierung hoffentlich ausgiebig diskutieren werden.
Der Beitrag wurde aktualisiert, nachdem er zunächst bei epd-Medien Heft 22 am 3. Juni 2022 veröffentlich worden war.