Verstellter Blick

Kritische Sicht auf den „berühmtesten Kriegsfotografen unserer Zeit“

James Nachtwey sei der berühmteste Kriegsfotograf unserer Zeit – lesen wir (auch in «M» 04 / 2004). Er sei ein Zeuge, und seine Bilder seien seine Aussage. Die von ihm erfaßten Ereignisse sollten nicht vergessen werden und sie dürften sich nicht wiederholen – sagt Nachtwey über sich und seine Arbeit.

Wir würden sehen, wie der berühmte Fotograf den ‚Augenblick der Wahrheit‘ suche, lesen wir über den Film ‚War Photographer‘, den Christian Frei über Nachtwey gemacht hat. Der Film kommt Mitte 2002 in die Kinos, und etwa ein Jahr später wird er auch im deutschen Fernsehen gezeigt. Bilder zu machen, die aufrütteln, die anklagen, das war und sei bis heute der Impuls für seine Arbeit – hören wir im Kulturweltspiegel, der sich am 9.6.2002 mit dem Film befaßt.

Ästhetische Fotografie

Die ästhetische Qualität seiner Aufnahmen schärfe unseren Blick auf das, was sie zeigen. Sie verwandele das Gesehene in ein Bild, das zurückschaut. Es sei ein Album der Menschheit, das hier entstehe, eine Bestandsaufnahme des späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts – lesen wir in der „FAZ“. Was er festhalte – sagt er – werde Teil des ewigen Archivs unseres kollektiven Gedächtnisses sein, und er wisse, dass Fotos Verantwortliche zum Handeln zwingen können. Seine Fotografie ist in der Tat ästhetisch, doch sie ist – diese Aussage mag jetzt überraschend kommen – ästhetisch hochwertige Propaganda. Das merkt man ihr auf den ersten Blick nicht an – ein Phänomen, das sie in gewisser Weise auszeichnet. Wenn Nachtwey davon spricht, Verantwortliche zum Handeln zwingen zu können, scheint er damit das Führen von Krieg zu meinen, Krieg der USA oder der Nato gegen ein Land, in dem es einzugreifen gilt.

Mit der Ideologie der Herrschenden

Ganz wichtig sei Nachtweys Mut zur Wahrheit, lesen wir im Gästebuch zur Ausstellung ‚War Photographer‘, die bis 29. Februar in Berlin zu sehen war. Seine Fotografie sei ein Mittel des Protests gegen den Krieg, wird verbreitet. Um Nachtwey hat man die Aura des Ästheten und des moralisch unanfechtbaren Antikriegsfotografen aufgebaut. Sie verstellt den Blick auf den propagandistischen Kern.

Nicht die einzelnen Fotos sind das Problem, sondern die Tatsache, was er fotografiert und was nicht. Beispiel Afghanistan 2001: die Opfer des von den USA geführten Krieges gibt es nicht. Beispiel Jugoslawien 1999: die Opfer des von der Nato geführten Krieges gibt es nicht. Leid wird immer von den anderen verursacht. Nato und USA, das sogenannte westliche Bündnis als Leid- und Kriegsverursacher gibt es für Nachtwey nicht. Hinter dem Mantel des Anti-Kriegsfotografen versteckt sich die Ideologie der Herrschenden und des von ihnen gesteuerten Mainstreams.

Der Krieg der USA gegen Afghanistan wird mittels Al-Qaida und Taliban mit dem 11. September in Verbindung gebracht, als sei eine solche Verbindung erwiesen. Deshalb ist es für Nachtwey offenbar kein Problem nachzuvollziehen, dass die USA Krieg gegen Afghanistan führen. Der Krieg der Nato gegen Jugoslawien wird mit der Reduktion auf den Begriff Kosovo verbrämt, als habe sich der Krieg auf den Kosovo beschränkt und als sei es bei dem Krieg ausschließlich um den Kosovo gegangen. Für Nachtwey gibt es entsprechend der herrschenden Meinung als Verursacher des Leids im Kosovo fast ausschließlich die Serben. Was Ursache und Wirkung angeht, besteht immer Klarheit: Auf palästinensische Attentate folgen israelische Vergeltungsmaßnahmen. Die Westlichen Bündnispartner reagieren 1999 auf den Faschismus, der in Serbien wieder erwacht. Die Attentate vom 11. September 2001 sind von Terroristen und Mitgliedern der Organisation Al Qaida durchgeführt worden. Daraufhin führen die Vereinigten Staaten und die Westliche Allianz in Afghanistan groß angelegte bewaffnete Operationen gegen Al Qaida und ihre Beschützer, die Taliban durch – Ursache sind die Anschläge vom 11. September 2001, die USA reagieren darauf. So einfach ist die Welt in den Begleittexten zur Ausstellung: hier gut, da böse.

Zum ersten Jahrestag des 11. September 2001 zeigt die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin Aufnahmen aus der New-York-Serie von Nachtwey. Sie sollen an die Opfer des 11. September erinnern. Opfer des Krieges der USA gegen Afghanistan werden ausgeblendet.

Blick in die gewünschte Richtung

Ende 2003 hat Nachtwey seinen Anti-Kriegsmantel vollends abgelegt und offenbart sich als Propagandist des als ‚Krieg gegen den Terror‘ getarnten globalen US-Eroberungsfeldzuges. Auf der Titelseite des Time-Magazins vom 29.12.2003 präsentiert er US-Soldaten, die sich an dem völkerrechtswidrigen Raubüberfall auf den Irak beteiligen, als Helden. Sie werden dort als ‚Person of the Year‘ verherrlicht.

Die Ausstellung, die bis vor kurzem in Berlin zu sehen war, ist aufgeführt in einer Liste von ‚Veranstaltungen der US-Botschaft‘. Nachtwey stellt sich auf die Seite der Macht, er lenkt den Blick in die von seinen Auftraggebern gewünschte Richtung. Und das macht er gekonnt.

Anneliese Fikentscher, Andreas Neumann, arbeiterfotografie

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »