Viel Feind, viel Ehr

50 Jahre Politmagazin Panorama: Zeitgeschichte mitgeschrieben

„Heute wollen wir uns mal ein wenig mit der Bundesregierung anlegen“. Dieser süffisante Satz von Panorama-Chef Gert von Paczensky ist in die Fernsehgeschichte eingegangen. Dabei ging es um gar nicht viel. Die Adenauer-Regierung hatte einen Bericht über die politische Arbeit der Regierung vorgelegt, in dem die PR dominierte und wichtige Fakten fehlten: „Und über 300 Fotos auf Kosten der Steuerzahler“. Beim heutigen Standard von Polit-PR kann man darüber höchstens noch lächeln. Damals gab’s Ärger. „Wir hatten immer viel Zuspruch und viel Krach“, erinnert sich Gert von Paczensky viele Jahre später.


Vor 50 Jahren ging mit „Panorama“ vom NDR das erste Politikmagazin im deutschen Fernsehen auf Sendung. Das war, als die Welt noch fein in links und rechts gestrickt war, die CDU gegen den „Rotfunk“ wetterte und es für die Magazinmacher zum guten Ruf gehörte, von den CDU-Politikern wie Stoltenberg, Albrecht und Kohl gehasst zu werden. „Panorama muss abgeschafft werden wollen“, deklamierte Hans-Jürgen Börner, der von 1976 bis 1986 zur Panorama-Redaktion gehörte: „Wenn sie nicht mindestens dreimal pro Jahr vor dem Rundfunkrat auftauchten, waren sie schlecht“. Viel Feind, viel Ehr.
Natürlich war im Rückblick vorher immer alles besser als heute. Ohne ein wenig Legendenbildung geht es nicht. Aber man wird schon sagen können, dass die Redaktionen und die Autoren Zeitgeschichte mitgeschrieben haben. 1962 die „Spiegel-Affäre“ mit Franz-Josef-Strauß. 1978 deckte Stefan Aust auf, dass der furchtbare Marinerichter und Ministerpräsident Hans Filbinger 1945 auch ein zweites Todesurteil gegen Deserteure unterschrieben hatte. Das Magazin übte Kritik an der Medienmacht Springer und BILD schon früh, 1963, agitierte dafür, dass Vergewaltigung in der Familie ein Straftatbestand würde und beteiligte sich 1974 an der Kampagne gegen den Abtreibungsparagraphen 218. Der Beitrag dazu stammte von Alice Schwarzer, war starker Tobak und wurde erstmal aus dem Programm genommen. Daraufhin weigerte sich Peter Merseburger, die Sendung zu moderieren, die Texte wurden in einem leeren Studio von Jo Brauner eingesprochen. Auch ein Beitrag über Brokdorf 1976 wurde den Magazinmachern von der Intendanz zunächst untersagt und erst nach öffentlichem Druck ausgestrahlt.

Mehr Talkshow-Gewäsch

Inzwischen war die Landschaft der Politmagazine gewuchert. Ab 1965 waren sie alle nach und nach auf Sendung gegangen, „Monitor“, „Report“, „Kontraste“. Die Geschichte der ARD-Magazine ist auch eine Geschichte der politischen Einflussnahme, und zwar gegenseitig: Als Versuch der Magazinmacher, die Politik zu beeinflussen und als Versuch der Politik, die Magazine und ihre politische Haltung zu beeinflussen. Hübsche Pointe: „Monitor“ war einst eine Gegengründung zu „Panorama“, das in der Politik und im WDR als links und unbequem galt. Einmal beschlossen die Intendanten von ARD und ZDF, die politischen Magazine seien so wichtig, dass der konkurrierende Kanal (damals nur ZDF) die Zuschauer nicht mit Unterhaltung von der Politik weglocken dürfe. Die Politmagazine als geschützte Art. Diesen Schutz verloren sie in den siebziger Jahren. Neue Themen sickerten ein, Umweltfragen tauchten auf, hier und da wurden auch humoristische Politikglossen gewagt, die immer schief gingen (bis heute ist „Toll“ von „Frontal 21“ die einzige Glosse geblieben, die wirklich funktioniert).
Sprung in die Gegenwart. 2006 mussten die Politmagazine Sendezeitkürzungen hinnehmen, parallell zur Ausdehnung des Talkshow-Gewäschs. Der Zuschauerzuspruch ist weitgehend stabil geblieben, aber die Magazine erlitten das Schicksal der durchschlagenden Wirkungslosigkeit von Klassikern. Schon lange klagen attackierte Politiker nicht mehr auf Gegendarstellung. Totschweigen ist erfolgreicher. Und für Interviews stehen die meisten ohnehin nicht mehr zur Verfügung.
Daran sind die Talkshows schuld. Hier müssen Politiker nicht mit unangenehmen Nachfragen rechnen und können sich selbst darstellen. Inzwischen gehören zu den wichtigen Stilmitteln der Politikmagazine, Faxe mit Interviewabsagen oder dürre Statements in die Kamera zu halten oder vergeblich, aber sichtbar an Türen von Entscheidungsträgern zu klopfen. Recherchen sind schwieriger geworden, das Tabubrechen erübrigt sich mangels Tabus und Investigation heißt harte Arbeit. „Monitor“-Chefin Sonia Mikich hat das einmal so ausgedrückt: „Heutzutage sind die meisten investigativen Leistungen keine Enthüllungen des völlig Unbekannten mehr, sondern das sture Drehen an der rostigen Schraube Aufklärung.“
Die Antwort auf den Ansehensverlust des investigativen Reporters war der invasive Reporter. 2008 führte Panorama das Beiboot „Panorama – Die Reporter“ ein, eine Form der Presenter-Reportage, abgeguckt von der BBC. Jetzt durften die Zuschauer dabei sein, wie Christoph Lütgert eine SPD-Veranstaltung infiltrieren oder Christine Adelhardt den Hamburger Ex-Innensenator beim Koksen in Buenos Aires stellen konnte. Lütgert hat mit seinen Recherchen über den Textildiscounter Kik und den Finanzdienstleister Carsten Maschmeyer dem Magazin auch wieder öffentliche Aufmerksamkeit verschafft. Nachteil der Presenter-Reportagen: Reporter filmen Reporter beim Reportieren, diese schieben sich nicht nur ständig ins Bild, sondern auch vors Thema und fahren in den Beiträgen fast so viel Auto wie Tatort-Kommissare.
„Wir haben die anderen Magazine gezwungen, auch aktuell und politischer zu werden“, so beschrieb Gert von Paczensky die Wirkung des frühen „Panorama“. Solche Konkurrenz findet man heute nicht mehr und sich mit der Bundesregierung anzulegen, ist auch kein Medienkunststück mehr. Seit zehn Jahren leitet Anja Reschke die Redaktion und zum Jubiläum gab’s eine Presenter-Dokumentation über die Drehbuch-Dokus bei den Privaten. Das konnte man dann auch als Statement über das Selbstverständnis verstehen: das wahre Fernsehen gegen das Lügenfernsehen.

Fritz Wolf

Fritz Wolf ist Medienfachjournalist mit einer besonderen Neigung zum Dokumentarfilm. Als Freier muss er fleißig publizieren, jüngst eine Studie über Lokaljournalismus („Salto Lokale“) und demnächst eine Untersuchung zur „Wa(h)re Information im Fernsehen“.

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