Vom Stammtisch zur Kampagne

Wie Medien gegen Gleichstellungspolitik Stimmung machen

Unter dem Titel „Der neue Mensch“ polemisierte der „Spiegel“ Anfang des Jahres gegen Gender Mainstreaming. Gemeinsam mit Geschlechterforschern habe Familienministerin Ursula von der Leyen ein Umerziehungsprogramm gestartet. Unterstützung erhält das Hamburger Herrenmagazin von ganz rechts.


Den publizistischen Alpha-Tieren der Republik war das spröde Wortpaar Gender Mainstreaming in der Vergangenheit höchstens ein Witzchen am Stammtisch wert. Seit Ende der neunziger Jahre will die Europäische Union mit dieser Strategie die Gleichstellung der Geschlechter voranbringen. Das Prinzip verpflichtet Behörden oder Institutionen, alle politischen Entscheidungen auf ihre Folgen für Männer und Frauen hin zu untersuchen und die festgestellten Benachteiligungen abzubauen.
Der schwer übersetzbare Anglizismus klingt nicht nach Emanzen-Kampfgesang. Schon deshalb war er bisher bestenfalls Anlass zur Belustigung. Plötzlich aber scheint aus Spaß Ernst zu werden: Fast ausschließlich männliche Meinungsführer treten aus der Deckung und greifen engagierte Geschlechterpädagogen an – unter dem Beifall der rechtsextremen Presse. Worüber regen sich die Schreiber auf und was bezwecken sie?
Im Jahr 2005 verspottete der Stern die „neue Geschlechtergefühligkeit“ und läs­terte darüber, wie „Bürokraten angestrengt über den kleinen Unterschied nachdenken“. Die ironische Schlagzeile „Ich Mann, du Frau“ war damals illustriert durch eine Filmszene mit Johnny Weismüller als „Tarzan, der Affenmensch“. Weniger humorvoll nimmt es Volker Zastrow von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bereits mehrfach wetterte er gegen ein „angewandtes Kaderprinzip der feministischen Lobby“, die angeblich eine „politische Geschlechtsumwandlung“ plane.
Seine Verschwörungstheorien verbreitet der FAZ-Autor auch in einem schmalen Bändchen des Versandhauses Manufactum. Dort gibt es, neben den „guten Dingen“ wie Gänsekielen, Weinkrawatten oder Schuhen aus Känguruh-Leder, nun zusätzlich die passende Ideologie im Angebot. In Leinen gebundene Aufsätze mit rückwärts gewandtem Inhalt ergänzen das Kuriositäten-Kabinett für den sich alternativ gebenden Mittelstand.

Düsteres Bild gezeichnet

Da mögen die Herren vom Spiegel, die sich zum sechzigsten Geburtstag des Nachrichtenmagazins auf Erinnerungs­fotos als rein männliche Konferenzrunde präsentierten, nicht nachstehen. Gender Mainstreaming, lautet ihr Vorwurf, sei ein „Erziehungsprogramm für Männer und Frauen“. Mit Rundumschlägen und aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten zeichnete René Pfister ein düsteres Bild autoritärer Pädagogik, das Jungen „früh zu Kritikern des eigenen Geschlechts“ mache.
Ins Visier des Gender-Bashing geriet vor allem das Berliner Forschungsinstitut Dissens, das in den letzten Jahren eine moderne und in Fachkreisen anerkannte Jungenarbeit entwickelt hat. Die Pädagogen zeigen den verunsicherten Jugendlichen auf, wie sie auch ohne Gewalt und Sexismus richtige Männer sein können. Dieses Ziel hält Familienministerin Ursula von der Leyen für förderungswürdig – was sie zur bevorzugten Angriffsfläche der Anti-Gender-Polemiker macht. Die rechte Junge Freiheit wirft der CDU-Politikerin vor, einer „totalitären Ideologie“ anzuhängen, die „durch eine auserwählte Truppe Linientreuer von oben nach unten durchgesetzt werden soll“.
Es fällt auf, wie sehr rechtsradikale Publikationen und bürgerliche Leitmedien in Sprache wie Inhalt übereinstimmen. Hier geht es keineswegs um ein Vermittlungsproblem, um eine lediglich missverständliche Interpretation eines in der Tat nicht besonders eingängigen Begriffes. Es handelt sich um eine Kampagne, um beharrliches Trommeln, das den Gender-­Ansatz pauschal diskreditieren soll. Und die Einschüchterung funktioniert: Schon fürchten Gender-ForscherInnen an den Hochschulen einen Imageschaden und Mittelkürzungen. Ministeriale UnterstützerInnen von Gleichstellungspolitik halten sich in der Öffentlichkeit zurück und setzen darauf, dass der Sturm vorüber zieht – eine trügerische Hoffnung.
Im letzten Jahr haben sich FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und seine medialen Trittbrettfahrer mit einer neokonservativen Sicht auf die Geschlechterfrage profiliert. Zur Seite stehen ihnen Intellektuelle wie der Verfassungsrichter Udo Di Fabio, der Bevölkerungsforscher Herwig Birg, der Philosoph Norbert Bolz oder der Historiker Paul Nolte. Die Frauen, so ertönt ihr einhelliger Ruf, seien schuld an den niedrigen Geburtenzahlen in Deutschland. Publikumswirksame Assis­tenzdienste leistet Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman mit ihrem Appell an die Mütter, zur natürlichen Bestimmung des Weibes am heimischen Herd zurückzukehren.
In einer Zeit, in der eine Frau Bundeskanzlerin ist und sich selbst die CDU von der Hausfrauenehe verabschiedet, glaubt offenbar nicht nur die Junge Freiheit, auf seriöse Darstellung und Recherche beim Thema Gender gänzlich verzichten zu können. Der gedruckte Unmut über die „unerklärliche und letztlich anonyme Strömung des Zeitgeistes“, wie FAZ-Autor Zastrow raunt, deutet auf massive Irritationen hin: Den Herren passt schlicht die ganze Richtung nicht.

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