Von Frauen-Bashing bis reichlich gequält

Vorläufige Bilanz wenige Tage vor dem Finale der Fußball-WM: Die Quoten stimmten, die Leistungen schwankten, und die von den Funktionären gern beschworene Trennung von Sport und Politik war und ist eine Schimäre. Wenn es nach einigen politischen Scharfmachern gegangen wäre, hätte diese WM gar nicht erst stattfinden dürfen. Durchbruch an der Geschlechterfront: Die ARD sucht eine weibliche Fußballkommentatorin.

Seit Ende Juni dürfen Frauen in Saudi-Arabien selbst Auto fahren – ein epochales Ereignis für die streng islamisch-konservative Monarchie. In Deutschland dagegen müssen Frauen mit einem Shit Storm und Vergewaltigungsdrohungen rechnen, wenn, ja wenn sie es wagen, im Fernsehen ein Fußballspiel zu kommentieren. Das üble Bashing der ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann belegt einmal mehr: Selbst im vermeintlich so aufgeklärten Germanien blättert der zivilisatorische Lack recht schnell ab, wenn Frauen sich anschicken, eine der letzten maskulinen Bastionen zu knacken. Neumanns Appell an ihre Hater, in Bildung zu investieren, den eigenen Bewusstseinshorizont zu erweitern, dürfte bei dieser Spezies auf taube Ohren stoßen. Da hilft nur eins: Neumann ins Finale!

Immerhin: Auch die ARD fahndet inzwischen nach einer weiblichen Fußball-Kommentatorin. Gut so: Denn die Männerriege um Bartels, Simon, Delling & Co. bot neben Licht auch viel Schatten. Da mutierten die Spieler Tunesiens zu den „Adlern von Karthago“, verwandelte sich Argentiniens Trainer Osorio in einen „brodelnden Vulkan“, hagelte es deplatzierte Maradona-Witze, etc. Steffen Simon glaubte beim Gruppenspiel Polen-Kolumbien Kazimierz Deyna, den polnischen WM-Helden von 1974, auf der Tribüne zu sehen. Deyna kam allerdings 1989 bei einem Autounfall ums Leben. Immerhin entschuldigte sich der „Sportschau“-Chef noch während der Übertragung. Eine Entschuldigung hätte man sich auch gewünscht für das wirre „Interview“, das Gerhard Delling als Feldreporter nach dem Match Deutschland-Schweden mit dem Last-Minute-Freistoß-Torschützen Toni Kroos führte. Bilanz des Gesprächs: Substanzloses Gestammel ohne echte Fragen, aber dreimalige, geradezu devot rüberkommende Gratulation des ehemaligen Grimme-Preisträgers. Kritisch geht anders!

Über die Verhältnisse im Lande des Gastgebers hatten ARD und ZDF schon vor dem Turnierstart in ausführlichen Reportagen berichtet. Dass Doping-Experte Hajo Seppelt – von russischen Sportfunktionären aufgrund seiner verdienstvollen Rechercheergebnisse über langjähriges Staatdoping zur unerwünschten Person erklärt – auf eine Anreise aus Furcht vor Repressalien verzichtete, rückte die WM-Organisatoren noch kurz vor dem Start in ein zweifelhaftes Licht. Dass aber ein „Tagesthemen“-Kommentator nach dem blamablen Aus der deutschen Mannschaft insinuierte, dies biete für die Berichterstatter immerhin die Chance, jetzt stärker hinter die WM-Fassade zu schauen, etwa über „nordkoreanische Zwangsarbeiter“ im Moskauer Luschniki-Stadion zu berichten, wirkte in dieser Verknüpfung reichlich gequält. Anders als von vielen Auguren vorhergesagt, konnten sich ausländische Reporter_innen im Gastland frei bewegen und ihrer Arbeit ohne Behinderungen nachgehen. Die russische Bevölkerung an den Spielorten zeigte sich – wie viele westliche Beobachter fast widerwillig einräumten – freundlich, aufgeschlossen, WM-begeistert und – ja, auch patriotisch.

Dabei hatten viele deutsche Medien schon vor der WM kaum eine Gelegenheit ausgelassen, gegen das Gastgeberland bzw. „Putins Propagandashow“ zu hetzen. Speziell nach dem – bis heute unaufgeklärten Giftgasanschlag von Salisbury – hatte sich Bild-Chef Julian Reichelt nicht entblödet, der britischen Premierministerin Teresa May Unterstützung seines Kampfblatts bei einer Boykott-Kampagne gegen die WM anzubieten. Auch der Deutsche Journalisten-Verband blamierte sich mit seiner vorschnellen Forderung nach einem WM-Boykott, nachdem zwei Wochen vor dem Start medienwirksam die „Ermordung“ des „Kremlkritikers“ Arkadi Babtschenko inszeniert wurde. Peinlich nur, dass das vermeintlich durch “Putins Schergen“ in Kiew liquidierte Mordopfer bereits tags darauf quicklebendig – eskotiert von ukrainischen Geheimdienstlern – die selbstproduzierte Fake News aufdeckte.

Aber auch einige der kickenden WM-Stars trugen dazu bei, die Befürworter einer Trennung von Sport und Politik als weltfremde Romantiker erscheinen zu lassen. Allen voran die beiden Deutschtürken Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit ihrem unseligen Posing an der Seite des türkischen Despoten Erdogan. Wahlkampfunterstützung für einen Autokraten, der Journalisten und Oppositionelle zu Tausenden in den Knast wirft und nationale ethnische Minderheiten wie die Kurden verfolgt? Mit diesem vom DFB miserabel moderierten Konflikt begann der Abstieg des Weltmeisters zur tragischen Lachnummer der WM. Was vor vier Jahren als Siegeszug einer jungen, verschworenen, weltoffenen, antirassistischen Multi-Kulti-Truppe begann, endete folgerichtig im Desaster.

Nicht gerade von der völkerverbindenden Kraft des Sports zeugten auch die Ereignisse während der Vorrundenpaarung Schweiz kontra Serbien. Pausenlose Pfiffe und „Tötet-die Albaner“-Rufe serbischer Zuschauer beantworteten Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka, die beiden Albanien-stämmigen Schweizer Spieler mit einer demonstrativen Doppeladler-Geste (die an das Wappentier der albanischen Flagge erinnern sollte). Die von der FIFA verhängte Geldstrafe wegen „politischer Provokation“ müssen die beiden Millionäre nicht zahlen. Kosovo-Albanische Regierungskreise initiierten erfolgreich eine Crowdfunding-Spendenaktion. Auch nicht schön: Kroatische Spieler (die durch einen Sieg über Gastgeber Russland das Halbfinale erreichten), pflegen nach Medienberichten ihre Erfolge in der Kabine mit rechtsradikaler Rockmusik zu zelebrieren.

Mehr als 27 Millionen Fußballfans sahen das Aus „der“ Mannschaft gegen Schweden. Im Schnitt verfolgten jeweils fast neun Millionen oder 43 Prozent aller Zuschauer_innen die Vorrundenspiele. Ein Wert, der nach dem Scheitern von Jogi Löws Männern und dem folgenden WM-Blues deutlich gesunken sein dürfte. Nervig: Kaum ein Medium verzichtete darauf, Parallelen zu ziehen zwischen den schwachen Leistungen der Nationalkicker und der Götterdämmerung von Merkel sowie der zuletzt reichlich suboptimalen Performance ihrer Groß Koalitionäre. Einspruch, Eurer Ehren! Unterhaltsamer als das trübsinnige Berliner Sommertheater war und ist die WM allemal.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Die unangemessene Provokation

Sie haben es wieder getan. Zum zweiten Mal nach 2020 verweigern die Ministerpräsidenten den öffentlich-rechtlichen Anstalten die von der KEF empfohlene Anpassung des Rundfunkbeitrags. Gegen diesen abermaligen Verfassungsbruch ziehen ARD und ZDF erneut vor das Bundesverfassungsgericht. Gut so! Denn nach Lage der Dinge dürfte auch dieses Verfahren mit einer Klatsche für die Medienpolitik enden.
mehr »

Gendergerechtigkeit per KI überprüfen

Ein Gender-Analyse-Tool der Technischen Universität München zeigt, wie Frauen medial ausgeklammert werden. Das Ziel vom  Gender Equality Tech Tool – GETT  ist es, die Sichtbarkeit von Frauen in der Berichterstattung bewusst zu fördern. Mit GETT kann über eine Kombination aus klassischen Algorithmen und Open-Source-KI-Modellen nachgeprüft werden, wie oft Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien genannt und wie sie dargestellt werden.
mehr »