Weg von der „Black Box“

Für bessere Transparenzkultur der Gremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Wenn die Länderparlamente im Herbst zustimmen, wird der Rundfunkbeitrag 2021 um 86 Cent erhöht. Wegen ihrer Finanzierung aus dem Rundfunkbeitrag stehen die Öffentlich-Rechtlichen immer wieder unter Legitimationsdruck. Nach einer Studie kann dieser Druck reduziert werden, wenn die Aufsichtsgremien für mehr Transparenz sorgen beim Umgang der Sender mit Geld, Parteien und Publikumsbeschwerden und wenn sie mehr Kompetenzen erhalten, die Öffentlichkeit in Programmentwicklungen einzubeziehen.

Medienwissenschaftler Dominik Speck, der die Expertise im Auftrag des DGB erstellte, sieht in mehr Transparenz durchaus eine Chance, deutlich zu machen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gesellschaft leistet. Während des Corona-Lockdowns sei das Vertrauen in seine Informationsgebung zwar gestiegen und insbesondere junge Leute hätten mehr Nachrichten geschaut, so Speck Ende August auf M-Nachfrage. Aber der Legitimationsdruck bleibe – wie auch die Attacken aus Sachsen-Anhalt gegen die Beitragserhöhung zeigen. Zunächst wurde argumentiert, das könne man den durch die Coronakrise finanziell belasteten Bürger*innen nicht zumuten. Später nahm die CDU eine Racial-Profiling-Satire des Jugendportals „Funk“ zum Anlass, die Beitragsfrage mit Programmkritik zu verknüpfen – was rechtlich unzulässig ist.

Nach Einschätzung von Speck, zur Zeit Gastwissenschaftler bei der EBU, dem Zusammenschluss europäischer Rundfunksender, sind die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland im internationalen Vergleich „in Sachen Transparenz gar nicht so schlecht aufgestellt“. Im Oktober 2019 hatte er die Internetauftritte von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle genauso wie die gesetzlichen Regelungen für die zwölf Rundfunkanstalten mit einer Dokumentenanalyse unter die Lupe genommen. Gemessen wurde ihre Transparenz an drei EBU-Kriterien: wie gut Informationen auffindbar, wie vollständig und wie verständlich sie aufbereitet sind.

Dabei erweisen sich die Rundfunkräte von WDR und RB sowie der Fernsehrat des ZDF als Vorreiter in Sachen Transparenz. Die Arbeit der Verwaltungsräte und Ausschüsse in den Anstalten – mit Ausnahme des ZDF – bleibt dagegen für die Öffentlichkeit weitgehend eine „Black Box“. In Handlungsempfehlungen erläutert Speck, wie die Gremien eine stärkere „öffentliche Anteilnahme ermöglichen“ können.

Der DGB versteht die Studie nämlich als Impulspapier für Gremienvertreter*innen, die sich gezielt für mehr Transparenz im Rundfunk einsetzen wollen. Speck listet dafür 13 Ansatzpunkte auf. Wegen der Unterschiede bei den gesetzlichen Transparenzregelungen, die sich aus der föderalen Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ergeben, sollten die Gremienvertreter*innen sich bei den Landesregierungen dafür einsetzen, dass die Vorschriften nach dem Vorbild des WDR- und Radio-Bremen-Gesetzes angeglichen werden. Sie könnten auch durch freiwillige Selbstverpflichtungen – etwa in ihren Geschäftsordnungen –für mehr Transparenz sorgen.

Öffentliche Sitzungen

Bei Programmkritik und Umgang mit Programmbeschwerden herrsche in den Sendern nach wie vor eine „Wagenburgmentalität“, kritisiert Speck gegenüber M. Er rät den Gremien, sich stärker in öffentliche Programmdiskussionen einzumischen, die nicht selten von politisch interessierter Seite angestoßen werden – sei es die AfD-Kritik an der „Umweltsau“-Satire oder das von der CDU monierte „Funk“-Video. Entscheidungen über Programmänderungen sollten transparent gemacht werden. Als Negativ-Beispiel nennt er die Absetzung der „Lindenstraße“, zu der es im Protokoll der SR-Rundfunkratssitzung vom Februar 2019 heißt, es habe „eine kontroverse Diskussion im Programmbeirat Das Erste stattgefunden.“ Wie diese „auch öffentlich debattierte und von vielen Zuschauer*innen wahrgenommene Programmentscheidung verlief und wie sich der Programmbeirat hier positioniert hat, bleibt aber auch dort offen“, kritisiert Speck.

Das könnte sich ändern, wenn alle Aufsichtsgremien öffentlich tagen. Außer bei NDR, HR und Deutscher Welle lassen die Rundfunkräte bei ihren Präsenzveranstaltungen bereits Publikum zu. „Diese Transparenz ist hilfreich für das Gesamtbild“, auch wenn bisher nur eine Minderheit das Angebot nutze, sagt Dominik Speck und freut sich über den ZDF-Fernsehrat. Dieser hat im Juli seine Geschäftsordnung so geändert, dass er als erstes öffentlich-rechtliches Aufsichtsgremium eine Livestream-Übertragung aus seinen Sitzungen ermöglicht. Bisher hatte nur der SWR die Intendantenwahl auf der gemeinsamen Sitzung von Rundfunkrat und Verwaltungsrat im Mai 2019 gestreamt.

Auch beim Beschwerdemanagement gibt es noch Nachholbedarf. Ausführlich und detailliert erklärt werden die einzelnen Schritte einer Programmbeschwerde nur auf den Websites von HR, MDR, RBB, SWR, WDR und ZDF. Bei Radio Bremen und ZDF wird in jeder Ratssitzung über Programmbeschwerden berichtet, beim WDR viermal und beim Deutschlandradio nur einmal pro Jahr. Die Öffentlichkeit erfährt davon bestenfalls durch Ergebniszusammenfassungen und Protokolle der Sitzungen. Deshalb gelte es im Sinne von mehr Transparenz, nach dem Vorbild des Deutschen Presserats Beschwerdeeinreichungen zu erleichtern und diese systematisch zu erfassen, um sie dann zu publizieren.

Parteienverbindungen und Honorare offenlegen

Auch dem Vorwurf der Partei- und Staatsnähe könnten die Rundfunkanstalten mit mehr Transparenz begegnen, indem sie etwa die gesellschaftlichen und politischen Verbindungen der Gremienmitglieder in einer biografischen Vorstellung offenlegen und ein „diverses Bild“ der Aufsichtsgremien vermitteln. Diese ausführlichen Informationen stellen aber nur HR, SR, WDR und ZDF ins Netz. Die WDR-Rundfunkratsmitglieder sind zudem nach dem NRW-Korruptionsgesetz verpflichtet, jährlich Selbstauskunft über ihre Tätigkeiten und Funktionen zu geben. Wenn dem Programm „Staatsnähe unterstellt“ werde, könne dem ein stärkerer Dialog mit dem Publikum entgegenwirken: Meinungen anhören, journalistische Arbeit erklären und die interessierte Öffentlichkeit nach britischem Vorbild in wichtige Programmentscheidungen einbinden. Bei der Entwicklung des Jugendportals „Funk“ gab es bereits einen solchen öffentlichen Konsultationsprozess.

Das Thema Finanzierung bietet in Sachen Transparenz noch Luft nach oben. Während die britische BBC offenlegt, welche Honorare an einzelne Moderator*innen und Expert*innen gezahlt werden, erfährt das deutsche Publikum nicht, was die Medienprominenz verdient. Auch die Kosten für Sportrechte werden nicht einzeln aufgeschlüsselt. Doch seit 2017 verraten die Rundfunksender, dass ihre Indendant*innen mehr als der Bundespräsident verdienen und legen die Durchschnittsgehälter auf Direktionsebene offen. Seit 2015 gibt die ARD einen Produzentenbericht heraus, der darüber informiert, was die einzelnen Landesrundfunkanstalten für Filmproduktionen an welche Firmen gezahlt haben. Über die Gehälter der Geschäftsleitungen, die auch Bezüge bei kommerziellen Beteiligungen enthalten, wird mal mehr und mal weniger detailliert Auskunft erteilt.

Mit drei Klicks zur Information

Wegen der verschachtelten Menüführung auf den Websites ist es kaum möglich, der EBU-Empfehlung „Mit drei Klicks zur Information“ gerecht zu werden. Das gilt auch fürs ZDF, das im Anstaltsvergleich überdurchschnittlich viele Informationen bereitstellt. So finden interessierte Bürger*innen die aktuellen Bezüge von Intendant und Geschäftsleitung hier nicht unter dem naheliegenden Menüpunkt „Finanzen“, sondern unter „Jahrbuch 2018“. Mittelfristig wünscht Speck sich ein „Transparenzportal“ für alle öffentlich-rechtlichen Anstalten, das Informationen auffindbarer macht. Doch mittlerweile ist er skeptischer, reichte doch die geplante Zusammenführung von ARD- und ZDF-Mediathek nur für eine gegenseitige Verlinkung.

Besonders im ZDF-Fernsehrat stößt die Forderung nach einer neuen Transparenzkultur auf offene Ohren. Richard Meng, bis Juli Mitglied des Gremiums, schreibt in einem epd-Debattenbeitrag, „Vertrauen zu stabilisieren geht in Misstrauenszeiten nur, wenn weit mehr Einblick möglich wird als bisher.“ Er benennt aber auch Grenzen der Transparenz: „Es bleibt als Dilemma, dass gerade kritischer Qualitätsjournalismus seine Quellen schützen muss. Dass insofern die Ressource Vertrauen unersetzbar bleibt. Im Recherchefeld wie im Publikum.“ Vertraulichkeit sei auch beim Umgang mit dem Intendanten unabdingbar, denn sonst würde der Fernsehrat wichtige Informationen erst nach gefallener Entscheidung erhalten.

ZDF-Fernsehrat Leonard Dobusch konstatiert auf netzpolitik.org, für eine neue Transparenzkultur müsse man die Empfehlungsliste der DGB-Studie nur abarbeiten: „Wesentlich für die Erfolgsaussichten ist, dass die Mitglieder der Aufsichtsgremien selbst hier klar Position beziehen und mehr Transparenz leben.“ Das hat der ZDF-Fernsehrat jüngst mit dem Beschluss getan, seine Sitzungen live zu streamen.

 

 

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