Wenn aus Auswahl Zensur wird

Ausstellung "Delete" im Hamburger MKG: aus einer Reportage über Unruhen in Nordirland, 1969
Foto: Hanns-Jörg Anders – Red. Stern

Es ist eine Eigenart des (Foto-)Journalismus, die eigenen Entstehungsbedingungen und Auswahlprozesse zu verschleiern. Mit der Ausstellung „Delete“ verfolgt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) das Ziel, all die Prozesse zu untersuchen, die ein Bild durchläuft, bevor Zeitschriften und Magazine es drucken. Gezeigt werden vier Reportagen aus der Zeit von 1968 bis 1983 aus den Zeitschriften Stern, Playboy, Kristall und Der Bote für die evangelische Frau. Die Ausstellung ist Teil der 7. Triennale der Photographie Hamburg und noch bis November zu sehen.

Ausgangspunkt der im zweiten Stock des Hauses in einem langgezogenen Raum und einem Flur präsentierten Untersuchung sind die vier historischen Fotoreportagen aus dem Bestand des Museums. Sie stammen von den deutschen Fotografen Thomas Hoepker, Günter Hildenhagen und Hanns-Jörg Anders sowie dem Japaner Ryūichi Hirokawa und thematisieren die Lage der Afroamerikaner in den USA um 1963, die Eskalation des Nordirlandkonflikts 1969, das Massaker von Sabra und Schatila in Beirut 1982 und die Beziehung eines behinderten, homosexuellen Paares in einer deutschen Pflegeeinrichtung. Die Ausstellung kombiniert die Fotogeschichten mit den Kontaktbögen, einer von den Fotografen neu zusammengestellten Bilderserie sowie auf Videos präsentierten Gesprächen mit den Fotografen über ihre Werke. Zusätzlich ist die Videoarbeit „Printed Matter“ des Künstlerduos Sirah Foighel Brutmann und Eitan Efrat zu sehen.

Die Kurator_innen der Ausstellung haben dabei gleich mehrere Herausforderungen zu meistern. Zum einen handeln sie ein sehr komplexes Thema in einem relativ kleinen Rahmen und mit einem geringen Korpus ab. Die Auswahl der Beispiele war dahingehend limitiert, dass auf die Bestände des Museums zurückgegriffen werden musste. Zum anderen sind seit der Entstehung und Publikation der Reportagen mehrere Jahrzehnte vergangen, die Entstehungs- und Publikationsprozesse sind somit nur schwer zu rekonstruiere. Darüber hinaus musste diese Auseinandersetzung in ein räumliches Ausstellungskonzept übertragen werden, das im musealen Kontext des MKG nicht nur informativen, sondern auch ästhetischen Ansprüchen genügen sollte.

Für die Rekonstruktion des Produktions- und Publikationsprozesses greift die Ausstellung ausschließlich auf die Aussagen der Fotografen zurück. Als Zeitzeugen können diese zwar etwas über ihre Arbeit im Feld und die Kooperation mit den Redaktionen erzählen, waren jedoch selbst nicht Teil der Redaktionen, so dass über die letztlichen Entscheidungsgründe der Bildauswahl nur Vermutungen angestellt werden können. Um dem zu entgehen, wäre ein Hinzuziehen der Bildredakteure sowie der Rückgriff auf weiteres Quellenmaterial hilfreich gewesen. Wie wichtig und hilfreich auch eine weitere (visuelle) Reflexionsebene sein kann, zeigte letztes Jahr in der Mannheimer Galerie Zephyr das Projekt „Lampedusa – Bildgeschichten vom Rande Europas“, das durch Graphic-Novel-Geschichten über die Produktionsbedingungen des Fotojournalismus sowie die Recherchearbeiten in der Region ergänzt wurde. Zwar illustrieren vor allem die Kontaktbögen anschaulich den Arbeitscharakter, finden sich auf ihnen doch alle Arten von Markierungen. Gleichwohl bleibt unklar, wer wann was markiert hat. Letztlich stehen die einzelnen Elemente eher nebeneinander als wirklich miteinander in Dialog zu treten. Verstärkt wird dieser Effekt durch die im Raum aufgestellten Holzboxen, auf denen die aufgezeichneten Videointerviews zu sehen sind.

Ohne dies explizit zum Thema zu haben, zeigt die Ausstellung sehr deutlich, wie erst der Kontext ein Bild zum Bild macht. So ist es auf den Kontaktbögen noch kaum möglich, den Bildern in Miniaturgröße Sinn zu entlocken. Auf den präsentierten Magazinseiten hingegen wird erfahrbar, wie durch die Aneinanderreihung der Bilder und die Kombination mit Text ein journalistischer Rahmen und damit eine bestimmte Erzählstruktur geschaffen wird. Und als gerahmte Fotografie an der Wand wird das einzelne Bild, obwohl Teil einer Serie, zu einem ästhetischen Objekt und wertvollen Artefakt. Deutlich wird, dass es kein „Original“, also keinen Ursprungszustand eines Bildes gibt, auf den sich alles zurückführen ließe, sondern nur unterschiedliche Formen der Präsentation, die sich hinsichtlich ihrer Kontextualisierung unterscheiden.

Mit „Delete. Auswahl und Zensur im Bildjournalismus“ haben die Kurator_innen einen provokanten Titel mit einer strengen konzeptionellen Ausrichtung gewählt. Leider leisten sie damit einer postmodernen Medienkritik Vorschub, die Auswahlprozesse im Fotojournalismus auf eine Stufe mit Manipulation und Zensur stellt. Was die Ausstellung gleichwohl hervorragend zeigt, ist die alltägliche Praxis fotojournalistischen Arbeitens, vermittelt über die ausführlichen Interviews. So ist es eine schiere Freude, den vier alten Herren zuzuschauen, wie sie in Erinnerungen schwelgen, Einsätze rekonstruieren und eine ungebremste Begeisterung für das Medium Fotografie und seine erzählerische Kraft an den Tag legen. Nur Machtstrukturen werden damit nicht offengelegt, obwohl dies der Einleitungstext vollmundig verspricht. Dafür bräuchte es dann doch eine andere Form.


Die Ausstellung „Delete“ ist noch bis zum 25. November 2018 im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) am Steintorplatz in Hamburg zu sehen (Öffnungszeiten: Di–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr; Eintritt: 12 € / 8 €).

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