Wider die „fünfte“ Gewalt

Journalisten müssen ihr Terrain zurückerobern

Es ist ein Paradoxon: Während sich Umfang und Art der Einflussnahme durch Lobbyisten in den letzten Jahren dramatisch verändert haben, erfährt die Öffentlichkeit verschwindend wenig darüber. Journalisten sind hieran gleich doppelt beteiligt: Zum einen, indem sie sträflich wenig über die lobbyistische Praxis in Deutschland berichten. Zum anderen, indem sie – ob gewollt oder ungewollt – oft stillschweigend Teil der Lobbyarbeit sind und so zu Helfershelfern werden.

Denn jede Privatisierung des Staates etwa – von der Bahn bis zur Telekom – wird immer begleitet von einer öffentlichen Orchestrierung. Diese mehr oder weniger sachkundige Berichterstattung aktiviert Kritik, Gegenkritik oder auch Zustimmung zu Projekten und nimmt damit eine Schlüsselposition bei der Durchsetzung von Interessen ein.
Deshalb gehört das Thema auf die Tagesordnung. Die Mechanik des Lobbyismus muss durch die Medien transparent gemacht werden. Journalisten müssen nachziehen und endlich den Lobbyisten selbstbewusst und auf Augenhöhe begegnen. Denn Lobbyisten gefährden die Demokratie, wenn ihnen nicht auf die Finger geschaut wird.
Eine übertriebene Mahnung? Offenbar nicht. Die Liste derjenigen, die Gefahr im Verzug sehen, ist lang und prominent besetzt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier warnt vor einer „fünften“ Gewalt und konstatiert ein kritisches Spannungsverhältnis „zwischen den Institutionen des Verfassungslebens einerseits und starken ökonomischen und gesellschaftlichen Kräften andererseits“. Christine Hohmann-Dennardt, Richterin am Bundesverfassungsgericht beklagt die „Massivität wie Subtilität, mit der die Bearbeitung der Politik durch den Lobbyismus inzwischen stattfindet“. Es sei „der sich abzeichnende Versuch einer umfassenden Infiltration des politischen Entscheidungsprozesses einerseits und der wenig spürbare Widerstand der Politik dagegen, ja deren eher zunehmende Geneigtheit, sich darauf einzulassen, andererseits, die Anlass dazu geben, vor einer schleichenden Unterwanderung demokratischer Entscheidungsfindung zu warnen“, so die Verfassungsrechtlerin. Und Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin, in den 1970er und 80er Jahren im Bundesfinanzministerium tätig, bestätigt aus der Praxis: „Die Referate sind alle verseucht mit Verbindungen zur Privatwirtschaft, das ist doch ganz normal!“
Dabei hat sich der Lobbyismus in Deutschland in den letzten Jahren nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ verändert. Neben den traditionellen Verbänden, den Gewerkschaften und Kirchen, die allesamt mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen haben, treten vermehrt neue Organisationen wie Nichtregierungsorganisationen (NGO) und direkt von den Wirtschaftsunternehmen entsandte Vertreter in Aktion. Auch die Szene der kommerziellen Lobbyisten, die von Fall zu Fall Interessen wahrnehmen, ist massiv angewachsen. Eine gezielte Einflussnahme fällt so leichter.

Professionelle Dauererregung

Die aktuellen Umwälzungen im deutschen Wohlfahrtssystem befördern diese Entwicklung. „Politische Reformdiskurse wecken schlafende Hunde“, hat der Mainzer Politikwissenschaftler Gerd Mielke beobachtet. „Der Kampf der rot-grünen Regierung für einen Wandel des bundesdeutschen wohlfahrtsstaatlichen Regimes gegen die völlig stabilen Erwartungen einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung hat ganze Legionen von Lobbyisten an den heiß umkämpften Frontabschnitten der Gesundheits-, Renten- und Arbeitsmarktreformen auf den Plan gerufen und in eine professionelle Dauererregung versetzt.“ Die bis heute ungebrochen anhält.
Nur mit Mühe können Journalisten hier den Durchblick bekommen und behalten. Das nicht genug, sind sie zudem Adressaten ganz neuer Kommunikationsstrategien, die mit viel Aufwand von Einrichtungen wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ oder der Bertelsmann Stiftung gefahren werden. Mit großem finanziellem Engagement, dem Einsatz von Prominenz und einigem Geschick lancieren diese ihre Kampagnen und wissenschaftlichen Untersuchungen contra Wohlfahrtsstaat in die Medien.
Was ist zu tun? Natürlich wäre es wünschenswert, dass die Branche sich selbst Regeln setzt, die für mehr Transparenz sorgen – etwa einen klaren Arbeitskodex. Erfreulich wäre es zudem, wenn sich Lobbyisten auch als Staatsbürger verstehen und ihr Interesse an einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen, von dem sie ja auch profitieren, stärker ausprägen könnten. Bislang werden etwa auf dem Feld des Spindoctoring Tätigkeiten nur „operational beurteilt, aber nicht moralisch oder politisch“, wie PR-Stratege Klaus Kocks ohne jeden Selbstzweifel formuliert. Hilfreich wäre sicher auch die Einführung einer so genannten Fußspur in Gesetzestexten.
Doch auf solcherart Veränderungen können und sollten sich Journalisten nicht verlassen. Es ist unwahrscheinlich, dass Veränderungen von der Lobby-Branche selbst angestoßen werden. Auch die Rechtssprechung scheint dies den Lobbyisten nicht zuzutrauen. Richterin Christine Hohmann-Dennardt etwa sagt, sie setze „vor allem darauf, dass die politischen Medien mehr Licht ins Dunkle bringen, wo eine Auszehrung unserer demokratischen Verfasstheit droht. Dass sie ihren Verfassungsauftrag ernst nehmen und das Treiben von Politik und Lobbyisten kritischer Beobachtung unterziehen.“ Auch die Bevölkerung scheint darauf zu warten. Denn ein großer Teil der Demokratieverdrossenheit rührt für viele aus dem Gefühl heraus, dass wichtige Entscheidungen gar nicht mehr im Parlament, sondern hinter den Kulissen gefällt werden.
Zuallererst müssen sie Sachkenntnis erwerben, vor allem bei Wirtschaftsthemen. Den sehr gut aufbereiteten Informationen der Lobbyisten muss eigenes Wissen entgegengesetzt werden. Dann auch werden Journalisten in der Lage sein, unlautere Praktiken zu erkennen und transparent zu machen. Und zu verhindern, dass sie selbst ein hilfreiches Rädchen in der Maschinerie des Lobbyismus werden.


 

Vera Linß
arbeitet als Medienjournalistin für den
ARD-Hörfunk und die Mediensendung
„Breitband“auf DLR Kultur.

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