Camcorder Revolution – eine Debatte um Gegenöffentlichkeit in Köln
Studenten an Filmhochschulen, Vertreterinnen von Menschenrechtsorganisationen und Dokumentarfilmer diskutierten im zweiten Untergeschoss vom Mediapark 7 in Köln das Thema „Camcorder Revolution – Videoaktivisten, politischer Dokumentarfilm und internationale Öffentlichkeit“.
„Das hat was von Subversion und Underground“, scherzte Detlef Langer. Damit fand der Filmreferent der SK Stiftung Kultur Köln, die gemeinsam mit dem Haus des Dokumentarfilms Stuttgart und der Dokumentarfilminitiative Mühleim / Ruhr das Symposium vom 3. bis 5. März veranstaltete, den richtigen Ton für sein mehrheitlich junges Publikum. Dieses wollte das Filmemachen nicht nur unter künstlerischen Qualitätsmaßstäben betrachten, sondern vor allem auch als Mittel, Protest auszudrücken und gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Der Berliner Medienaktivist Oliver Lerone Schultz will sich mit Filmen „gegen ökonomische Ausbeutung, soziale Ausgrenzung, staatliche und militärische Machtstrukturen und Nationalismus wenden“. „Wir haben nichts gegen Propaganda“, sagte er.
Mit Videoclip- und Filmbeispielen verdeutlichte auch die Filmemacherin Bärbel Schönafinger, was sie unter Gegenöffentlichkeit versteht: „Deutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ so der Titel einer ihrer Filme. Er thematisiert das Leid abgeschobener Flüchtlinge gewollt einseitig – einmal nicht aus Sicht der Gesetzeshüter. Ein anderer Clip dokumentiert die Revolte Jugendlicher in den Straßen Argentiniens. Es wird über zivilen Ungehorsam diskutiert: „Einfach alle Rechnungen einfach mal nicht zu bezahlen“, schlägt einer der Protagonisten vor. Videos der Aktivisten handeln von Demonstranten und den Gründen für ihren Unmut, dokumentieren Aufmärsche massiver Polizeigewalt oder karikieren selbstherrliche und verlogene Politikerauftritte. Sie wollen Informationen über soziale Bewegungen im In- und Ausland verbreiten. Im Internet sind die Videos unter www.kanalb.de , www.laborB.org , www.globale-filmfestival.de und www.germany.indymedia.org zu sehen. Des Volkes Stimme soll widergespiegelt werden. „Stellvertreter-Meinungen von Politikern oder sogenannten Experten kommen selten vor“, so Schönafinger.
Ein weichgespülter Film
Medienschelte gab es indes für den konventionellen Videojournalismus. Motto: Das Fernsehen ist schlecht, folglich müssen wir unsere eigenen Filme machen. Stellvertretend für seine Zunft nahm Jan Metzger, Programmchef des Hessen-Fernsehens die Kritik entgegen. „Vier Journalisten des Hessischen Rundfunks bei der Anti-Bush-Demo in Mainz – doch herausgekommen ist dabei einzig ein weichgespülter Film über das Torten-Anschneiden von Doris Schröder-Köpf und Laura Bush“, monierte Oliver Lerone Schultz. Metzger konterte bestechend ehrlich: Sein Job werde von denen finanziert, die Bildzeitung lesen und ins Fußball-Stadion gehen. Es gebe nun einmal „eine etab- lierte Öffentlichkeit im Fernsehen, und eine Gegenöffentlichkeit außerhalb“. Als Schwerpunkte des hessischen Regionalprogramms benannte er unter anderem: „Kleine Geschäfte auf der (Frankfurter) Zeil vorzustellen“. Argumente wie der verfassungsrechtliche Kultur- und Bildungsauftrag verpflichte, Provokatives und Oppositionelles zuzulassen, beeindruckten den Programmchef wenig.
Murray Martin (1943 geboren), der seit den 70er Jahren in der britischen „Workshop-Bewegung“ Filme über die Arbeiterklasse erstellt, stellte sich beim Kölner Symposium als der wohl älteste Videoaktivist vor. Er berichtete über sein damaliges „Kollektiv“: „Wir machten Filme nach dem Motto ‚Geschichte von unten‘, spielten Theater in eigener Regie, arbeiteten als Fotografen und eröffneten ein Pub. Das gemeinsam erwirtschaftete Geld verteilten wir in der Gruppe.“ Doch damals, in Großbritannien, waren die Zeiten besser. Untergebracht habe man die Filme meist bei „Channel four“, wo in den Redaktionen kritische und aufgeschlossene Kollegen beschäftigt waren.
In ihrem Film „Seeing is believing“ belegt die tschechisch-kanadische Filmemacherin Katerina Cizek am Beispiel der Landarbeiter-Bewegung in Nakamata, dass sich weltweit ungeahnte Widerstandsmöglichkeiten durch den Besitz von „Handicams“ eröffnen. Der Filipino Joey Lozano, Mitglied der Gruppe „Witness“, rüstete seine Landsleute mit Kameras aus, um auf diese Weise kriminelle Machenschaften zu dokumentieren. Eiskalte Zuckerrohr-Fabrikbesitzer könnten nun zumindest nicht mehr gänzlich ungeniert und unbeobachtet im Verbund mit bestechlichen Politikern und brutal mordenden Paramilitärs die Ureinwohner aus ihrem Land vertreiben. „Camcorder ist das Auge der Welt, wenn kein anderer hinguckt“, folgert Cizek. Mitunter könne dies Leben retten.
Debatten bis in die Nacht
Höhepunkt war der von internationalen Festivals preisgekrönte Film „Disbelief“ des russischen Filmemachers Andrei Nekrasov und der Produzentin Olga Konskaia. Es gab Diskussionen bis in die Nacht – sage einer, die Jugend wäre unpolitisch. Der Film bietet detaillierte Recherchen über jenes Wohnhaus in einer Arbeitersiedlung, in dem im September 1999 eine Bombe explodierte. Seitens der russischen Regierung wurden auffällig schnell „die Tschetschenen“ als Verantwortliche erklärt. Der Anschlag lieferte Anlass für den Beginn des zweiten Krieges gegen Tschetschenien. Mit dem Versprechen, die „Terroristen“ zu vernichten, wurde Vladimir Putin zum russischen Präsidenten gewählt. Der Film zeigt, wie eine junge Frau, deren Mutter im Wohnblock umkam, und deren Anwalt Michail Trepaschkin unbequeme Fragen stellen: Stand etwa in Wirklichkeit der russische Geheimdienst FSB, dem einst auch Putin selbst angehörte, hinter dem Bombenanschlag? Sollte wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl ein Klima der Angst geschürt werden, um das Morden von 200.000 Tschetschenen zu rechtfertigen?