Jedes Jahr Anfang September pilgern Hunderte von Fotojournalisten zum Festival „Visa pour l’Image“ ins südfranzösische Perpignan. Das seit 1989 stattfindende Festival ist während der am Sonntag zu Ende gegangenen „Professional Week“ einer der wichtigsten Treffpunkte für die internationale Fotojournalismusszene. Neben einem guten Dutzend Ausstellungen internationaler Fotografen gibt es Portfolioreviews, Diskussionsrunden, Fotografenvorträge und abendliche Projektionen.
Es gibt wohl kaum einen Ort, an dem sich besser beobachten lässt, welche herausragende Stellung Festivals für das Gewerbe oder besser gesagt die Industrie des Fotojournalismus haben. Beim Festival „Visa pour l’Image“ besteht nicht nur die Möglichkeit, die eigenen Arbeiten in einer Ausstellung oder einer Projektion der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern auch Kontakte zu Redaktionen und Verlagen zu knüpfen. Gerade in einer Welt der zunehmenden Prekarisierung des Fotojournalismus‘ ohne feste Verträge steigt die Bedeutung informeller Netzwerke, um Aufträge an Land ziehen zu können. So trafen in Perpignan in diesem Jahr erneut hunderte Fotografen und Bildredakteure aufeinander.
Inhaltlich folgt das seit seiner Gründung von Jean-Francois Leroy kuratierte Festival einer klassischen Version des Fotojournalismus, die sich eher an der Nachrichten- und Pressefotografie sowie tagesaktuellen Themen orientiert und sich damit von neueren Strömungen abgrenzt, die stärker konzeptionell und künstlerisch ausgerichtet sind, wie sie beispielsweise beim Fotofestival in Arles vertreten sind. Dementsprechend spielen auch die Bilderdienste der Nachrichtenagenturen wie AFP oder AP sowie internationale Bildagenturen wie Getty Images eine große Rolle in Perpignan. Die dominierenden Themen der Ausstellungen waren in diesem Jahr die Flüchtlingskrise sowie der Kampf gegen den Islamischen Staat.
Visa, wie das Festival meist genannt wird, ist ein großes Familientreffen der Szene. Man kennt sich und viele Fotografen kommen jedes Jahr zurück. Dabei ist das erste Jahr immer das schwerste, wie ein junger französische Fotograf berichtet. Noch weiß man nicht so richtig, wie das Geschäft funktioniert und hat keine persönlichen Kontakte. Die deutsche Fotografin Maria Litwa ist zum dritten Mal da. Für sie ging es dieses Jahr vor allem darum, Kontakte auf dem französischen Markt zu finden, da sie eine Porträtarbeit über die Emigration französischer Juden nach Israel angefertigt hat. Für Julien Prebel von der kleinen Fotografenagentur MYOP aus Paris stand dagegen im Vordergrund, die Arbeit der eigenen Fotografen den internationalen Redaktionen schmackhaft zu machen.
Aber auch die Politik bleibt in Perpignan nicht außen vor. In diesem Jahr nutzten einige französische Organisationen, darunter die Journalisten- und Fotografengewerkschaften UPP, SNJ und SNJ-CGT sowie die Bildrechteverwertungsorganisationen SAIF und SCAM das Festival, um ein Manifest unter dem Titel „5 Jahre, 3 Minister, 0 Maßnahmen“ zu lancieren. Damit reagierten sie auf den Report „Photojournaliste: une profession sacrifié“ zum Zustand des Fotojournalismus in Frankreich, der im vergangenen Jahr von der SCAM veröffentlicht wurde. Damals wurde konstatiert, dass es keine Krise des Fotojournalismus, sondern des Geschäftsmodells des Fotojournalismus gebe. Im Manifest wird unter anderem ein Mindestlohn für Freelancer, ein Verhaltenskodex für Redaktionen zum Umgang mit Fotografen sowie eine Verbesserung der Vertragsbedingungen gefordert.
Neben dem offiziellen Festival hat sich in Perpignan in den letzten Jahren ein Off-Festival etabliert, das mittlerweile mit fast 100 Ausstellungen das klassische Festival zahlenmäßig in den Schatten stellt. Der Schwerpunkt auf den Fotojournalismus ist hier jedoch recht schwach ausgeprägt, da keine Auswahl der Beiträge stattfindet. So finden sich Ausstellungen von Amateurfotoclubs mit Reise- und Makrofotografie neben Präsentationen professioneller Fotografen aus allen möglichen Bereichen. Als internationale Plattform wird das Off-Festival vom Studiengang Fotojournalismus in Hannover genutzt, der in einer schönen Ausstellung unter dem Titel „Life as Usual“ zeigte, wie auch Alltagsthemen zu spannenden Fotoreportagen verarbeitet werden können.
Höhepunkt eines jeden Festivaltages sind die abendlichen Projektionen auf dem Campo Santo. Über 1000 Zuschauer zelebrieren dort Abend für Abend in meist eineinhalbstündigen Bildermarathons die Kunst des Fotojournalismus. Die Größe der Leinwand stellt dabei jedes Multiplex-Kino in den Schatten. Teil der Projektionsabende ist die Ausschüttung einer ganzen Reihe von zum Teil hochdotierten Preisen, die von nationalen und internationalen Stiftern stammen und sich im vergangenen Jahr auf die Summe von 133.000 Euro beliefen. Bei den Awards werden neue Talente entdeckt aber auch die älteren Stars der Szene gefeiert. So wurde dieses Jahr die Verleihung des Visa D’Or Award für das Lebenswerk an die amerikanische Fotojournalismuslegende Stanley Green mit Standing Ovations honoriert.
Perpignan ist auch der Ort, wo Trends gesetzt, neue Initiativen präsentiert und Veränderungen auf dem Markt bekannt werden. So kündigte dieses Jahr die Bildagentur Getty Images an, den Bereich Getty Reportage zu schließen und in eine Plattform namens Verbatim zu überführen, die stärker auf den Corporate Bereich ausgerichtet sein wird. Die aus den USA stammende Onlineplattform Visura, die als eine Art soziales Netzwerk des Fotojournalismus‘ Fotografen und Bildredakteure zusammenbringen will, nutzte das Festival als Kick-Off in Europa. Und James Enstrin vom New York Times Lens Blog nahm die Präsentation einer mit Mitteln des europäischen Parlaments finanzierten Reportage über Migrantinnen zum Anlass, das Thema journalistische Unabhängigkeit zurück aufs Parkett zu tragen. Damit bietet das Festival Jahr für Jahr ein gutes Forum, zeitgenössische Themen des Fotojournalismus zu diskutieren.