Gibt es zu viele Fotojournalisten?

Arbeitsbedingungen von Fotografen im Fokus einer dju-Veranstaltung

Die Arbeitsbedingungen von Fotojournalisten waren noch nie so schwierig wie heute. Hat engagierter Fotojournalismus überhaupt noch eine Chance, und bleibt Fotografen eine realistische Hoffnung auf eine existenzsichernde Beschäftigung? Über diese Fragen diskutierten die etwa hundert Teilnehmer des Fotografentages der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) am 24. März in der Fachhochschule Hannover.

Verlage und Redaktionen beschäftigen aus Gründen der Kostenminimierung kaum noch fest angestellte Fotografen. Die Honorare der Freien bewegen sich, wenn überhaupt, seit Jahren nur in eine Richtung: nach unten. Dokumentarfotos werden in den redaktionellen Teilen der Printmedien zunehmend von kostenlosen PR-Bildern verdrängt. Das schränkt nicht nur den Markt bezahlter Fotos drastisch ein, sondern hat auch einen Qualitätsverlust der Publikationen zur Folge. Gleichzeitig wird der Bildermarkt zunehmend von Global Playern wie Getty und Corbis beherrscht – im Aktuellen dominieren Agenturen wie dpa und ddp. Und mit der Verbreitung der angeblich so einfach handhabbaren Digitaltechnik drängen immer mehr Quereinsteiger in den Fotojournalismus, der damit vehement an Qualität einbüßt.
All denen, die vielleicht noch mit einem Funken Optimismus der Einladung der dju zum Fotografentag gefolgt waren, verpasste Professor Rolf Nobel von der Fachhochschule Hannover gleich zu Beginn der Veranstaltung einen herben Dämpfer: „Keiner der Studenten, die gegenwärtig an deutschen Fachhochschulen und Hochschulen ausgebildet werden – egal  ob Kunst-, Werbe-, Modefotograf oder Fotojournalist – keiner von denen wird draußen wirklich gebraucht! Wir haben in Deutschland schon seit langem viel zu viele Fotografen! Der Markt ist übervoll, und jeder, der in diesem Feld überleben will, muss den Kollegen, die dort bereits tätig sind, die Jobs abjagen, die ihn dann ernähren sollen.“
Für die akademisch produzierte Fotografenschwemme macht Nobel vor allem die unkoordinierte Bildungspolitik der Länder verantwortlich. „Wo und wann es gerade mal einer Hochschulleitung beziehungsweise dem zuständigen Ministerium einfällt, wird aufs Geratewohl eine Studienrichtung Fotografie aufgemacht.“ Nach Berechnungen von Spiegel online würden derzeit an 50 deutschen Hochschulen und Fachhochschulen Fotografinnen und Fotografen der verschiedensten Richtungen ausgebildet. Hinzu kämen private Fotoschulen. Aus kommerziellen Gründen verzichteten sie auf eine wirkliche künstlerische Eingangsprüfung. Ihr wichtigstes Ziel sei, Geld zu verdienen. Das heißt, möglichst viele Schüler aufzunehmen. „Sie bauen zusätzliche Illusionen über die Berufsrealität auf und vergrößern die Zahl der Berufseinsteiger auf dem Abkürzungswege weiter“, kritisiert Nobel. Als Hochschullehrer trägt er natürlich selbst, wenn auch nur in bescheidenem Maße, zur Vermehrung der Berufseinsteiger bei. Aus diesem Dilemma hat die Fachhochschule Hannover die Konsequenzen gezogen: strenge Auswahlkriterien für die Studentinnen und Studenten und die Konzentration des Studiums auf journalistisch-dokumentarische Fotografie.

Strenge Auswahlkriterien

Von seinen Studentinnen und Studenten erwartet Nobel vor allem eines: Leidenschaft. „Ich denke nicht daran, bei einer Arbeitslosenzahl von über fünf Millionen Menschen und einer viel zu großen Zahl von Fotografen weitere leidenschaftslose und wenig motivierte Fotografen auf die Welt loszulassen.“ Auf die zwölf jedes Jahr zu besetzenden Studienplätze hätten sich jetzt 126 Bewerber gemeldet. Eine restriktive Auswahl ist schon deshalb notwendig. Nobel erwartet von seinen Studienbewerbern denn auch, dass sie ihre fotografische Selbstfindung bereits hinter sich haben. „Weder Pippimädchen, noch Muttisöhnchen ohne jede Peilung vom Leben haben in einem Medienberuf etwas verloren“, so das abschreckende, wenn auch bewusst überspitzt formulierte Urteil des Visum-Fotografen und Professors.
Zwei Bereiche hält Nobel in der Ausbildung angehender Fotojournalisten für besonders wichtig: einen frühen Praxisbezug und die Entwicklung ethischer Maßstäbe. Den Praxisbezug lernen die Studenten in Hannover vor allem durch ein Praktikum in der Bildredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Was die Ethik betrifft, hat Nobel festgestellt: Für die meisten manipulierten Fotos sind nicht die Redaktionen, sondern die Fotografen selbst verantwortlich. „Unter dem Druck, ihre Bilder besser und aufregender zu machen, photoshoppen sie daran herum und verschwenden keine Sekunde Gedanken an eine Kennzeichnung mit dem M für Manipulation.“ Extreme Defizite registriert Nobel auch immer wieder bei der Selbstvermarktung. Portfolios zeugten von dem Willen, sich als Alleskönner zu präsentieren. Berufsanfänger hätten keine Ahnung, wie ein Exposé für einen Themenvorschlag auszusehen habe. Sie wüssten oft weder, was eine Garantie, noch was ein Anstrichhonorar ist. Ihre digitalen Fotos würden in viel zu großer Zahl an die Bildredakteure geschickt, die dann Mühe mit der Auswahl hätten.
Brauchen die Redaktionen überhaupt noch gut ausgebildete Fotografen oder reichen in den meisten Fällen vielleicht schon billige Gelegenheitsknipser? Mit dieser Frage beschäftigte sich Isabel Lott, Bildredakteurin der taz. Lott stellte klar, dass die Tageszeitung, die bekannt dafür ist, dass sie ihre Fotografen wie Gelegenheitsknipser bezahlt, nichtsdestotrotz professionelle Ansprüche bei der Bildbeschaffung hat. Natürlich würden der taz immer wieder Amateurfotos angeboten, aber nur in Ausnahmefällen auch abgedruckt. Zum Beispiel dann, wenn es sich um ein besonders wichtiges Ereignis handelt, bei dem kein Profi anwesend war. Auch der schreibende Kollege, der eigene Fotos zu seinem Artikel liefert, sei bei der taz die Ausnahme und meist nur im Lokal- und Regionalteil anzutreffen. Am Umgang mit Profis schätzt Lott die Verlässlichkeit im Hinblick auf Absprachen und, ganz wichtig, die ausreichende und korrekte Beschriftung der digitalen Bilddateien.
Besonders gern arbeitet Lott mit freien Fotografen zusammen, nicht nur, weil die Redaktion keine fest angestellten bezahlt: „Freie haben unterschiedliche Stile, auf die ich je nach Bedarf zurückgreifen kann.“ Doch Aufträge an freie Fotojournalisten werden offenbar immer weniger vergeben. Denn der Trend in vielen Printmedien, dass Dokumentarfotos durch inszenierte Bilder, Kollagen und  Illustrationen ersetzt werden, ist auch an der taz nicht vorüber gegangen. „Das reine Fotodokument läuft nicht mehr“, so Lott. Besonders auffällig ist diese neue Art der Bebilderung auf der Titelseite der taz, bei deren Entstehung der Grafiker inzwischen oft wichtiger ist als der Fotograf. Mindestens so wichtig wie der Inhalt der Aufmacherfotos sei, ob das Motiv genug Luft zum Freistellen für Texte lasse oder ob die über dem Bruch erscheinende obere Bildhälfte als Eye-Catcher dienen könne, erklärte die Bildredakteurin. Dem Blatt scheint dieser Relaunch genützt zu haben. Seit Einführung der neuen Seite Eins, so Lott, verkaufe sich die taz am Kiosk besser.

Fotos in der Nebenrolle

Nicht unbedingt besser sieht die Beschäftigungsmöglichkeit für Fotojournalisten in anderen Zeitungen aus. Der Fotograf Günter Zint hat mehrere norddeutsche Tageszeitungen ausgewertet und die Ergebnisse auf dem Fotografentag vorgestellt. Danach handelt es sich bei bis zu 70 Prozent der in den Wochenendausgaben abgedruckten Fotos um unbezahltes PR-Material. „Wir brauchen immer Fotos“, sagen dagegen Detlev Brinkschulte von Mauritius Images und Frank Beyer von Jupiter Images. Die Vorbehalte vieler Fotojournalisten gegenüber der mehr an PR und Werbung orientierten Stock-Fotografie versuchten sie zu zerstreuen mit dem Hinweis, auch in der Werbung seien journalistische Bilder zunehmend gefragt, weil sie den Werbebotschaften mehr Glaubwürdigkeit verliehen. Zwei Voraussetzungen seien jedoch zu beachten: Die Fotos müssten technisch perfekt und, sobald Personen abgebildet sind, mit einem Model-Release versehen sein. Besonders letzteres Kriterium dürfte für Dokumentarfotografen nicht immer leicht zu erfüllen sein. Man stelle sich nur mal die Kolleginnen und Kollegen vor, die in Krisen- und Kriegsgebieten wie dem Irak arbeiten.
Auch die abschließende Podiumsdiskussion konnte nicht wirklich einen Ausweg aus der Krise des Fotojournalismus aufzeigen. Kritisiert wurde, dass in Deutschland Fotos gegenüber Texten nur eine Nebenrolle im Journalismus spielen. In Frankreich beispielsweise habe das Foto einen viel höheren Stellenwert, sagte der Fotograf Maurice Weiss, von der Agentur Ostkreuz. Die Text-Dominanz spürt auch taz-Bildredakteurin Isabel Lott. Im Zweifel werde immer zugunsten der Texte entschieden, obwohl bekannt sei, dass der Leser über das Foto in die Seite einsteigt. Entsprechend schwierig sei die Position der Bildredaktion gegenüber den anderen Ressorts. Überhaupt gebe es immer weniger eigenständige Bildredaktionen und qualifizierte Bildredakteure, so Detlev Brinkschulte von Mauritius Images. Hintergründige Reportagen seien kaum noch gefragt, was laufe, seien vor allem Klatsch und Tratsch, sagte Thomas Schumann, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung Fotomarketing (MFM). Doch es gebe auch positive Beispiele. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder das Magazin Mare hervorgehoben. Davon, dass Fotos trotz aller Verflachungstendenzen nach wie vor Wirkung zeigen und etwas bewegen können, zeigte sich Rolf Nobel überzeugt. Ein Beispiel dafür sind die Fotos aus dem amerikanischen Kriegsgefangenenlager Abu Greibh in Bagdad. Eine wichtige Erkenntnis zwar, bleibt jedoch die Frage, wie über 10.000 Fotojournalisten in Deutschland davon leben sollen.

 
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