Die Klage ist vermutlich so alt wie das Fernsehen: Viele Zuschauer haben bei Filmen und Serien Probleme, den Dialogen zu folgen. Das hat auch mit dem Alter zu tun; ARD und ZDF bekommen vermutlich mehr solche Beschwerden als zum Beispiel ProSieben. Seit einiger Zeit nun versuchen verschiedene ARD-Sender im Rahmen von Pilotprojekten, die Sprachverständlichkeit des Fernsehens zu verbessern. Die Ursache liegt jedoch tiefer: Der Ton ist seit Jahrzehnten das Stiefkind der Filmproduktion.
Das akustische Verständnis ist nicht nur eine Frage des Gehörs; sagt jedenfalls Max Kiefer. Der WDR-Ingenieur leitet die ARD-Arbeitsgruppe „Sprachverständlichkeit“. Sie sucht nach technischen Lösungen, um die Hintergrundtöne – Geräusche, Musik, Atmosphäre – von Fernsehinhalten zu dämpfen und die Sprachanteile hervorzuheben. Im Rahmen der jeweiligen Projekte bieten die beteiligten Sender eine zusätzliche Tonspur an, die sich auf der Fernbedienung zum Beispiel über die HbbTV-Taste aufrufen lässt.
Dass sich die Sender überhaupt mit der Thematik befassen, hat aber nicht nur mit dem nachlassenden Gehör vieler Zuschauer zu tun: Sprachverständlichkeit ist offenbar eine ähnlich individuelle und subjektive Angelegenheit wie Geschmack. Der eine hat nichts dagegen, wenn Dialoge mit Musik oder Geräuschen unterlegt sind, andere finden das äußerst lästig. Die Ursachen für Verständnisprobleme bei Filmen und Serien entstehen allerdings oft schon während der Dreharbeiten, weil Schauspieler nuscheln oder weil die Dialoge mit verdeckt angebrachten Körpermikrofonen aufgezeichnet werden. In solchen Fällen, räumt Kiefer ein, „ist die beste Technik machtlos“.
In den Ton wird weniger investiert
Auch für die Filmemacher ist das ein großes Thema – aus einem ganz einfachen Grund, wie Benedikt Röskau erklärt: „Man kann sich einen Film auch auf einem minderwertigen Bildschirm ansehen, aber wenn der Ton schlecht ist, brechen die meisten Menschen sofort ab. Trotzdem wird in den Ton viel weniger investiert als ins Bild.“ Röskau, der 2020 mit „Eine Almhütte für zwei“ sein Regiedebüt feierte, weiß, wovon er spricht: Bevor er mit Drehbüchern zu Fernsehfilmen wie „Das Wunder von Lengede“ oder „Contergan“ zu einem der renommiertesten deutschen Autoren wurde, hat er zehn Jahre lang als Tonmann gearbeitet. Noch bis in die 1960er Jahre hätten Schauspieler laut und deutlich sprechen müssen, „denn die damals verwendeten dynamischen Mikros, an riesigen Tonangeln ausgefahren, waren einfach nicht empfindlich genug“.
Die technische Entwicklung habe dann dazu geführt, „dass vor allem männliche Schauspieler oft nuscheln, weil sie finden, dass sie dann authentischer klingen“. Röskau geht zudem davon aus, dass das deutsche Fernsehpublikum „von den technisch und sprachlich brillant synchronisierten fremdsprachigen Serien und Filmen extrem verwöhnt ist“. Die Synchronsprecher seien im Unterschied zu vielen Schauspielern bestens ausgebildet, ihre Dialoge würden unter idealen Bedingungen aufgenommen; eine derartige Tonqualität sei beim Drehen nicht zu erreichen. Und falls doch, „dann scheitert der Aufwand an der Ausstattung der Flachbildschirme, weil deren oft minderwertige Lautsprecher gar nicht in der Lage sind, alle Feinheiten des modernen Sounddesigns wiederzugeben“.
Viele Stellschrauben für einen guten Ton
Kein Wunder, dass nicht nur Toningenieure, sondern auch Regisseure die Anschaffung einer Surround-Anlage oder einer Soundbar empfehlen. Niki Stein, für sein Scientology-Drama „Bis nichts mehr bleibt“ (2010) mit dem Bayerischen Fernsehpreis für Buch und Regie ausgezeichnet, erinnert sich noch gut an seinen ersten Fernsehfilm („Sievers wartet!“, 1988): „Der Ton bestand aus Dialog, Musik, Atmosphären und einzelnen Geräuschen, die wichtig waren, etwa ein anfahrendes Auto oder ein singender Vogel. Durch die Digitalisierung von Mischung und Schnitt waren plötzlich unzählige Spuren möglich; das hatte es bis dahin nur bei aufwendigen Kinoproduktionen gegeben.“ Stein hat aber auch die Erfahrung gemacht, „dass sich konservative Ohren mit dieser Erweiterung der akustischen Gestaltungsmöglichkeiten schwertun.“ Selbst gute Lautsprecher würden das Problem nicht automatisch lösen, „weil sie so viele Möglichkeiten bieten, dass der normale Konsument mit einer optimalen Einstellung meist überfordert ist“.
Stephan Wagner findet „das Delta zwischen optischer Kraft und scheppernder Kleinkalotte“ sogar „mehr als verstörend“. Der mehrfache Grimme-Preisträger („Der Fall Jakob von Metzler“, „Mord in Eberswalde“) weist aber auch auf ein ganz anderes Problem hin: Er habe oft genug erleben müssen, dass trotz monatelanger Arbeit beim Zuschauer ein schlechter Ton angekommen sei; seltsamerweise aber nicht überall. Eine Ursachenforschung habe schließlich ergeben, dass die Kunden der einen Kabelgesellschaft „einen ungestörten Hörgenuss hatten, während sich bei einem anderen Anbieter die Beschwerden häuften“. Beim Herstellungsprozess werde penibel auf die Einhaltung akustischer Normen geachtet, „aber der Bereich vom Sendeband zum Zuschauerohr ist keinen Zertifizierungen unterworfen“.
Und dann gäbe es noch eine Variable, die technisch nicht zu beeinflussen ist: „Es ist nicht das Gehör, das hört“, sagt Röskau, „es ist das Gehirn. Wenn wir nicht permanent alle Nebengeräusche im Kopf rausfiltern würden, könnten wir in einer vollen Kneipe kein Gespräch führen. Die Tonaufzeichnung selektiert jedoch nicht. Wird der Ton dann via TV wiedergegeben, fehlt dem Gehirn die akustische Information des Raums, weshalb man ihn akustisch auch nicht wahrnimmt. Das Gehirn kann die Nebengeräusche daher nicht sinnvoll ausblenden und versteht den Ton einfach nicht“; ein Problem, unter dem auch viele Menschen mit Hörgerät litten. Für diese Zuschauer wären die ARD-Projekte ein echter Fortschritt.
Sprachverständlichkeit selbst verbessern
Die Sprachverständlichkeit von TV-Sendungen ist nicht zuletzt von den technischen Wiedergabe-Bedingungen abhängig. Bei akustischen Problemen hilft oft schon eine Anpassung der Toneinstellungen: Gibt es im Tonmenü des Empfangsgeräts die Optionen „Stereo“ oder „Dolby Digital“, kann in der Regel mit der besten Tonqualität gerechnet werden. Andere wählbare Voreinstellungen („Presets“) wie zum Beispiel „Virtual Stereo“ oder „Dolby Surround“ können dagegen „unkontrollierbare Effekte und damit eine Verschlechterung der Sprachverständlichkeit bewirken“, wie es in einer Empfehlung des ZDF heißt. Die Sprachverständlichkeit ließe sich außerdem verbessern, wenn man über die Klangeinstellung des Empfangsgeräts die Bässe reduziert und die Höhen betont. Moderne Geräte bieten im Tonmenü zudem Optionen wie Sprache, Musik oder Film. tpg