Beruf Visual Researcher: Stephen Maier

Stephen Maier, Visual Researcher beim Film
Foto: Marie-Kristin Wolff

Fähig, um die Ecke zu denken

Als Visual Researcher gehört Stephen Maier zu einer Handvoll Spezialist*innen bundesweit, die für Film- und Fernsehproduktionen alle Arten von Fremdmaterialien besorgen. „Viele Produktionen machen immer noch den Fehler, Clips einfach aus YouTube zu ziehen und erst im Nachhinein darüber nachzudenken, wer denn eigentlich die Rechte daran hält“, beschreibt Maier die Problemlage. Sein Job als Visual Researcher ist es, sich – möglichst früh – darum zu kümmern, welche Materialien zu welchem Preis zu haben sind, deren Rechte zu klären und sie für die Produktion zu besorgen. Kommt die Rechtefrage erst am Ende des Produktionsprozesses auf den Tisch, gibt es unter Umständen Probleme und ungeplante Mehrkosten.

Maier hat an der FU Berlin Geschichte und Publizistik studiert und ist dann bei der Kölner ZDF-Tochter „Gruppe 5 Filmproduktion“ eingestiegen. Die zeichnet für bekannte Geschichtsdokumentationen für das ZDF, etwa die Guido Knopp-Reihe „Die Deutschen“ verantwortlich. Gut für den Researcher – das Handwerk konnte er in der firmeneigenen Abteilung für Archivrecherche und Rechteklärung von der Pike auf lernen. Dem Thema zeitgeschichtliche Dokumentationen ist er treu geblieben, heute in der „Februar Film GmbH“ in Berlin. „Obwohl ich 50 Prozent meiner Zeit als Producer unterwegs bin, bleiben die Recherche im Archiv und die Klärung der Rechte meine Steckenpferde,“ schwärmt Maier von seinem Job.

Ein persönlicher Meilenstein war für ihn die Mitarbeit an der preisgekrönten ARD/ARTE-Dokumentation „Der Vietnamkrieg – Gesicht einer Tragödie“. „Wir mussten ein Potpourri von Blickwinkeln recherchieren“, erinnert sich Maier. Sowohl die Perspektiven der traumatisierten GIs, als auch die der nordviet-namesischen Kämpfer, der Südvietnamesen, der westdeutschen Regierung und die der DDR-Regierung sollten im Film thematisiert werden. Maier lieferte Pro-Nordvietnam-Beiträge des DDR Fernsehens und Clips aus Bändern von Gert Ruge und Peter Scholl-Latour aus dem WDR-Archiv.

Grundsätzlich kümmern sich Visual Researcher um alle Arten von Fremdmaterial: Fotos, Filmclips, Zeitungsausschnitte, Akten. Zurzeit sichtet Maier Akten in der Stasiunterlagen-Behörde. Die werden dann gescannt und ein Grafiker fährt sie mit der virtuellen Kamera ab und highlightet die Ausschnitte, die später übers Filmbild laufen sollen. Aus von Maier gelieferten Fotos entsteht ein virtuelles Fotoalbum, das im fertigen Film durchgeblättert wird.

Manchmal führen ihn Rechercheaufträge auch ins Ausland. Für die oben genannte Vietnam-Dokumentation war er persönlich im Archiv des französischen Militärs. Material aus dem Washingtoner National Archive (NARA) dagegen gibt er bei Rechercheuren vor Ort in Auftrag. Die Rechteklärung ist ein wichtiger Teil seines Jobs. Die betrifft örtliche, zeitliche und sachliche Rechte. „Je umfangreicher das Rechtepaket sein soll, desto teurer wird es“, erklärt Maier. Mit den Rechtegebern vereinbart er einen Preis pro Minute oder Sekunde bzw. pro Bild oder Dokument. Der Aufwand wird deutlich, wenn man weiß, dass in einer historischen Dokumentation Materialien aus bis zu 30 verschiedenen Quellen verarbeitet werden. Liegt der Film dann grob vor, muss der Researcher in den Schnitt und möglichst schnell anhand der Timeline ausrechnen, was das Archiv letztlich kosten wird. Dann muss vielleicht gekürzt oder aufgesattelt werden, um das Material ins Budget zu bekommen. „Das erfordert viel Erfahrung und ein persönliches System, um die Kosten möglichst schnell zu eruieren“, so Maier.

Als wichtige Voraussetzungen für seinen Beruf nennt er „Neugierde, Mut und die Bereitschaft und Fähigkeit, um die Ecke zu denken.“ Wenn er bei einem Auftrag nicht auf sein Netzwerk zurückgreifen kann, muss er improvisieren. Sein Geschichtsstudium hilft ihm dabei, historische Quellen einzuordnen und zu bewerten. In den USA, Kanada und Frankreich sind Visual Researcher inzwischen fester Teil einer Doku-Produktion. In Deutschland fehlt noch eine formale Ausbildung und das Berufsbild ist bisher wenig professionalisiert. Auch deshalb möchte Maier, zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen, eine Berufsorganisation für Visual Research aufbauen. „In Deutschland gibt es bisher lediglich den PICTAday, bei dem sich aber vorwiegend Journalist*innen mit Fotoarchiven treffen. Die Filmemacher*innen und Filmarchive fehlen dort noch”, bedauert Stephen Maier.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Traditionelle Medien zu wenig divers

Vielfalt in traditionellen Medien ist gefährdet - durch Chefetagen, die überdurchschnittlich mit weißen Männern besetzt sind. Dazu kommt eine zunehmend stärker werdende Berufsflucht. Daneben entsteht ein „peripherer Journalismus“ – entweder mit einem hohem Anspruch an Diversität oder andererseits sehr eingeschränkter Vielfalt. Das Meinungsspektrum verschiebt sich von „migrantischen zu ultrakonservativen Stimmen“. Schlaglichter auf die kritisch-konstruktive Tagung „Diversität und Geschlecht im Journalismus“.
mehr »

Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.
mehr »