Kaputt sparen

Landesmedientag der dju Hessen und Rheinland-Pfalz / Saar zu journalistischer Qualität

Im Frankfurter Gewerkschaftshaus diskutierten 100 Journalisten den Zusammenhang zwischen miesen Arbeitsbedingungen und schlechtem Journalismus. „Wird die Qualität kaputt gespart?“, so das Thema des Landesmedientags der dju Hessen und Rheinland-Pfalz / Saar 2004.

Die Rezepte, einen Weg aus der Krise zu finden, seien stets die gleichen, monierte die Sprecherin des Landesvorstands der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten Union (dju) in ver.di Hessen, Michaela Böhm: „Redakteure entlassen, Abteilungen auslagern, tarifliche Leistungen zusammenstutzen, die Honorare von freien Mitarbeitern kürzen“. Für die verbleibenden Journalisten bedeute dies Arbeitsintensivierung und -extensivierung: Der journalistische Alltag sei dadurch bestimmt, dass mehr Arbeit in die Zeit gestopft werde und zugleich länger gearbeitet werden müsse. „Wir hetzen und hasten durch unsere Arbeit, jeden Tag aufs Neue“.

Was dies für die Qualität bedeutet, erläuterte der Medienwissenschaftler Hans-Joachim Kleinsteuber (Uni Hamburg). Genüsslich zitierte er den Gesellschaftskritiker Kurt Tucholsky, der in einer Satire einen Redakteur zum Praktikanten sagen ließ: „Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach zwei Wochen festgestellt werden können, sind wahr“. Kriterien für Journalismus benannte er so: Ist das Thema relevant? Ist die Darstellung originell und von verschiedenen Seiten beleuchtet?

Im Bezug auf die Einhaltung der Kriterien sah Kleinsteuber schwarz: In Sozialprestigeskalen rangierten Journalisten nicht oben. Durch marktstrategische Einflüsse entwickele sich die Presse am Leser vorbei. Der Grund: Nur zu einem Drittel seien Zeitungen vom Nutzer finanziert. Zu zwei Dritteln unterliege sie der Querfinanzierung der Werbewirtschaft. Um die Pressefreiheit zu erhalten, schlug der Medienwissenschaftler vor, Ombudsleute einzusetzen, die ein Forum für kritische Leser bilden. Das reflexive Element unter Journalisten müsse stärker angeregt werden. An Universitäten sei ein Diskurs zu führen, der die realen Arbeitsbedingungen kritisiert, so Kleinsteuber. Er warte darauf, dass Verleger sich endlich selbst ethisch binden.

Weniger Zeilengeld und weniger Zeit für Recherche

Verschiedene Prototypen des Journalismus berichteten über ihren Arbeitsalltag und redeten Tacheles. Der freie Journalist Bernd Schmid aus Wiesbaden stellte sich als „Tagelöhner“ vor, der auf Zuruf Redaktionsdienste macht und für Zeilengeld schreibt: „Das Zeilengeld ist zunehmend weniger berauschend“, berichtete er. In kürzerer Zeit mehr Artikel fertigen zu müssen, beinhalte jedoch die Gefahr, schablonenhaft zu schreiben. Alexander Mühlenburg, unter anderem für das Fernsehen tätig, konstatierte, Beiträge, noch vor drei Jahren mit 3.000 Mark bezahlt, brächten ihm heute bisweilen nur 300 Euro. Die Vermarktung beanspruche die Hälfte seiner realen Arbeitzeit, für die Recherche bleibe entsprechend wenig.

Auch die journalistische Unabhängigkeit sah eine Redakteurin gefährdet. Bereits 1969 habe sie über „schöne Geschäftsstraßen“ berichten müssen, „drum herum gruppierten sich fröhlich Anzeigen“. Für Joachim Legatis, Redakteur der „Alsfelder Allgemeinen“, gehört das – wie inzwischen auch bei vielen überregionalen Zeitungen – zum Job. Seit zehn Jahren fertigten dort drei Redakteure täglich fünf Seiten auf diese Weise. Gespart worden sei an freien Mitarbeitern – beschäftigen könne man deshalb nur noch ungelernte Hobbyjournalisten.

Der Betriebsrat der Frankfurter Rundschau Viktor Kalla stellte fest, dass in Zeitungsredaktionen immer mehr Pauschalisten die gleiche Arbeit wie tariflich abgesicherte Redakteure verrichteten – nur schlechter bezahlt. Mediensekretär Manfred Moos (ver.di Hessen) bekräftigte, wenn mit der Tarifpolitik ein immer kleinerer Teil von Beschäftigten zu erreichen sei, müsse die Gewerkschaft diese traditionelle Form der Interessensvertretung hinterfragen. Er konstatierte eine „Entwicklung des Informationsproletariats“. Fazit von Redakteuren und Freiberuflern: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Freien teuer werden, sonst werden feste Redakteure zunehmend ersetzbar durch billigere Kräfte.“ Der Frankfurter Theatermacher Michi Herl lieferte unter dem Titel „Zum Niedergang der journalistischen Ethik“ eine satirische Zukunftsvision: „Bis mittags die Eschenheimer Anlage säubern, dann schnell hoch in die Frankfurter Zeitungsredaktion, den Leitartikel verfassen“. Für Veranstalter gebe es bereits Seminarangebote: „Kritiken selbst verfassen – wenn der Redakteur nicht kommt“.

 

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