Zwei Bücher, ein Thema: Juliane Löffler und Thomas Gottschalk beschreiben aus völlig unterschiedlichen Perspektiven, wie sich Gesellschaft und Medien in den letzten Jahren unter anderem durch den Einfluss der MeToo-Bewegung verändert haben. Während Löffler den unverhohlenen männlichen Machtmissbrauch akribisch recherchierte, sorgt sich Gottschalk um seine Privilegien.
Anlässlich eines Interviews zu seinen jüngsten „Ansichten eines Clowns“ verriet Thomas Gottschalk kürzlich dem Spiegel, er betrete keinen Aufzug mehr, in dem nur eine Frau steht, um nicht zu riskieren, dass sie ein Stockwerk höher „rausrennt und ruft: ‚MeeToo, der hat mich angefasst!’“ Mal davon abgesehen, dass die Rückfrage: „Das Erste, was Ihnen zu #MeToo einfällt, sind Falschbezichtigungen?“ sehr schlagfertig ist. Viele Äußerungen des TV-Stars klingen wie die Rückzugsgefechte eines „schimpfenden alten Knaben, der den Schuss nicht gehört hat.“ Die Formulierung verwendet er tatsächlich in seinem Buch „Ungefiltert“. Allerdings nur, um diese naheliegenden Vermutung ebenso zu zerstreuen wie die Unterstellung, er glaube, früher sei alles besser gewesen.
Gottschalk auf dünnem Eis
Auf den meisten der gut 300 Seiten liest sich das alles etwas differenzierter. Die Sache mit dem Aufzug zum Beispiel reduziert Gottschalk dort auf die USA. Mitunter beginnt das dünne Eis, auf dem er sich bewegt, jedoch bedrohlich zu knacken, wenn er sich zwar „auf das Schärfste“ von seinem Image als „Gottschalk, der Grapscher“ distanziert, kurz drauf aber versichert: Habe er weiblichen „Wetten, dass..?“-Gästen den Arm um die Schulter gelegt, sei dies „rein dienstlich“ geschehen. Der grundsätzlichen Misere ist sich der Moderator aber bewusst, weshalb er sich ausdrücklich vom „onkelhaften Umgang“ Hans-Joachim Kulenkampffs mit seiner Assistentin distanziert oder kritisiert, dass Verleger, die ihre Machtposition gegenüber weiblichen Untergebenen schamlos ausnutzten, einst allenfalls als „keine Kostverächter“ tituliert worden seien.
Reichelt-Affäre aufgedeckt
Wie so etwas im beruflichen Alltag aussehen kann, hat Juliane Löffler mit ihren Publikationen über die Machtmissbrauchsvorwürfe gegen den früheren Bild-Chefredakteur Julian Reichelt beschrieben. Für die entsprechende Recherche wurde sie, damals noch Reporterin für BuzzFeed News, 2021 gemeinsam mit dem Team von Ippen Investigativ
zur Journalistin des Jahres gekürt. Abgesehen von der Prominenz der Personalie erregte der Fall zusätzliches Aufsehen, weil Verleger Dirk Ippen die Veröffentlichung verhindern wollte. Der Artikel erschien dann im Spiegel, für den Löffler seit 2022 als Redakteurin arbeitet. Natürlich spielt auch der Fall Reichelt in ihrem Buch „Missbrauch, Macht & Medien“ eine Rolle.
Für die Journalistin ist MeToo das sichtbarste Zeichen eines Verteilungskampfs um Privilegien, Macht und Einfluss, den sie keineswegs auf den Medienbereich beschränken will. Sie plädiert dafür, den Begriff „MeToo“ nicht auf den männlichen Machtmissbrauch am Arbeitsplatz oder im Kulturbetrieb zu reduzieren, sondern auch Stalking, häusliche Gewalt sowie Missbrauch von Kindern mit einzubeziehen; und nicht zuletzt Mobbing im Netz, mit dem Frauen des öffentlichen Lebens zum Schweigen gebracht werden sollen. In dieser Hinsicht kann sie aus eigener Erfahrung berichten. Wer den Mund aufmache, müsse damit rechnen, „beschuldigt, beschimpft und beschämt zu werden“.
Missbrauch als System
Was Gottschalk mit „Das Leben war halt so“ entschuldigt und argumentiert, es gebe doch einen Unterschied zwischen blöder Anmache und sexuellem Übergriff, spricht Löffler von einem System, das es beispielsweise Harvey Weinstein ermöglicht habe, seine Verbrechen unter den Teppich zu kehren. Vor diesem Hintergrund entpuppen sich selbst vermeintlich harmlose Anekdoten als purer Sexismus.
Einige der Vorfälle, die Löffler referiert, darunter die anzüglichen Bemerkungen des FDP-Politikers Rainer Brüderle gegenüber einer Stern-Journalistin (mit Blick aufs Dekolleté: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“, 2013), klingen nach letztem Jahrhundert, sind aber noch gar nicht so lange her. Nach dem 2013 von der feministischen Autorin Anne Wizorek initiierten Hashtag #aufschrei fragten sich viele Männer, ob sie nun nicht mehr flirten dürften. Aus Sicht Löfflers ist das die falsche Frage, zumal sie das eigentliche Problem überdecke. Für sie ist Sexismus ein Nährboden für Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen. MeToo hat ihrer Überzeugung nach die Kraft, das „System vielfältiger psychischer und physischer Gewalt- und Unterdrückungsformen“ zu verändern. Deshalb sei auch der Gegenwind so stark.
Juliane Löffler: „Missbrauch, Macht & Medien. Was #MeeToo in Deutschland verändert hat“. Deutsche Verlags-Anstalt, München. 272 Seiten, 23 Euro.
Thomas Gottschalk: „Ungefiltert. Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“. Heyne-Verlag, München. 320 Seiten, 24 Euro.