Editorial: Medienalltag Europa

Erneut neigt sich ein Jahr dem Ende zu. Die letzte M-Ausgabe 2005 ist im Kasten. Gerade noch rechtzeitig zum diesjährigen Journalistentag – wie jedes Jahr am letzten Novembersonnabend. Die profilierte Jahresveranstaltung der Medienfachgruppen in ver.di riskiert dieses Mal den Blick über den deutschen Tellerrand, um journalistische Arbeit in europäischen Dimensionen zu betrachten.

Denn „in dem Maße wie Europa zusammenwächst, die technischen Möglichkeiten sich erweitern und zarte Anfänge einer europäischen Öffentlichkeit zu beobachten sind, wächst der Regelungsanspruch der EU-Kommission“ (S. 8 – 11). JournalistInnen kommen an europäischen Regelungen nicht mehr vorbei, nehmen sie ihren Rechercheauftrag und den Qualitätsanspruch nach umfassender Darstellung ernst. Es ist kein einfacher Stoff, weder die Entstehung der Brüsseler Gesetze und Verordnungen – meist unheimlich langwierig – noch die Anwendung in der Praxis. Trotzdem ist es spannend, bestimmt es doch zunehmend den Alltag aller deutschen Bürger. Das zeigt auch die aktuell-hitzige Debatte um Schleichwerbung und Product Placement in Deutschland, die gerade zur rechten Zeit entbrannte, um sich aktiv an der Entwicklung der neuen EU-Richtlinie „Audiovisuelle Inhalte ohne Grenzen“ beteiligen zu können. Dafür nutzt die dju zum Beispiel ihr Engagement in der Initiative Qualität (S. 18 / 19). Auch die kritische Auseinandersetzung mit den „zweifelhaften Botschaftern“ der Initiative Neue Soziale Marktwirt­schaft gehört dazu, die es gar nicht mag, wenn ihre Manöver der schleichenden Medien- und Meinungs­beeinflussung zunehmend ins Licht gezerrt werden(S. 22 / 23). An der Übernahme des Berliner Verlages durch die britisch-amerikanische Finanzgruppe um David Montgomery stört nicht die europäische Grenzüberschreitung. Was die Belegschaft des Berliner Zeitungskonzerns, ver.di sowie viele gesellschaftliche Persönlichkeiten zu harschen Protesten veranlasste, ist vielmehr der Umstand, dass erstmalig Renditejäger ohne verlegerischen Anspruch in die deutsche Zeitungsbranche einbrechen. Das Kulturgut Zeitung droht, dem reinen Kommerz unterworfen zu ­werden (12 / 13). Auf dem Weg der Globalisierung gibt es weitere überzeugende Belege branchenfremder Verflechtungen, die die Unabhängigkeit der Medien in Europa beeinflussen, wenn etwa Rüstungsindustrielle Zeitungen betreiben (S. 14 / 15)!

Die Leserinnen und Leser haben viel Zeit die aktuelle M-Ausgabe zu studieren, den das nächste Magazin ­erscheint leider erst Ende Februar. Bis dahin allen besinnliche Weih­nachtstage und einen guten Start ins Jahr 2006.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Medienkompetenz live und vor Ort

Daß Medienkompetenz nicht nur digital, sondern auch im real life vermittelt werden kann  zeigt ein Projekt aus Berlin. Durch aktive Medienarbeit möchte das Meko Neukölln Kinder und Jugendliche darin stärken, ihre Stimme zu erheben, sich einzubringen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Angebote sollen die Teilnehmenden befähigen, sich selbst auszudrücken und ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen.
mehr »

Erziehung zur digitalen Mündigkeit

Wie kann man Kinder und Jugendliche bei der Social-Media-Nutzung vor Gefahren wie Cybergrooming oder -mobbing schützen, ohne ihnen Teilhabe- und Befähigungschancen in der digitalen Welt zu verbauen? Die aktuelle Debatte wird hitzig geführt. Antworten reichen von einem Verbot für Tiktok, Instagram und Co für unter 16-Jährige bis hin zur Stärkung von „digitaler Mündigkeit“ der User und rechtlicher Regulierung der Anbieter.
mehr »

EU ringt um digitale Regulierung

Trump droht mit Sanktionen. Denn einige US-amerikanische Online-Plattformen werden künftig etwas weniger Gewinn machen als bisher, wenn sie sich um Content-Moderation kümmern müssen. Schließlich will die EU Youtube, Instagram, X und andere verpflichten, illegale Inhalte von ihren Plattformen zu entfernen und ihre Funktionsweisen transparenter zu machen. Diese Eingriffe würden Sanktionen zufolge haben, verlautbarte der US-Präsident. Sanktionen als Preis dafür, die Orte gesellschaftlicher Auseinandersetzung weniger hasserfüllt zu gestalten?
mehr »

Die Krux mit der KI-Kennzeichnung  

Soziale Netzwerke wie Instagram oder TikTok werden mit Inhalten geflutet, die künstlich erschaffen oder manipuliert wurden. Für Nutzer*innen ist es mitunter kaum möglich zu unterscheiden, was „echt“ ist und was nicht. Waren Fälschungen in Zeiten, als generative KI nicht allgemein zugänglich war, zumeist aufwändig, lassen sich heute sekundenschnell realistisch wirkende Bilder und Videos erzeugen.
mehr »