Ein beachtlicher Debütfilm
Originelle, süffisante Dialoge, hinreißende Situationskomik, eigenwillige, exzentrische Figuren und eine bewegende, düstere Geschichte: Solche erstklassigen Drehbücher landen nicht jeden Tag auf dem Tisch eines Produzenten. Doch nicht nur seitens ihres Buches, das sie gemeinsam mit Daphne Charizani entwickelte, ist der Berliner Schauspielerin Ina Weisse, die in Hamburg auch Regie studierte, ein beachtlicher Debütfilm gelungen. „Der Architekt“, uraufgeführt bei den Hofer Filmtagen 2008, ist vielmehr in jeder Hinsicht ein großer Wurf, sowohl seitens Bildsprache und Kamera als auch seitens der idealen Besetzung.
Josef Bierbichler, der zuletzt schon in Caroline Links Familiendrama „Im Winter ein Jahr“ so fulminant als introvertierter, wortkarger Maler aufspielte, er verkörpert diesmal ebenso grandios den leicht aufbrausenden, launischen und ebenso schlagfertigen Architekten Georg Winter, der nie ein Blatt vor den Mund nimmt und unentwegt herumnörgelt. Ständig ist heiße Luft, wo auch immer Georg auftritt, ob beim verhassten, obligatorischen Small Talk der Upper Class, auf der Arbeit oder beim gemeinsamen Familienausflug.
Nur widerwillig rafft sich Georg auf, mit Frau und Kindern zur Beerdigung seiner Mutter in sein verschneites Heimatdorf in den Bergen zurückzukehren. Während der Beerdigung geht er der mysteriösen, stillen Hannah, die seine Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt hat, und deren Sohn auffällig aus dem Weg. Als ein Schneesturm die geplante rasche Abreise verhindert, kommt ein lang verdrängtes Geheimnis ans Licht, an dem die Familie zu zerbrechen droht.
So skizziert ist „Der Architekt“ ein sehr ernster, auch tragischer Film über innerfamiliäre Spannungen, und doch ist einem oft mehr zum Lachen als zum Weinen zumute. Das ist eigentlich das kleine Wunder dieses von einer skurrilen Situationskomik, lakonischen Dialogen und bizarren Momenten durchwirkten Films. Während etwa die musikalisch begabte Tochter im unbeheizten, kalten Holzhaus halbnackt in der Unterhose ihre Bach-Partiten auf der Violine übt, weist Georg im Bett genervt seine Frau ab, die es sich daraufhin frustriert selbst besorgt. Und wie sich der sture Georg mit einer ebenso sturen Kellnerin in einem Wirtshaus einer Semmel wegen anlegt, das ist für sich genommen schon eine virtuose Kabaretteinlage zum Thema absurde Speisekartenbürokratie.
Entscheidend atmosphärisch geprägt wird „Der Architekt“ von der Schneelandschaft, in der sich der innere Seelenzustand des Helden spiegelt. Nicht zum ersten Mal unternimmt Bierbichler eine solche an Franz Schubert angelehnte „Winterreise“. Aber diesmal geht sie noch weitaus tiefer unter die Haut, wie überhaupt seine Rollen mit zunehmendem Alter immer anspruchsvoller werden. Die Liebe verspielt und alles verloren steht der Architekt am Ende im Schnee, erstarrt, müde und sterbenskrank wie der Wanderer in Schuberts Liedzyklus. Wie heißt es da doch gleich zu Beginn: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“.
Filmdaten
D 2008.
R: Ina Weisse.
D: Josef Bierbichler, Hilde Van Mieghem, Matthias Schweighöfer, Sandra Hüller u.a.
93 Min.
Kinostart: 5.2.2009