Das herausragend gute Doku-Drama von Joachim A. Lang, Schöpfer des fulminanten Brecht-Werks „Mackie Messer“, dechiffriert mit einer Mischung aus Spielszenen, dokumentarischem Material und Interviews mit Holocaust-Überlebenden die Propaganda-Strategien von Joseph Goebbels.
Der Film beginnt mit einer Frage: „Wissen Sie, wer da spricht?“ Zu hören ist eine praktisch unbekannte Tonaufnahme von Adolf Hitler. Die ruhige Rede unterscheidet sich frappierend vom bekannten Reichsparteitagsduktus aus der Wochenschau. Die öffentlichen Auftritte des Reichskanzlers waren bis ins kleinste Detail geplant, sein Propagandaminister Joseph Goebbels hat nichts dem Zufall überlassen. Diese Strategie will Joachim A. Lang mit „Führer und Verführer“ dechiffrieren.
Der Film, heißt es im Vorspann, durchbreche die Inszenierung „und blickt hinter die Kulissen ins Innere der Macht.“ Auf diese Weise will Lang „die Demagogie durchschaubar machen und auch die Hetzer der Gegenwart entwaffnen.“ Die Dialoge basieren zu großen Teilen auf wirklichen Gesprächen. Als Fundus dienten unter anderem die Tagebücher von Goebbels, er ist die Hauptfigur des Films. Dank der immer wieder eingestreuten Off-Zitate überlässt Lang diesem Mann, der „Fake News“ zwar nicht erfunden, aber perfektioniert hat, die Deutungshoheit über die Geschichte des „Dritten Reichs“, doch die besitzt Goebbels ohnehin: weil seine Inszenierungen bis heute das Bild dieser Zeit prägen.
Das Unvorstellbare fassbar machen
Auch deshalb balanciert dieser Film, der die Jahre 1938 bis 1945 behandelt, auf einem schmalen Grat. Lang konzentriert sich auf den inneren Zirkel, sämtliche Aussagen bleiben unkommentiert; „Führer und Verführer“ ist wie eine Originalausgabe von „Mein Kampf“, also ohne nachträglich eingefügte wissenschaftliche Kommentare. Allerdings wollte sich der Autor und Regisseur, der zuletzt mit „Mackie Messer“ (2019) den ebenso kühnen wie fulminanten Versuch unternommen hat, Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ als Film im Film zu inszenieren, nicht auf den Selbstentlarvungseffekt verlassen. Aus diesem Grund unterbricht er die Handlung mehrfach, um hochbetagte Überlebende des Holocausts wie etwa Margot Friedländer zu Wort kommen zu lassen. Ihre Schilderungen sorgen in Kombination mit Aufnahmen von Erhängungen, Erschießungen oder Leichenbergen dafür, dass das Unvorstellbare fassbar wird.
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Der Rest ist Schauspiel. Robert Stadlober hat sich Goebbels regelrecht einverleibt. Der Österreicher trifft den unverkennbaren niederrheinischen Akzent bemerkenswert gut. Ähnlich eindrucksvoll ist Landsmann Fritz Karl als „Onkel Führer“, wie die Goebbels’sche Kinderschar den Diktator nennt. Als vor zwanzig Jahren das NS-Drama „Der Untergang“ ins Kino kam, gab es unter anderem eine Kontroverse über die Frage, ob es legitim sei, den größten Verbrecher der Geschichte von seiner menschlichen Seite zu zeigen. Bei Lang betätigt sich Hitler unter anderem als Beziehungsratgeber, weil sich das Ehepaar Goebbels (Franziska Weisz spielt die Gattin) entfremdet hat. Doch das ist nur eine Randnotiz.
Die Bürokraten des Massenmords
Im Zentrum steht stets der feste Vorsatz des Ministers, dem Volk die Politik des von ihm vorbehaltlos verehrten Führers zu verkaufen. Dem wiederum ist völlig egal, ob ihn die Menschen lieben oder hassen; Hauptsache, sie fürchten ihn. Allerdings verzichtet Lang darauf, die NS-Köpfe zu dämonisieren. Gerade im Kinofilm werden Hitler und Konsorten zumeist entweder als Psychopathen oder als Witzfiguren dargestellt. In beiden Fällen fällt es leicht, sich von den Massenmördern zu distanzieren. In „Führer und Verführer“ sind Männer wie Heinrich Himmler jedoch keine „Ikonen des Grauens“, sondern Bürokraten des Massenmords.
Handwerklich ist der Film ohnehin faszinierend, zumal dem Regisseur und seinem Editor Rainer Nigrelli eine geradezu mustergültige Kombination der Spielszenen mit dem zeitgenössischen Material gelungen ist. Der Mehrwert besteht jedoch tatsächlich in der akribischen Entschlüsselung von Goebbels’ Propagandastrategie. Der Film liefert eine schlüssige Antwort auf die Frage, wie es den Nationalsozialisten gelingen konnte, die Mehrheit der Bevölkerung von ihren Zielen zu überzeugen und ihr sogar den Krieg mit Russland schmackhaft zu machen. Dank der Gleichschaltung der Presse hatte Hitlers „Hexenmeister“ freie Hand. Wenn Goebbels davon spricht, dass man den Menschen eine Lüge nur oft genug erzählen müsse, liegen die Parallelen zur aktuellen rechtspopulistischen Öffentlichkeitsarbeit auf der Hand.
D 2023. Buch und Regie: Joachim A. Lang. Kinostart: 11. Juli. FBW-Prädikat „Besonders wertvoll“.