Filmtipp „Wackersdorf“

Filme über die politische Zeitgeschichte haben im Kino kaum noch eine Chance. Umso besser, dass Arte „Wackersdorf“ bereits um 20.15 Uhr zeigt. Oliver Haffners Kinodrama ist die Verbeugung vor einem Mann mit Rückgrat: Als die bayerische Landesregierung 1981 beschließt, in der Oberpfalz eine Wiederaufarbeitungsanlage zu errichten, kommt das für die Kommunalpolitiker der darbenden Region einem Wunder gleich. Einzig der sozialdemokratische Landrat macht Stimmung gegen die WAA – und wird prompt entmachtet.

Gorleben, Wackersdorf, dazu die Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss: Die frühen Achtziger waren bewegte Jahre. Es dauerte nicht lange, bis die entsprechenden Filme in die Kinos kamen. Gerade der Widerstand gegen die Wiederaufarbeitungsanlage im oberpfälzischen Wackersdorf ist oft dokumentiert worden: Werke wie „WAAhnsinn – Der Wackersdorf-Film“ (1986) und „Restrisiko oder Die Arroganz der Macht“ (1988) setzten den Protesten filmische Denkmäler und hatten in den Programmkinos respektable Zuschauerzahlen.

Gut dreißig Jahre später scheint das Interesse verflogen zu sein. Oliver Haffners Kinofilm „Wackersdorf“ hatte gerade mal gut 125.000 Besucher. Die enttäuschende Resonanz ist typisch für einen Trend, der schon geraume Zeit anhält: Die Gleichgültigkeit des Kinopublikums gegenüber gesellschaftspolitischen Stoffen ist offenkundig. Solche Filme werden zwar noch produziert, aber der Start in ohnehin nur wenigen Kinos verläuft ohne große Überzeugung und praktisch ohne Werbung. Die zwangsläufig niedrigen Besucherzahlen bestätigen dann die pessimistischen Erwartungen.

Fairerweise muss man im Fall von „Wackerdorf“ feststellen, dass der Film im Fernsehen sehr gut aufgehoben ist. Das Drehbuch von Gernot Krää und Oliver Haffner rekonstruiert den Sinneswandel des sozialdemokratischen Landrats Hans Schuirer, in dessen Schwandorfer Landkreis eine Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe errichtet werden soll. Der Repräsentant der Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen verspricht der Region „Wohlstand und Sicherheit“. Zweifel an dem Projekt kommen dem Politiker erst, als sich die Landesregierung über geltendes Recht hinwegsetzt, um den Protest gegen die WAA im Keim zu ersticken.

Der Film lebt über weite Strecken vom Wandel der Hauptfigur und der Beziehung zwischen den beiden von Johannes Zeiler und Fabian Hinrichs formidabel verkörperten zentralen Persönlichkeiten: hier der seinem Gewissen verpflichtete knorrige Landrat, ein gelernter Maurer, der sich anfangs von der Euphorie anstecken lässt und später enormes Rückgrat beweist, als ihm die Parteifreunde die Gefolgschaft aufkündigen und Morddrohungen in seinem Briefkasten landen; dort der von Hinrichs als durchaus sympathischer Menschenfänger angelegte Technokrat, dem das Schicksal der Region natürlich völlig gleichgültig ist. Schuirers Auseinandersetzungen mit den Genossen repräsentieren zudem einen Riss, der sich quer durch die Familien zieht und alte Freundschaften zerstört; ein Aspekt, der dem Film große Aktualität verleiht.

Schon Haffners letzter Film „Ein Geschenk der Götter“, eine sehenswerte Tragikomödie über eine arbeitslose Bühnendarstellerin, die einen Schauspielkurs mit Langzeitarbeitslosen veranstaltet, zeichnete sich durch die vorzügliche Arbeit mit dem Ensemble aus. Das gilt auch für „Wackersdorf“, zumal der Regisseur für kleine, aber wichtige Rollen namhafte Darsteller gefunden hat, darunter Sigi Zimmerschied und August Zirner als Minister sowie Anna Maria Sturm als Gesicht des Widerstands. Als sich auch der Landrat öffentlich gegen die Pläne der Landesregierung stellt, wird er kurzerhand entmachtet; kein Wunder, dass Schuirer die Zustände im Freistaat mit einer Militärdiktatur vergleicht.

Arte zeigt „Wackersdorf“ am 5. Juni um 20.15 Uhr und danach in der Mediathek.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: In Liebe, eure Hilde

Worte wie Mut oder Zivilcourage können nicht annähernd erfassen, was die jungen Mitglieder antifaschistischer Widerstandsgruppen wie „Weiße Rose“ oder „Rote Kapelle“ geleistet haben. Abgesehen von den Geschwistern Scholl sind ihre Namen größtenteils in Vergessenheit geraten. Geblieben ist meist bloß noch eine Straßenschildprominenz. Das gilt auch für Hilde Coppi, der Andreas Dresen mit „In Liebe, eure Hilde“ ein Denkmal gesetzt hat.
mehr »

Klischees, die bis heute wirken

Die MDR-Dokumentation „Es ist kompliziert - Der Osten in den Medien“ prüft die Entstehung des medialen Bilds von Ostdeutschland. Die umfassende Analyse von über 30 Jahren Berichterstattung zeigt, wie entlang von Medien-Stories und Skandalen ein Narrativ vom Osten entstanden ist, das immer wieder aufgegriffen wird und seine Wirkmächtigkeit nicht verloren hat.
mehr »

Filmtipp: Die Fotografin

Kate Winslet spielt Lee Miller, die bekannteste Kriegsfotografin der 1940er Jahre, als hochenergetische Künstlerin. Die 1907 geborene Lee Miller kam auf Umwegen zur Pressefotografie. Zunächst absolvierte sie eine komplette Karriere als Model. Der Surrealist Man Ray entdeckte sie für die Bildende Kunst. Bei ihm wechselte sie immer öfter auf die andere Seite der Kamera. Bereits ihr Vater hatte sie in der Funktionsweise verschiedener Apparate unterrichtet. Sie veröffentlichte bald erste eigene Arbeiten und gründete ein eigenes Studio.
mehr »

Filmtipp: Die Schule der Frauen

Für Marie-Lou Sellems dokumentarisches Debüt blicken fünf Kolleginnen, die in den Achtzigern an der Essener Folkwang-Schule Schauspiel studiert haben, auf ihre Karriere zurück. Erst spät, dann aber umso intensiver beschäftigt sich der Film mit der Frage, warum Schauspielerinnen ab einem gewissen Alter keine Rollen mehr bekommen.
mehr »