Mahnmal gegen menschenunwürdige Zustände

Scheußlicher kann man sich ein Gefängnis von innen nicht vorstellen: An den Zellenwänden klebt überall Kot, am Boden schwimmen Speisereste. Mittendrin die halbnackten, verfilzten, zotteligen, langhaarigen Insassen, die die Häftlingsuniform und jegliche Körperhygiene verweigern. Es sind IRA-Aktivisten, die mit ihrem Waschstreik den Status von politischen Gefangenen einfordern und sich selbst von schlimmsten Torturen nicht klein kriegen lassen: Sie werden zwangsgewaschen, zwangsrasiert, getreten und mit Gummiknüppeln blutig geschlagen. Der berüchtigte H-Block im nordirischen Maze Prison ist 1981, zur Zeit des unerbittlichen harten Thatcher-Regimes, auch ein Ort der Menschenverachtung und Gewalt.
Hunger“, uraufgeführt 2008 in Cannes und nun in den deutschen Kinos, ist einer der unerträglichsten, schaurigsten und zugleich großartigsten Filme der vergangenen Jahre, bei dem man oft wegschauen möchte, sich aber nicht dem Sog der Geschichte entziehen kann, mit den gemarterten Protagonisten mitleidet und zutiefst beeindruckt ist von ihrer charakterlichen Stärke. Gedreht hat diesen Film der britische Turner-Preisträger Steve McQueen, der ihn wie ein dreiteiliges Tryptichon anlegt und souverän seinen hohen Anspruch einlöst, die gräuliche Atmosphäre auf allen Sinnesebenen zu vermitteln.
Man meint, den bestialischen Gestank in der Nase zu haben, wenn die Kamera die kackbraunen Wände herauf und herunter wandert, wenn vermummte Putzkräfte mit Mundschutz gegen den Dreck anrücken. Und wenn eine riesige Phalanx von militärisch gerüsteten Polizisten aufmarschiert, die aggressiv mit ihren Schlagstöcken auf ihre Panzerschilder trommeln, schwillt der Ton so laut an, dass es weh tut.
Nicht minder stark das zentrale Kernstück, ein einziges, 20 Minuten langes Streitgespräch zwischen dem IRA-Anführer Bobby Sands und dem katholischen Priester der Anstalt. Ein packender Dialog, erst halb humorvoll, schlagfertig, dann philosophisch, schließlich warnend. Was bringt es, als letztes Mittel des Protests in den Hungerstreik zu treten? Bobby ist dazu entschlossen. Der Priester versucht ihn davon abzuhalten, gemahnt an das große Leid, das er seinen Anhängern und seiner Familie zufüge, ohne sichergehen zu können, dass sein Tod irgendwas bewirke. Nach diesem intensiven langen Schlagabtausch, bei dem es keinen klaren Gewinner gibt, verstummt Bobby Sands und mit ihm der Film.
Der dritte Teil widmet sich ganz dem Hungerstreik und Bobbys Sterben. Unglaublich, wie authentisch und echt der überragende Michael Fassbender das spielt, der sich für diese Rolle selbst erschreckend abgemagert hat. Wie er von Tag zu Tag immer schwächer wird, wie die Haut allmählich verwest, wie er unbeirrt seinen Leidensweg geht, sich kaum noch auf den Beinen halten kann, schließlich nur noch liegt und röchelt – kaum auszuhalten.
„Hunger“ ist eine mutige, kompromisslose Annäherung an das, was damals geschehen ist, aber auch ein erschütternd-schockierendes Mahnmal gegen menschenunwürdige Zustände in Haftanstalten – sei es das Maze Prison oder Guantanamo.
 

„HUNGER“

GB/IRL 2008.

R: Steve McQueen.

D: M-Fassbender,
Liam Cunningham, Stuart Graham.

91 Min.

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