Glück auf dem Lebensweg

Detlef Hensche, ehemaliger IG-Medien-Vorsitzender, wird 70

„Ich freue mich meines Lebens“, antwortet Detlef Hensche aufgeräumt, befragt nach seiner Gemütsverfassung kurz vorm 70. Geburtstag. Kein Wunder, er tut seit seinem Rückzug 2001 das, was er am liebsten tut und am besten kann: Auf höchstem Niveau komplizierte Verhandlungen führen und kritische Artikel zum Zustand der Republik schreiben.


Als „Luxus“ empfindet es der promovierte Jurist, der seine IG-Druck-Kollegen, lange bevor er ein Handy bedienen konnte, mit detailreichen Kenntnissen der kompliziertesten Arbeitsabläufe verblüffte, dass er sich seit sechs Jahren in einer Anwaltskanzlei mit Tarifpolitik befasst. „Ich habe nie gedacht, dass ich mich nach meiner Funktionärszeit als Anwalt betätige.“ Ein Anwaltskollege überredete ihn, nun widmet er sich den „inflationär“ zunehmenden Fällen, in denen Mitglieder von Arbeitgeberverbänden die Tarifbindung verweigern.

Der Wuppertaler Unternehmersohn, der die Firma übernehmen sollte und aus Protest dagegen erst mal Kunstgeschichte und Philosophie studierte („Jura war dann der Kompromiss“), hat politische Prägung durch die Mutter erfahren, die sich in den 50ern gegen die Wiederbewaffnung engagierte. Für die 68er-Bewegung war er „zu alt, demonstriert habe ich aber“. Hensche empfindet es als „Glück, dass ich in einer Zeit studiert habe, in der uns alle Wege offen standen. Ich konnte mir aussuchen, wo ich arbeiten wollte, heute undenkbar.“ Die „glücklichste Zeit“ seines Referendariats verbrachte Hensche ‘65 im Bundestag, als dort um die Notstandsgesetze gerungen wurde. „Damals habe ich beeindruckende, humanistische Parlamentarier wie Adolf Arndt erlebt, die solide und sachlich argumentierten, solche gibt es heute nicht.“ „Glück“ ist ein Begriff, den Hensche häufig verwendet, wenn er seinen Lebensweg beschreibt. So empfindet er sich auch als „Glückskind“, weil er „rechtzeitig“ aufhörte, bevor die krisengebeutelte Druckindustrie „eine Insolvenz nach der anderen“ erlitt: „Ich beneide die Kollegen nicht, die jetzt verhandeln.“ Tarifpolitik hat ihm immer „den größten Spaß“ gemacht, sagt er mit leuchtenden Augen. Argumentativ gewinnen war ein Vergnügen für den rhetorisch Begabten, von der Presse gerne als „linker Stratege“ tituliert. Die 35-Stunden-Woche, „mit kampfstarken Belegschaften“ durchgesetzt, auch heute noch „unverzichtbar“, war der größte Erfolg seiner Amtszeit. Die „bitterste Niederlage“ war die Kündigung des Manteltarifvertrages ‘94, 14 Wochen wurde gestreikt, „nichts kam dabei heraus, wir haben uns verzettelt, das werfe ich mir bis heute vor“. Weise Ratschläge gibt es von ihm heute nicht: „Man urteilt nicht, ohne in den Betrieben zu sein, dafür muss man täglich ganz nah dran sein.“
2001 ist Hensche nach 40 Jahren aus der SPD ausgetreten, die Agendapolitik brachte „das Fass zum Überlaufen“. Es fasziniert ihn, dass die CDU-Kanzlerin die Agendapolitik „weniger brutal fortsetzt. Sie hat bessere Sensoren dafür, dass die Mehrheit die Schröder-Politik ablehnt“. In der WASG ist er wie viele Gewerkschafter von Anfang an dabei gewesen, nun in der Linken. Als wohlwollendes, aber funktionsloses Mitglied: „Das sollen Jüngere machen.“
Drei Kinder aus erster Ehe haben ihn zum fünffachen Großvater gemacht, zweijährige Zwillinge wohnen ganz nahe, was nicht heißt, dass er als Babysitter einspringt. Bald soll nun das wirklich ruhige Rentnerleben beginnen. „Jetzt reicht es“, behauptet Hensche und grinst, weil er weiß, dass Viele ihm das nicht glauben. Er will noch einige Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht zu Ende führen, einige Schriftsätze vollenden, aber „de facto ziehe ich mich zurück“. Jetzt soll der „alte Plan“ verwirklicht werden: Ein halbes Jahr Berlin, wo er seit 2001 mit seiner Lebensgefährtin Hanne Daum lebt, ein halbes Jahr Südtirol, wo er eine Wohnung in der Nähe von Bozen besitzt. Lesen, Italienisch lernen und wandern, das ist die Idee vom Genuss. Als Mitherausgeber will er weiter für die Blätter für deutsche und internationale Politik schreiben, Artikel für die Wochenzeitung Freitag, den einen oder anderen Beitrag für juristische Handbücher sicherlich auch. Gewerkschaftliche Festlichkeiten anlässlich seines runden Geburtstages hat er erfolgreich verhindert: „Da habe ich mich durchgesetzt“, sagt er erfreut und spielt darauf an, dass ihm das gegen seine Partnerin nicht gelingt, wenn sie ihn zu den Wagner-Festspielen nach Bayreuth schleppt. „Die sind mir ein Gräuel, seitdem ich mit 16 mit meinem Vater dorthin musste!“ Aber da es auf dem Grünen Hügel seit Kriegsende ein von den Amerikanern initiiertes Kartenkontingent für den DGB gibt, quält sich der Bach- und Schubertfreund Hensche durch einen „grauenhaften Parsifal“, weil er dort immer so viele alte Kollegen trifft. „Das ist schön.“


Detlef Hensche

Detlef Hensche wurde am 13.09.38 in Wuppertal geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und promovierte 1972 in Bonn. Von 1971 bis 1975 leitete Hensche die Abteilung Gesellschaftspolitik beim DGB-Bundesvorstand, 1975 wurde er in den geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Druck und Papier gewählt und damit auch Redakteur des damaligen Zentralorgans „druck und papier“. Mit der Gründung der IG Medien 1989 wurde er deren stellvertretender Vorsitzender und u.a. für die Tarifpolitik zuständig. Von 1992 bis zur ver.di-Gründung 2001 war er Vorsitzender der IG Medien.

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