Frauen wählten eigenen Vorstand und fassten konkrete Beschlüsse
Vereinte Kraft. Keine halben Sachen. Und maximale Ermutigung. Das hätte als Devisen für die erste gemeinsame Frauenkonferenz des ver.di-Fachbereiches A getaugt. Knapp 70 Delegierte der „Finanzdienste, Kommunikation und Technologie, Kultur sowie Ver- und Entsorgung“ erfüllten sie mit Leben. Die Frauen wollen ihre Interessen auch künftig energisch vertreten – mit eigenen Strukturen und einem gewählten Vorstand. Über Kompass und Inhalte herrschte großes Einvernehmen, fast alle Beschlüsse fielen einstimmig.
Konstruktiv und zugewandt, aber durchaus auch selbstbewusst, so präsentierte sich diese 1. Bundesfachbereichsfrauenkonferenz am 22. und 23. Februar 2023. Sie startete nicht am Punkt Null. Das machten Nicole Seelemann-Wandtke und Ayse Tekin, die bislang Fraueninteressen im Gründungsvorstand des neuen Fachbereiches vertreten hatten, schon zur Begrüßung klar. Durch alle Debatten zog sich später der Begriff des „Arbeitspakets Frauen- und Gleichstellungspolitik“, der sich für die engagierte Vorbereitung frauenspezifischer Themen sowie für ihre Streiterinnen im künftigen ver.di-Fachbereich eingebürgert hatte.
In Ergänzung des Geschäftsberichts wurden Aktive interviewt, die sich in diesem Formierungsprozess bereits für Frauenanliegen stark gemacht hatten. Sigrid Schubecker aus dem Bereich Finanzdienste etwa berichtete, wie es unter Pandemiebedingungen trotzdem gelungen sei, ein Projektpapier und Satzungsvorschläge zu erarbeiten, um Frauen im neuen Fachbereich „sichtbar zu machen und die Arbeit mitzugestalten“. Frauen hätten „überall in den bisher gewählten Gremien Mandate bekommen“, darin sah Energiewerkerin Frauke Hüttmann ein Highlight bisherigen Engagements. Dass „nichts Gutes verlorengeht“, war Antrieb für Walburga Rempe-Baldin, Freiberuflerin im Medien- und Kulturbereich, wo heterogene Interessenvertretung bereits über einen Frauenvorstand koordiniert worden war.
Nur folgerichtig schien, dass für die künftige Form der Arbeit der weitestgehende Vorschlag die Zustimmung der Delegierten fand: Statt sich nur offener oder projektbezogener Arbeit zu bedienen, votierte die Konferenz einstimmig für die Bildung eines Frauenvorstandes, der – mit eigenem Budget und Gestaltungskompetenz ausgestattet – Fraueninteressen im neuen Fachbereich vertreten soll. Fünfundzwanzig Nominierte aus den verschiedenen Fachgruppen und Landesbezirken erhielten dafür den Rückhalt der Delegierten.
„Keine Anpassung an die Vorstellungen alter weißer Männer!“ ermutigte auch Bundesfachbereichsleiter Christoph Schmitz die Teilnehmerinnen zur spezifischen Wahrnehmung ihrer Interessen: „Machen wir uns nichts vor, diese Gesellschaft ist immer noch strukturell patriarchalisch. Wir müssen gemeinsam mit den Männern immer wieder Impulse setzen – auch in der Gewerkschaft, in den Interessenvertretungen, Tarifkommissionen und Vorständen – um Strukturen und Denken zu verändern.“ Da bleibe viel zu tun.“
Vorschläge als „ganzen Fächer frauenpolitischer Themen, mit denen Ihr euch künftig beschäftigen könntet“, offerierte Alexa Wolfstädter vom ver.di-Bereich Frauen- und Gleichstellungspolitik. Das Risiko eines „frauenpolitischen Roll-Back“ sei real, betonte sie in ihrem Impulsreferat. „Die aktuellen globalen Krisen sind nur gut zu lösen, wenn frauenpolitische Fragen darin integriert sind.“ Das schließe die Verringerung und Beseitigung gravierender Gender-Lücken ein wie bei der Digitalisierungs-, über dem bekannten Gender-Pay-Gap bis hin zur vielfach existenziell bedrohlichen Renten-Lücke.
Diese und weitere Themen spiegelten sich nachfolgend an den zur Auswahl stehenden acht „Thementischen“ des World Cafés wider. Dabei ging es um die tarifpolitische Arbeit von Frauen, um Frauen und Digitalisierung, um Homeoffice und das „New Normal“ im Bereich Gute Arbeit, um Kommunikation, Netzwerken und die Gewinnung von mehr weiblichen Nachwuchskräften, etwa mit dem Projekt RONJA, aber auch um Sexismus und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder die Vorstellung der Vertrauensstelle Themis.
Etliche solcher Schwerpunkte fanden sich in Anträgen wieder. Eine einstimmig beschlossene tarifpolitische Forderung verlangt etwa die Prüfung aller neu verhandelten Tarifverträge im Fachbereich auf die Einhaltung von Entgeltgleichheit. Weitere Anträge zielen darauf, die Arbeitsbedingungen von Frauen in selbstständiger Erwerbsarbeit stärker zu fördern sowie angemessene Basishonorare für selbstständige Kreative durchzusetzen, im Rahmen der gewerkschaftlichen Digitalisierungsstrategie für Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen und Qualifizierung zur Beschäftigungssicherung in Digitalisierungsprozessen zu nutzen.
Die Delegierten stimmten für einen höheren Frauenanteil in TOP-Führungspositionen und forderten eine gerechtere Arbeitszeitpolitik. Dazu zählten sie eine gesetzlich verbriefte bedingungslose Rückkehrmöglichkeit in ein Vollzeitarbeitsverhältnis, eine Informationspflicht für Arbeitgeber bei Rückkehrgesprächen aus der Elternzeit sowie die Gewährung von Freistellungen für ehrenamtliche gewerkschaftliche Arbeit. Dass die Bundesfachbereichskonferenz eine Resolution „Frauen. Leben. Freiheit. Solidarität mit dem Widerstand iranischer Frauen“ ebenfalls einstimmig angenommen hat, auch das ein Zeichen der Ermutigung.
Helma Nehrlich ‹‹